nd-aktuell.de / 27.03.2025 / Kultur / Seite 1

»Stasi FC«: Mit dem Rücken zum Spiel

»Stasi FC«: Ein Dokumentarfilm über den BFC Dynamo, den Lieblingsfußballklub von Erich Mielke

Frank Willmann
Stasi hin oder her – auch der BFC Dynamo hatte seine ganz normalen Fans.
Stasi hin oder her – auch der BFC Dynamo hatte seine ganz normalen Fans.

Staatlich verordnetes Doping im Leistungssport der DDR ist ein altes Thema, dazu gibt es viele Veröffentlichungen und Filme seit dem Ende dieses Staates. Der Dokumentarfilm »Stasi FC« verhandelt nun ein bislang weniger beachtetes Kapitel: den DDR-Spitzenfußball und seine systematische Bearbeitung[1] durch das Ministerium für Staatssicherheit. Sein ungeliebter Spitzenklub war der BFC Dynamo. Der begann 1979 in der Oberliga, der höchsten DDR-Spielklasse, seinen zehnjährigen Siegeszug und wurde nach der dritten Meisterschaft in Folge zum meistgehassten Klub des Landes.

Weil der Chef des MfS, Erich Mielke, Fan des BFC war, bekam der Verein der Staatssicherheit, der Volkspolizei und des Deutschen Zolls vom Volksmund den Spitznamen »Mielke-Klub« verpasst. Bekanntlich war Erich Mielke ein überzeugter Kommunist und rücksichtsloser Tschekist, der einen der erfolgreichsten Geheimdienstapparate der Welt aufgebaut hatte. Und das sollte man auch sportlich merken.

Anfang der 70er Jahre wurde das bis dahin erfolgreichste Team der DDR-Hauptstadt, der Armeesportklub (ASK) Vorwärts Berlin, kurzerhand entwurzelt und nach Frankfurt (Oder[2]) delegiert. Fortan war der BFC Hecht im Karpfenteich und machte reichlich Beute. Verheißungsvolle Talente aus kleineren Vereinen wurden in der DDR nicht umworben, sondern delegiert. Davon erzählt dieser Dokumentarfilm. »Wenn es einen Spieler gab, den Mielke wollte, wurde dem Jungen gesagt: ›Nach dem Sommer wirst du für den BFC spielen, und wenn du es nicht tust, ist das das Ende des Wettkampfsports für dich‹«, sagt Falko Götz, einer der porträtierten Zeitzeugen, der ab 1971 für Dynamo spielte, bis er sich 1983 von Belgrad aus in den Westen absetzte und dann für Leverkusen und Köln auflief.

Etlichen DDR-Schiedsrichtern wurde nachgesagt, zuverlässig ihre Trillerpfeifen zugunsten des BFC erklingen zu lassen. Eine schriftliche Anweisung findet sich nicht, doch wird diese These unterstützt von zahlreichen merkwürdigen Schiedsrichterentscheidungen zugunsten des BFC. Zumal etliche Schiedsrichter Inoffizielle Mitarbeiter der Stasi waren, beispielsweise Bernd Stumpf, der 1986 beim (die Meisterschaft entscheidenden) Spiel zwischen Lok Leipzig und dem BFC Dynamo fünf Minuten nachspielen ließ, bis er dem Mielke-Klub in der 95. Minute einen Elfmeter geben konnte. Das machte die Mannschaft des BFC eher verlegen, »niemand wollte so gewinnen«, sagt Falko Götz im Film. Den Fans des BFC war das egal, sie nahmen die Schiedsrichterentscheidungen mit frechem Humor und sangen: »Wer soll unser Führer sein? Erich Mielke!«

Rein sportlich gesehen hatte der BFC solche merkwürdigen Schiedsrichterentscheidungen gar nicht nötig. »Der BFC Dynamo hatte zweifellos all die Jahre ein Topteam«, sagt Ralf Minge, ein ehemaliger Spitzenstürmer von Dynamo Dresden, das dem BFC lange Jahre im Rennen um die Meisterschaft ein würdiger Rivale war.

