Für viele Beschäftigte von Lieferando[1] kommt die Meldung zur Unzeit. Erst vergangene Woche war bekannt geworden, dass Lieferando seinen Logistikbetrieb in Österreich einstellen will. Von eigenen festangestellten Fahrer*innen wird das Unternehmen auf Arbeitskräfte von Subunternehmen umsteigen. Nun wurde bekannt, dass Lieferando auch in Berlin zum Teil auf Outsourcing zurückgreift. Das berichtete zuerst der RBB.
Demnach würden Fahrer*innen, die zuvor im Bezirk Spandau gearbeitet hätten, dazu aufgefordert, in anderen Bezirken zu arbeiten, etwa in Steglitz-Zehlendorf oder Charlottenburg-Wilmersdorf. Andernfalls, droht Lieferando, »könnten disziplinarische Maßnahmen, wie Abmahnung oder auch Kündigung deines Vertrages, folgen«. Die Anweisung begründet Lieferando den Fahrer*innen gegenüber mit einem besonders hohen Bedarf in den Nachbarbezirken.
Gegenüber »nd« räumt Lieferando jedoch ein, dass man »in Kleinsttests mit ein paar Restaurants und ortsansässigen Flottenpartnern« das Modell der Fremdvergabe – laut Lieferando der »Wettbewerbsstandard« – teste. Dies werde aber keine Auswirkungen auf Restaurants und Verbraucher*innen haben. Das Unternehmen betont zudem, dass diese Tests »nichts an dem Modell der konzernangehörigen Logistikgesellschaft« ändern würden. Übersetzt: Auch weiterhin sollen Fahrer*innen direkt bei Lieferando angestellt werden.
Die Tests, erklärt Lieferando, würden mit Flottenpartnern durchgeführt, die auch für andere Anbieter ausliefern. Das im RBB-Bericht genannte Hamburger Unternehmen Fleetlery, das Teile der Auslieferung in Spandau übernommen haben soll und auch für Uber Eats ausfährt, war am Dienstag nicht für eine Stellungnahme zu erreichen.
In Berlin setzen Uber Eats und Wolt, die beiden direkten Konkurrenten von Lieferando, seit geraumer Zeit und umfassend auf den Einsatz von sogenannten Flottenpartnern. Dort sind die Fahrer*innen zum Teil festangestellt, zum Teil aber auch als Selbstständige unterwegs. Der Unterhalt, die Bezahlung und die Rekrutierung der Arbeitskräfte wird so auf die Subunternehmen übertragen. Immer wieder tritt der Verdacht der Scheinselbstständigkeit[2] auf – Fahrer*innen würden als Selbstständige beschäftigt, seien de facto aber aufgrund der Weisungsstrukturen in den Betrieb eingegliedert und müssten deshalb eigentlich als Arbeitnehmer*innen sozialversicherungspflichtig angestellt werden.
»Wir brauchen gleiche Wettbewerbsbedingungen«, begründet Lieferando gegenüber dem »Standard« die Vergabe sämtlicher Zustellungen an Fremdfirmen in Österreich. Man habe über Jahre versucht, Benchmarks für die Branche zu setzen, doch kein Mitbewerber sei diesen gefolgt. Das habe zu wesentlichen Wettbewerbsnachteilen geführt, so Lieferando laut »Standard« weiter.
Angestellte Fahrradbot*innen unterliegen in Österreich einem Kollektivvertrag. Demnach liegt der Stundenlohn seit 2023 bei zehn Euro pro Stunde. Nun sollen die Kurier*innen dort alle als Selbstständige für Lieferando ausfahren. In Deutschland versucht die Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG) mittlerweile seit einigen Jahren, einen Tarifvertrag für die Beschäftigten durchzusetzen. Noch heute ist dieser nicht in Sicht. Die für Österreich angekündigte Umstellung auf freie Dienstnehmer erfolge nur in Österreich, nicht in Deutschland, hatte Lieferando erklärt.
Lieferando ist eigentlich nur ein Markenname, unter dem der global operierende Konzern Just Eat Takeaway in Deutschland und Österreich auftritt. Gegenwärtig verhandelt Just Eat Takeaway mit dem Technologieinvestor Prosus über eine Übernahme. Prosus bietet 4,1 Milliarden Euro und ist bereits an weiteren Unternehmen der Branche beteiligt. So hält der Investor 28 Prozent der Anteile von Delivery Hero, dessen ehemalige Deutschland-Tochter Foodora bereits von Just Eat Takeaway geschluckt wurde. Das Feld der Wettbewerber wird zunehmend übersichtlicher.
Um ein Unternehmen für potenzielle Käufer attraktiv zu machen, sind Umstrukturierungen vor Firmenübernahmen keine Seltenheit. Just Eat Takeaway bestreitet jedoch, dass die Massenentlassung in Österreich mit der möglichen Übernahme durch Prosus in Verbindung stehen.
Wird ein Betrieb oder ein Betriebsteil geschlossen oder kommt es zu Massenentlassungen, dann kann der Betriebsrat – sofern vorhanden – einen Sozialplan erzwingen, mit dem die Folgen aus Beschäftigtensicht abgemildert werden können. Bei einer Betriebsübernahme besteht der Betriebsrat weiter.
Erst am vergangenen Wochenende wurde bei Lieferando der Betriebsrat für Berlin und Brandenburg neu gewählt[3]. Bisher wurde das Mitbestimmungsgremium von der Liste des Lieferando Workers Collective (LWC) dominiert. Laut LWC ist nun die Mehrheit noch einmal ausgebaut worden: 79 Prozent der Stimmen und somit 15 Sitze entfielen auf die Liste des LWC, die von der NGG gestützte Liste Courier Revolution kam auf 21 Prozent der Stimmen und vier Sitze.