Für Yann Aurel Bisseck begann der Aufbruch in einen neuen Karriereabschnitt mit einer ungewöhnlichen Reise: An diesem Mittwoch fliegt der erstmals für die DFB-Auswahl[1] nominierte Fußballprofi mit dem Team von Dortmund zu einem Auswärtsspiel nach Hause. Der 24-Jährige spielt bei Inter Mailand im berühmten Guiseppe-Meazza-Stadion, wo die DFB-Elf am Donnerstag im Viertelfinal-Hinspiel der Nations League auf Italien trifft. In den Katakomben kann er Kollegen wie Jamal Musiala oder Joshua Kimmich dann erklären, wie es ist, sich eine mythologisch aufgeladene Spielstätte mit dem Rivalen AC Milan zu teilen.
»Dass ich jetzt ausgerechnet bei den Begegnungen gegen Italien dabei bin und ein Spiel in meinem Wohnzimmer im San Siro in Mailand stattfindet, macht das Ganze noch mal einen Tick spezieller«, sagte Bissek. Die Italiener wissen also genau, mit wem sie es zu tun haben: Der gebürtige Kölner ist ein wichtiger Bestandteil der vielleicht stärksten Abwehr, die es derzeit im internationalen Klubfußball gibt. Und in Italien ist er gerade dabei, mit Inter den Meistertitel zu verteidigen[2].
In der Bundesliga hat Bisseck auch schon gespielt und dabei einen Rekord aufgestellt, der größte Teil des deutschen Publikums dürfte aber nur eine vage Vorstellung von dem 1,96 Meter großen Abwehrhünen haben. »Ich finde, dass er sehr viel mitbringt. Ich sehe ihn als sehr guten Spieler, der unsere Mannschaft da hinten bereichern kann«, sagt Bundestrainer Julian Nagelsmann[3] über den einzigen Neuen in seinem Aufgebot für die beiden Italien-Spiele. Dieses Bild ist unter anderem während eines Besuchs bei Inters 1:0-Sieg in der Champions League gegen den FC Arsenal entstanden, wo Nagelsmann im San Siro den Londoner Kai Havertz beobachtet hatte. Und eben Bisseck, der prompt zum »Man of the Match« gekürt wurde und insgesamt mit Inter in den bislang acht Partien der Königsklasse nur ein Gegentor zuließ – beim 0:1 gegen Bayer Leverkusen[4].
Bei Bayers rheinischem Rivalen 1. FC Köln ist Bisseck kein Unbekannter. Im September 2017 tauchte der damals 16-Jährige bei einem Bundesligaspiel gegen Hertha BSC[5] überraschend nicht nur im Kölner Kader, sondern direkt in der Startelf des damaligen Trainers Peter Stöger auf. Bis heute ist er der jüngste Fußballer, der jemals beim FC gespielt hat. Insgesamt kam er zu drei Einsätzen. Zwei Wochen nach seinem Debüt wurde Stöger entlassen – und der talentierte Teenager verschwand wieder in der Versenkung, wurde mehrfach verliehen.
Als es weder bei Holstein Kiel, Roda Kerkrade noch Vitória Guimarães lief, fasste er den Plan, die Sache mit dem Fußball aufzugeben und Medizin zu studieren – am liebsten in Berlin, wo er sich ein WG-Zimmer suchen wollte. Die letzte Leihe im Jahr 2021 zu Aarhus GF brachte die Wende, ein Jahr später kaufte der dänische Klub Bisseck für 1,5 Millionen Euro. 2023 reichte Aarhus Bisseck mit sattem Gewinn an Inter Mailand weiter, sein aktueller Marktwert beträgt 30 Millionen Euro. Der Abwehrspieler hat mit seiner robusten, technisch ambitionierten und intelligenten Spielweise doch noch den Durchbruch geschafft.
Die Wertschätzung für schlaue Verteidiger gehört ja zum Fundament der italienischen Fußballkultur. Bei Inter musste Bisseck in der vergangenen Meistersaison noch um seine Einsätze kämpfen, in 16 Ligapartien war er zum Einsatz gekommen. Im laufenden Spieljahr hat er bereits 18 Mal in der Serie A gespielt. Ein unumstrittener Stammspieler ist er zwar immer noch nicht, weil er mit Großmeistern der Abwehrkunst wie Stefan de Vrij, Alessandro Bastoni, Mateo Darmian, Federico Dimarco oder auch Benjamin Pavard um die Plätze in der Startelf konkurriert. Dafür er hat sich in diesem Umfeld prächtig entwickelt und gelernt, sich zu behaupten.