nd-aktuell.de / 25.03.2025 / Kultur / Seite 1

»Basic Research« in Berlin: Abstraktion am Boden

Der Zustand der Werkstatt: Die Isa-Genzken-Ausstellung »Basic Research« in Berlin

Vincent Sauer
Die unebenen Oberflächen sollen einem ins Gesicht springen: Ein Blick in Genzkens Ausstellung in der Galerie Buchholz
Die unebenen Oberflächen sollen einem ins Gesicht springen: Ein Blick in Genzkens Ausstellung in der Galerie Buchholz

Galerie Buchholz, Berlin-Charlottenburg, Fasanenstraße: Wir betreten ein schickes bürgerliches Haus, da liegt roter Teppichboden, es geht in den ersten Stock, die schwere Tür steht bereits offen. Hier beginnt die Ausstellung »Isa Genzken. Basic Research« mit einem beidseitig verspiegelten Gang, links und rechts nichts als man selbst und abstrakte Wand zu sehen. Ich, wohin das Auge blickt, man hat nicht viel Platz, aber Unendlichkeit wird durch die alte Spiegelmagie suggeriert.

Am Ende des Weges steht ein Notenständer, auf dem aber keine Partitur wartet, sondern eine Collage, Schwarzweiß-Fotografien aus alten Zeitschriften über die Faszination Raumfahrt: ein Bild der Raumkapsel Gemini 9, eins von Alan Shepard, dem ersten Ami im All, eine Testrakete auf einem Testgelände irgendwo im Nirgendwo der USA. Die Bilder sind geknickt, verklebt, ein Streifen aus vielen kleinen Goldvierecken ist oben am Notenständer montiert, die kleine Lampe aber aus. Der unendliche Weltraum als Spiegelkabinett, der Notenständer des Stars als Ablage für alte Reportagen – Genzkens Arbeit »OIL VIII« aus dem Jahre 2007, ursprünglich für die Biennale in Venedig konzipiert, zieht den Besuchern den Boden unter den Füßen weg.

Es ist bereits die 17. Solo-Ausstellung von Isa Genzken in der Galerie Buchholz. Im Sommer 2023 hatte ihr die Neue Nationalgalerie in Berlin zum 75. Geburtstag eine Retrospektive in 75 Objekten gewidmet. Zehn Jahre zuvor hatte bereits das New Yorker Museum of Modern Art so eine Hommage für sie ausgerichtet. Daniel Buchholz hat seine erste Ausstellung mit Genzken 1987 in Köln gemacht; damals war sie noch mit Gerhard Richter verheiratet, bei dem sie auch in Düsseldorf studiert hatte. In den folgenden Jahrzehnten wurde Genzken ein Kunstweltweltstar, wird meist als Bildhauerin verstanden, legt sich aber auf kein Medium fest.

Trotzdem verwundert, dass die als »Basic Reserach« ausgestellten Werke nun Ölbilder sind. Entstanden ist diese »Grundlagenforschung« 1988 bis 1992, und zwar tatsächlich am Boden: Genzken breitet die Leinwand am Boden aus, gibt Öl drauf und rakelt los. Das Frottage-Verfahren sorgt dafür, dass Abdrücke ihres Arbeitsbodens zu nicht-gegenständlicher Malerei werden. Wobei Abstraktion oft eine vorschnelle Unterstellung ist. Aus gewissen Abständen kann der Eindruck entstehen, die Bilder zeigten Satellitenaufnahmen von Steinwüsten oder organischem grünen Gelände. Eine Mikroskop-Perspektive wäre auch denkbar. Zur Orientierung subjektiver Befindlichkeit dienen diese Bilder jedenfalls nicht. Im Begleittext erfährt man von der »Staubzucht« des Marcel Duchamps in dessen Atelier, die vor mehr als 100 Jahren von Man Ray für die Zeitschrift »Littérature« fotografiert wurde. Alles Partikel.

Dass einem die Materialität, die Gemachtheit, die unebenen Oberflächen der nicht geglätteten Werkstattwelt ins Gesicht springen, verhindert die unendlichen individuellen Projektionen beim Betrachter, die saubere Farbfeldmalerei auslösen kann. Zwar sind die Bilder monochrom, aber die Strukturen aus der Frottage bringen Bewegung auf die Leinwand, bieten keine klare Perspektive, aber Räumlichkeit. Allerlei Spuren sind auf den Bildern: Fette Kleckse, dickere und dünnere Schlieren erinnern an unsaubere Herstellungsprozesse. Man hat es hier nicht mit transzendenten Dingen zu tun, sondern Resultaten körperlicher Arbeit, intendierten Nebenprodukten, gewonnen aus dem Zustand der Werkstatt, wenn man so will.

Wenn man sich darauf einlässt, mit diesen Arbeiten etwas Zeit zu verbringen, werden auch Fragen des Formats, der Rahmung allmählich zur dringlichen Angelegenheit. Es zeitigt eigentümliche Effekte, wenn nicht die gesamte Leinwand bemalt ist, sondern Kanten weiß bleiben, wo man sich doch frontal vor dem Werk allmählich der Illusion hätte hingeben können, man blickt auf ein Mondgebirge, einen Dschungel. Zu »Basic Research« gehören auch einige Blätter, kleinformatige, die in ihren ordentlichen Rahmen schon fast wie eine erzwungene, handliche abstrakte Kunst für platzsparende Käufer wirken neben den größeren, freien, ohne Rahmen. Andere Arbeiten erinnern plötzlich an Mauern, anderswo geraten anscheinend die Farben durcheinander und die Monochromie wird gebrochen. Gegen den gekitteten Blick: Genzkens simples Frottage-Verfahren sorgt keineswegs für einfache Bilder, die in der Auswahl und Hängung in der Galerie Buchholz für Anlässe sorgen, das eigene Sehen, Darstellenwollen, Abstrahierenmüssen zu erforschen.

Isa Genzken: »Basic Research«. Galerie Buchholz, Fasanenstraße 30, Berlin, bis 12. April