»Es gibt keine belastbaren Befunde, dass das bestehende Problem durch technische Mittel gelöst wird«, sagt Silvia von Steinsdorff am Montagmorgen im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses. Die Professorin leitet das interdisziplinäre »Law & Society Institute« (LSI) an der Berliner Humboldt-Universität, das im Auftrag der Senatsverwaltung für Inneres ein Jahr lang zu Bodycams geforscht hat. Das Problem, von dem von Steinsdorff spricht, sind Angriffe auf Sicherheitskräfte bei Polizei und Feuerwehr.
Seit Ende 2022 sind 250 Bodycams bei der Polizei und 50 beim Rettungsdienst der Feuerwehr im Einsatz. Der Einsatz der Kameras am Körper wird juristisch über eine Novelle des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (Asog) geregelt. Teil dieser Novelle ist auch die wissenschaftliche Evalution des Einsatzes der Bodycams. Auf 140 Seiten[1] berichten die Wissenschaftler*innen des LSI von Interviews mit 150 Polizeibeamten, 130 Feuerwehrkräften und rund 40 Stimmen aus der Zivilgesellschaft. Ihr Fazit lautet: Bodycams sind »prinzipiell geeignet«, die Gewaltreduktion zwischen Polizeibeamten und Bürger*innen zu unterstützen. Aber sie haben keinen einzigen Feuerwehrmann gesprochen, der die Kameras im Rettungseinsatz befürwortet.
Ein großes Problem sehen die Wissenschaftler*innen beim mangelnden Wissen über den Einsatz der Kameras: Jede*r hat zwar das Recht, die Polizei aufzufordern, ihre Bodycams einzuschalten. Doch nur wenige wüssten davon. Außerdem fehlten den Beamten Schulungen zum praktischen Umgang mit dem neuen Einsatzmittel. Zum einen technisch, zum anderen juristisch.
Bodycams können im Gegensatz zu anderen Einsatzmitteln bereits im Gefahrenvorfeld eingesetzt werden. Soll heißen: Auch dort, wo keine Gefahr herrscht, wo Personen zum Beispiel keinen Widerstand gegen eine Festnahme[2] leisten. Doch die Asog-Novelle sieht für den öffentlich zugänglichen Bereich und den nicht öffentlich zugänglichen Bereich unterschiedliche Eingriffsschwellen vor, die aber beide im Gefahrenvorfeld liegen sollen. Diese rechtlichen Feinheiten schafften Unsicherheiten bei den Beamten im Umgang mit den Kameras, meinen die Wissenschaftler*innen.
Probleme sehen sie außerdem in der »Kontrolle durch die zu Kontrollierenden selbst« in Bezug auf das Ein- und Ausschalten der Kameras sowie in Bezug auf die Auswertung des Videomaterials. »Gerade Gesprächspartner*innen aus der Zivilgesellschaft machten darauf aufmerksam, dass das Vertrauen der Bevölkerung in das Instrument der Bodycam und in die Polizei gestärkt werden könnte, wenn eine neutrale Stelle für die Sichtung von Bodycam-Videos zuständig wäre«, heißt es laut Bericht.
Für eine größere Transparenz[3] und klarere Kontrollmöglichkeiten schlagen die Wissenschaftler*innen ein automatisiertes Auslösen oder eine Stärkung des Einsichtsrechts des Polizeibeauftragten vor. Berlins Polizeibeauftragter Alexander Oerke findet den Einsatz von Bodycams »aus Beweisgründen« sinnvoll, wie er »nd« sagt. Derzeit klagt er vor dem Berliner Verwaltungsgericht auf Herausgabe von Bodycam-Aufnahmen durch die Polizei. Die Polizei verweigert Oerke die Herausgabe mit der Begründung, dass ein Strafermittlungsverfahren (Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte) eingeleitet wurde. Eine gerichtliche Entscheidung der im Oktober 2024 eingereichten Klage steht noch aus.
»Das Vertrauen in das Instrument der Bodycam und in die Polizei kann gestärkt werden, wenn eine neutrale Stelle für die Sichtung der Videos zuständig wäre.«
Aus der Bodycam-Studie des LSI
Unter den innenpolitischen Sprechern des Abgeordnetenhauses herrscht am Montag ungewohnte Einheit bei der Frage, dass Bodycams bei Polizeibeamten eingesetzt werden sollen. Laut dem Staatssekretär für Inneres Christian Hochgrebe könne man nun »evidenzbasiert« den Einsatz der Kameras ausweiten. Im RBB sprach er davon, Bodycams »idealerweise« bis zum Ende des Jahres flächendeckend einzusetzen. Unklar bleibt, ob die Novellierung des Asog auch auf weitere Beamte ausgeweitet wird.
Der innenpolitische Sprecher der Linken Niklas Schrader sowie der innenpolitische Sprecher der Grünen Vasili Franco sprachen sich für mehr Bedacht im Umgang mit den Ergebnissen der Studie als auch der Asog-Novellierung[4] aus. »Evidenzbasiert heißt, man schaut sich die Studie an, und heißt nicht, die Innensenatorin spricht mit ein paar Feuerwehrleuten«, sagte Schrader. Die Studie sei kein »Selbstbedienungsladen«, bei dem man wesentliche Erkenntnisse ignorieren könne, meint Franco.