Wer könnte kurzfristig bis zu 654 Euro bezahlen? Aufgrund eines Abrechnungsstreits zwischen den Krankenkassen und mehreren brandenburgischen Landkreisen müssen sich deren Bürger*innen mit dieser Frage befassen. Ab dem 1. Januar 2025 müssen Patient*innen für Rettungseinsätze möglicherweise bis zu 654 Euro bezahlen, wenn sie in Teltow-Fläming, im Barnim, in Märkisch-Oderland, Oder-Spree, Oberspreewald-Lausitz, Spree-Neiße oder in Oberhavel wohnen, in der Uckermark oder in Potsdam-Mittelmark.
Die Theorie ist simpel. Die Landkreise legen fest, wie hohe Kosten ein Rettungseinsatz pro Fahrt verursacht. Die Krankenkassen sind laut des brandenburgischen Rettungsdienstgesetzes verpflichtet, die Kosten zu übernehmen. Nur sind die Krankenkassen damit nicht einverstanden und haben, basierend auf einem unabhängigen Gutachten, einen eigenen Betrag für die Rettungseinsätze kalkuliert. Ihre Begründung dafür: Sie halten die von den Landkreisen berechnete Summe für unwirtschaftlich.
Die Landkreise dagegen weisen den Vorwurf zurück. Sie argumentieren, dass sie gesetzlich dafür verantwortlich seien, die Kostensätze festzulegen. Die Krankenkassen hätten ihnen keine Belege für eine angebliche Unwirtschaftlichkeit vorgelegt. Acht Landkreise legten ein unabhängiges Rechtsgutachten vor, dass die Kosten der Rettungswageneinsätze nicht zu beanstanden sind.
Acht Landkreise legten ein unabhängiges Rechtsgutachten vor, dass die Kosten der Rettungswageneinsätze nicht zu beanstanden sind.
Währenddessen werden die Bürger*innen wegen des Streites quasi als Geisel gehalten. Denn die Krankenkassen weigern sich, einen anderen Betrag zu bezahlen, solange nicht ein Ergebnis auf dem Tisch liegt, mit dem sie einverstanden sind. So müssen Bürger*innen 654 Euro bezahlen, wenn ein Rettungseinsatz insgesamt 1449 Euro kostet, die Krankenkassen aber entschieden haben, nur 794,91 Euro zu bezahlen. Die Höhe der Summen ist unter anderem abhängig davon, ob nur Sanitäter kommen oder auch ein Notarzt. Umstritten sind auch die Kosten der sogenannten Leerfahrten – wenn ein Rettungswagen etwa zu einem Verkehrsunfall gerufen wird, dann vor Ort aber gar niemanden mitnehmen muss.
Wie genau die Krankenkassen auf 794,91 Euro pro Rettungseinsatz gekommen sind, blieb monatelang unklar. Erst in der vergangenen Woche konnten die Landkreise anfangen, die Kalkulation der Kassen zu überprüfen.
Aus dem Konflikt ergeben sich drei Möglichkeiten, wie Bürger*innen künftig keine Unsummen aus eigener Tasche bezahlen müssten: Erstens könnte der Streit vor Gericht entschieden werden. Zweitens könnten sich die Landkreise mit den Krankenkassen auf eine neue Rechnung für Rettungseinsätze einigen. Drittens könnte die Kalkulation, auf der die Krankenkassen bestehen, von den Landkreisen angenommen werden.
Die Krankenkassen argumentieren, dass bereits mehrere andere Landkreise die gewünschte Vereinbarung angenommen haben und ihre Kosten dennoch decken konnten. Sollte es zu keiner Einigung kommen, könnte das brandenburgische Rettungsdienstgesetz geändert werden. Gesundheitsministerin Britta Müller (für BSW) machte aber schon klar, »dass eine entsprechende Änderung des Brandenburgischen Rettungsdienstgesetzes nicht der von mir bevorzugte Weg ist«.
Was aber als Patient*in tun, bis eine Einigung erzielt ist oder ein Gericht entschieden hat? Märkisch-Oderlands Landrat Gernot Schmidt (SPD) empfahl den Betroffenen, mögliche Gebührenbescheide des Rettungsdienstes bei den Krankenkassen einzureichen – und falls diese die Übernahme der Kosten verweigern, dagegen zu klagen. Man werde die Bürger*innen in den eventuell notwendigen Klageverfahren unterstützen und rechtsanwaltliche Hilfe zur Verfügung stellen.
Bis eine Lösung gefunden ist, herrschen in Teilen Brandenburgs anscheinend US-amerikanische Verhältnisse: Bürger*innen müssen sich überlegen, ob sie sich einen Notruf leisten können, weil sie nicht genau wissen, ob und welche Kosten ihre Krankenversicherung übernimmt. Die Leute rufen dann zuweilen lieber ein Taxi, das sie ins Krankenhaus bringen soll.