Die demokratischen Errungenschaften der EU müssen für die kommenden Generationen verteidigt werden. Das erklärte der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (EWSA), Oliver Röpke, in der vergangenen Woche bei einem Pressegespräch in Brüssel. Über vier Tage hatte die EU ins dortige Jacques-Delors-Gebäude rund 800 Delegierte von NGOs aus fast ganz Europa geladen, an der jährlichen »Zivilgesellschaftswoche« teilzunehmen.
Spürbar hofiert wurden vor allem Gruppen von den EU-Beitrittskandidaten. Der Fokus lag bei zivilgesellschaftlichen Organisationen, die in diesen und in den benachbarten Ländern im Sinne der EU wirken: »Belarus, Moldawien, Westbalkan, Türkei, Serbien«, zählte Röpke auf. Die Region soll durch die Förderung prowestlicher Zivilgesellschaften dem Einfluss von Russland und China entzogen werden. Besonders wichtig, so Röpke, sei »der Aufbau von sozialpartnerschaftlichen Strukturen in den Kandidatenländern und benachbarten Staaten«. Der EWSA ist ein beratendes Organ der EU, in dem Vertreter von Unternehmerverbänden wie auch der Interessenvertretungen der Lohnabhängigen aus allen Mitgliedstaaten zusammenkommen.
Auch in einigen Mitgliedstaaten der EU sei »die Demokratie bedroht«, warnte Röpke. Besonders richtet sich in Brüssel der Blick derzeit auf die Slowakei, wo es große Antiregierungsproteste gibt. Am vergangenen Samstag hatten sich im Zentrum der Hauptstadt Bratislava wieder Tausende versammelt, die einem Aufruf der »Freunde der Ukraine« gefolgt waren. Neben slowakischen National- und EU-Fahnen wurden dabei die blauen Flaggen der Nato geschwenkt.
Während auf der Brüsseler »Zivilgesellschaftswoche« Rechtsstaatsverletzungen und die Gefahren für die liberale Demokratie[1] in der Slowakei und Ungarn herausgestellt wurden, deren Regierungen dem Rüstungspaket der EU-Kommission skeptisch gegenüberstehen, waren Demokratiedefizite in der Ukraine kein Thema.
»Wir begrüßen die Schritte, die Deutschland getätigt hat. Es geht in die richtige Richtung, es ist ein wichtiges Signal«, kommentierte Röpke die Aufhebung der Schuldenbremse für Investitionen in die Aufrüstung durch eine Grundgesetzänderung.
So etwas müsse nun auch auf EU-Ebene geschehen. Es brauche »mehr Flexibilität«, nötig sei die Aufhebung der fiskalischen und monetären Maastricht-Kriterien. »Sie wurden in einer Zeit des Friedens verfasst«, erklärte der EWSA-Präsident. Doch wappne sich Europa für einen Krieg gegen Russland, wie EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen regelmäßig mahne. Gegenüber »nd« betonte Röpke, dass es aber nicht nur um Rüstungsausgaben gehe: »Wir haben einen breiteren Begriff von Widerstandsfähigkeit, der beinhaltet, dass wir die Zivilgesellschaften stärken müssen.«
In einer Stellungnahme des EWSA vom 26. Februar werden die Pläne, die NGOs kriegstüchtig zu machen, so beschrieben: »Geopolitische Herausforderungen, insbesondere die russische Aggression gegen die Ukraine, erfordern sofortige und strategische Investitionen in Verteidigungsfähigkeiten – sowohl in die militärische als auch in die zivile Bereitschaft, um die Grundwerte, Frieden, Sicherheit und die wirtschaftlichen Interessen der EU zu schützen.« Diese »Ressourcen und operativen Kapazitäten müssen mit der Nato koordiniert werden«.
Der Prozess zielt demnach darauf, die »zivile Bereitschaft« zu stärken: »Unsere Aufgabe ist es, dass nicht alles Geld ausschließlich in die Verteidigung gesteckt wird und dies dann auf Kosten der sozialen Sicherheit[2], Bildung und Infrastruktur geht« – dann das könnte die Rüstungspläne in Misskredit bringen. Zum Vorschlag des Nato-Generalsekretärs Mark Rutte, zwei bis drei Prozent des Sozialbudgets zugunsten des Militärs zu kürzen, steht der EWSA-Chef daher kritisch: »Das können wir nicht akzeptieren, denn dann verlieren wir die Unterstützung der Menschen dafür«, so Röpke gegenüber »nd«. »Das habe ich Rutte auch persönlich gesagt.«
Die Gewerkschaften und NGOs, die vergangene Woche in Brüssel anwesend waren, sollen Kürzungen im Sozialbereich bremsen – aber der Hochrüstung in der Europäischen Union nicht im Weg stehen. Auch der EWSA erhofft sich von der florierenden Rüstungsindustrie gut bezahlte Arbeitsplätze.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1190098.aufruestung-ngos-fuerchten-um-sozialen-frieden.html