Franziska Preuß lief nach einem Hitchcock-Drama für die Biathlon-Geschichte als sechste deutsche Gesamtweltcupsiegerin der Geschichte über die Ziellinie. Doch statt in Oslo überschwänglich zu jubeln, drehte sich die 31-Jährige[1] sofort um und wartete auf ihre große Erzrivalin Lou Jeanmonnot direkt hinter der Ziellinie. Dann nahm die deutsche »Königin mit Herz« die Französin in die Arme. Und dort saßen sie minutenlang und redeten miteinander über das unglaubliche Ende eines dramatischen Zweikampfs. Bei beiden flossen die Tränen.
Nebeneinander waren die beiden am Sonntag im Kampf um den Sieg beim finalen Massenstartrennen in die Holmenkollen-Arena zum Schlusssprint eingelaufen, dann verhakte sich Jeanmonnot mit ihrem Stock in ihrem Ski und stürzte. Es war die Entscheidung für Preuß, die sich aber erst überhaupt nicht über den größten Erfolg ihrer Karriere freuen konnte. »Es ist blöd, so zu gewinnen. Ich hätte es lieber auf der Zielgeraden entschieden. Das war nullkommanull meine Absicht und Lou hat auch sofort gesagt, dass sie den Stecken zwischen die Beine bekommen hat. Es war keine unfaire Situation, ich habe mich trotzdem entschuldigt«, erklärte Preuß danach. Die französische Mannschaft legte trotzdem erst Protest ein, zog den jedoch noch vor dem Jury-Entscheid zurück.
Dann knallten die Champagnerkorken und Konfetti-Kanonen im deutschen Team nach einem Zweikampf, über den man noch in Jahren reden wird. »Das Niveau war so extrem hoch, es war ein kranker Kampf«, sagte Preuß. Aber immer mit fairen Mitteln, wie Jeanmonnot schon zuvor gesagt hatte: »Ich bin sehr beeindruckt von Franzi. Es fühlt sich nicht so an, als wären wir Konkurrentinnen, sondern, als würden wir ums Gleiche kämpfen.«
Das finale Weltcup-Wochenende in Oslo war die Kulmination eines faszinierenden Duells um die große Kristallkugel. Mit winzigen 20 Punkten Vorsprung auf die Französin Lou Jeanmonnot war Preuß gestartet. Im Sprint am Freitag lief zunächst alles für die gebürtige Wasserburgerin, die nach einem dramatischen Duell mit ihrer Erzrivalin mit dem Hauch von 0,2 Sekunden Vorsprung den dritten Weltcup-Sieg der Saison feierte. »Ich bin wie bei der WM mit der Taktik Top oder Flop ins Rennen gegangen und das hat sich ausgezahlt«, meinte Preuß danach freudestrahlend.
Damit war das Polster der Deutschen zwischenzeitlich auf 35 Punkte gewachsen. Doch wie gewonnen, so zerronnen. In der Verfolgung am Samstag leistete sich Preuß ungewohnte drei Schießfehler, dazu brach auch noch ihr Skistock. So blieb nur Platz fünf beim Sieg von Jeanmonnot, was den erstmaligen Verlust des Gelben Trikots seit Dezember an die Französin bedeutete. »Vielleicht waren es die Nerven«, haderte Preuß, doch sie schlug beim Hitchcock-Finale zurück: »Ich war die Jägerin und hatte nichts mehr zu verlieren.«
»Am Ende hat Franzis unbedingter Wille entschieden. Sie wusste, dass sie nicht mehr viele Chancen bekommen wird, den Gesamtweltcup zu gewinnen«, meinte Biathlon-Sportdirektor Felix Bitterling mit Blick darauf, dass Preuß nach Olympia 2026 möglicherweise ihre Karriere beenden will: »Sie wollte es wahnsinnig und hat ihre unglaubliche Saison gekrönt.« Bei der WM hatte Preuß bereits ihre erste Einzel-Goldmedaille geholt und insgesamt vier Medaillen gewonnen. In Oslo holte sie nun mit Weltcup-Saisonsieg Nummer vier nicht nur die große Kristallkugel für den Gesamtweltcup-Sieg und 40 000 Euro, sondern nach der kleinen Kugel im Sprint-Weltcup auch noch die für den Massenstart-Weltcup. Insgesamt hat Preuß in dieser Saison um die 360 000 Euro Preisgeld verdient.
Doch viel wichtiger war ihr jedoch der Titel als Gesamtweltcup-Siegerin: »Das ist wirklich eine der größten Leistungen, die man erreichen kann. Da zählt nicht nur ein Tag, sondern viele Tage zwischen November und März. Das ist echt cool. Es ist eine Mega-Leistung, wenn man das gewinnt.« Nur fünf deutsche Biathletinnen haben das in der Weltcup-Geschichte seit 1987 geschafft, zuletzt Laura Dahlmeier vor acht Jahren. Alle fünf hatten Preuß vor dem Rennen noch Glück gewünscht und das hatte die Deutsche am Ende dann tatsächlich. Zudem zeigte sie im Moment des größten Erfolgs samt Audienz in der norwegischen Königs-Loge ihrer Karriere unglaubliche Empathie – dafür hat Franziska Preuß einen Fairplay-Preis verdient.
Der Empfang für die Biathlon-Königin in der alten Heimat ist längst geplant. Am 28. März feiern die Gemeinde Albaching, der Markt Haag, der SC Haag, die Sponsoren und der 1. Franziska Preuß-Fanclub ab 18 Uhr »ihre« Franzi. Neben den Bürgermeistern der beteiligten Gemeinden und Landrat Otto Lederer haben sich auch wie in Bayern üblich die Böllerschützen angekündigt. Zuvor wurde jedoch in Oslo gefeiert. Ihre Eltern, die Schwestern mit den Kindern und Lebenspartner Simon Schempp waren extra in Norwegens Hauptstadt gereist. Sie erlebten ein Stück Biathlon-Geschichte mit Franziska Preuß in der Hauptrolle live mit.