Im europäischen Maßstab war der BFC keine Spitzenmannschaft und flog im Europapokal öfter schon in der ersten Runde raus. Falko Götz: »Wir haben nationale Titel gewonnen, aber international waren wir eine absolute Katastrophe. Für mich gab es nur den westdeutschen Fußball, wo man als Spieler für seine eigenen Leistungen verantwortlich war.«

Deshalb gingen einige Spieler des BFC in den Westen: Falko Götz, Dirk Schlegel, Lutz Eigendorf. Letzterer war Mielkes Lieblingsspieler. Als er 1979 in die BRD geflüchtet war, tobte Mielke vor Stasi-Offizieren und soll den Tod des Verräters verlangt haben. 1981 starb Eigendorf bei einem Autounfall, eine Beteiligung der Stasi konnte nie bewiesen werden, aber für Götz steht »außer Frage, dass die Stasi dazu in der Lage war«.

1981 war auch das Jahr, in dem die Stasi dank willfähriger Spitzel die Flucht dreier Dresdner Spieler in den Westen verhinderte. Einer von ihnen war Gerd Weber, der in »Stasi FC« tränenreich sein Schicksal beklagt. Leider vergisst er bei der Gelegenheit zu erwähnen, dass er vor der gescheiterten Flucht vier Jahre lang als Inoffizieller Mitarbeiter »Wiehland« des MfS seine Mannschaftskameraden ausspioniert hatte.

Der BFC holte 1988 seinen zehnten Meistertitel in Folge. Danach ging es abwärts mit dem Klub, dem man noch heute seine Vergangenheit als Stasi-Klub vorhält, im Gegensatz zu Dynamo Dresden, wo bis Herbst 1989 auch das Ministerium des Inneren das Sagen hatte.

Mit konventioneller Dramaturgie wechseln sich im Film großartige Archivaufnahmen, atmosphärische Kamerafahrten und Talking Heads ab, wobei vor allem ehemalige Fußballer zu Wort kommen. Das ist flott geschnitten und sorgt für einen coolen Drive. Ein Kontrast zur peinlich halb garen Steifheit der BFC-Spieler in Gegenwart von Funktionären.

Viel zu kurz kommt die Rolle der in der DDR nur schwer zu kontrollierenden Fans, die im Fall des BFC durchaus ironisch auftraten, aber hier bis auf wenige Sätze wie »Wir haben teilweise mit dem Rücken zum Spiel gestanden, aus Provokation« dem Schneidetisch zum Opfer fielen.

Es gelingt »Stasi FC« gut, Rücksichtslosigkeit und Willkür des DDR-Überwachungssystems zu vermitteln, wobei diese etwas zu stark auf die Person Erich Mielke reduziert wird; die Fußballer und Funktionäre treten ausschließlich als Opfer auf, die aktive Mitarbeit von Sportlern und Trainern bleibt außen vor. Fragwürdig sind die Auftritte der ehemaligen Inoffiziellen Mitarbeiter Gerd Weber und Bernd Stange[3], früher einmal DDR-Nationalcoach, weil deren Spitzeltätigkeit nicht angesprochen wird.

Auch die schmallippigen Aussagen eines hauptamtlichen Stasi-Offiziers tragen wenig zur Erhellung bei. Hier wurde eine Chance verschenkt, ihn nach Methoden der Überwachung und der Repression der Fußballer und Fans zu befragen. Und auch eine Stimme aus dem Off verfehlt das Tor, wenn sie sagt, Mielke sei Präsident des BFC Dynamo gewesen. Einen Präsidenten gab es nicht, nur einen Klubvorsitzenden, und der hieß Manfred Kirste.

Prädikat: Mit Abstrichen sehenswert.

»Stasi FC«, Deutschland 2023. Regie: Daniel Gordon, Arne Birkenstock, Zakaria Rahmani. 91 Min. Bereits angelaufen.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/230779.spaete-elfmeter.html?sstr=falko|götz
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1165180.ostkick-ole-die-gewisse-funkstille.html?sstr=andreas|gläser
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1109812.fussballtrainer-in-zeiten-der-krise.html?sstr=bernd|stange