Warum ist es in Deutschland an der Zeit für eine Wasserbewegung, die sich in Verteilungskämpfe um Wasser, den Katastrophenschutz, aber auch die Landwirtschaft einmischt?
Nach der Räumung Lützeraths 2023[1] und nach fast 15 Jahren in der Antikohle- und Klimabewegung habe ich gemerkt, dass sich etwas verändert. Gesellschaftspolitisch, aber auch innerhalb der Bewegung[2]. Wir haben viel erreicht, aber gleichzeitig gibt es ein Rollback, massive Erschöpfung, eine Phase der Neuorientierung. Das ging mir so, aber auch vielen anderen, mit denen ich gesprochen habe. Das Thema Wasser ergab sich, weil mehrere Dinge zusammenkamen: eine Investigativrecherche von Correctiv[3] zu den großen Wasserverbrauchern in Deutschland und gleichzeitig die Proteste in Frankreich gegen die Megabassins.
Das sind riesige Wasserrückhaltebecken für die industrielle Landwirtschaft, gegen die sich die Bewegung »Soulèvements de la Terre«[4] (deutsch: Aufstände der Erde) formiert hat. Im März 2023 sollen den Veranstaltern zufolge 30 000 Teilnehmende in Westfrankreich demonstriert haben. Es kam zu massiver Polizeigewalt, mehrere Aktivist*innen erblindeten oder lagen im Koma.
Uns hat das gezeigt: Es gibt also eine Bewegung, die über Themen wie Landnahme und Ressourcennutzung viele Menschen erreicht. 2024 sind wieder Menschen aus verschiedenen Ländern – davon viele aus Deutschland – nach Frankreich gefahren, um sich an den Aktionen zu beteiligen. Wir haben die Aktivist*innen von Aufstände der Erde auch nach Deutschland eingeladen, um in den Austausch zu gehen und um zu verstehen, worauf der Erfolg ihrer Bewegung basiert.
Nämlich?
Ich glaube, Teile der Linken haben ein falsches Verständnis von den Protesten in Frankreich. Manche nehmen an, dass die massive Eskalation durch die Polizei im März 2023 für die Aktivist*innen ein Sieg war. Das war aber kein Erfolg, sondern ein riesiges Trauma. Der wahre Erfolg von Soulèvements de la Terre liegt in der langfristigen und verbindlichen Arbeit mit Menschen, die auf das Netzwerk zukommen, weil sie sich Unterstützung wünschen. Dabei überlassen die Aktivist*innen diesen Menschen zu großen Teilen die Entscheidungsmacht, was wann und wie passiert. Es ist eben nicht so, dass die Aktivist*innen Lust auf eine Massenaktion zu einem Thema haben, die durchziehen und danach wieder verschwinden.
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Weitere Beiträge in unserem Schwerpunkt zu Verteilungskämpfen ums Wasser in Deutschland:
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Dabei ist doch Zeit gerade das, was fehlt im Kampf gegen die Klimakrise.
Ich sage nicht, dass alle politisch aktiven Menschen anfangen sollen, in Fünf- oder Zehnjahreszyklen zu denken – vor allem nicht bei dem, was gerade politisch vor sich geht. Ich glaube aber, für den Aufbau einer sozialen Bewegung, die zu den Themen Wasser und Landwirtschaft[9] aktiv sein und wachsen will, brauchen wir ein Verständnis, wie wir längerfristig erfolgreich sein und eine wirkliche Gegenmacht aufbauen können. Dass lokale Kämpfe den Ausschlag geben können, haben im Übrigen auch Beispiele wie der Hambacher Forst oder die Dörfer am Rheinischen Braunkohlerevier gezeigt. Das sind Orte, an denen abstrakte soziale, aber auch physische Fragen konkret geworden sind.
Gerade was die Beziehung zu den Menschen vor Ort angeht, gibt es aber auch Kritik an Teilen der Klimabewegung. Mit den Antikohleaktionen in der Lausitz ist sie Ende Gelände 2016 auf erheblichen Widerstand in der Bevölkerung gestoßen.
Ich war damals bei Ende Gelände aktiv, als wir in die Lausitz gegangen sind. Es war eine wichtige und bittere Erkenntnis, dass eine Blockade zwar taktisch sehr erfolgreich sein, aber für den regionalen Widerstand sogar negative Konsequenzen haben kann – eben auch, weil wir vor Ort nicht genug verankert und langfristig verbindlich aktiv waren.
Typischerweise vernetzt sich die Klimabewegung auf sogenannten Klimacamps, die manchmal schon fast Festivalcharakter bieten[10]. Die Wasserkonferenz hingegen fand an einer Hochschule statt, wirkte mit »Keynotes« und »Panels« eher akademisch. Warum dieses Format?
Erfahrungsgemäß erreicht man mit Camps eben nur die eigene Bubble. Leute aus Verbänden, Institutionen oder der Politik schreckt das eher ab. In der Konferenz sehen wir die Chance, unterschiedliche Menschen zusammenzubringen. Wir hätten das sicherlich weniger akademisch aufziehen können, das Format hat aber auch damit zu tun, dass wir einfach noch sehr, sehr viel lernen müssen über das, was es in den letzten Jahrzehnten an Wasserprotesten schon gegeben hat, und ebenso, was es etwa an Wassergesetzgebung gibt. Wir müssen genauer verstehen, wo sich in den nächsten Jahren die Konflikte zuspitzen werden.
Teil einer neuen Wasserbewegung soll die Katastrophenhilfe sein, etwa nach Flutereignissen. Ist das nicht eine staatliche Aufgabe?
Egal ob Dürren oder Starkregenereignisse, wir wissen: Die Krisen werden kommen. Und es wird Momente des Kontrollverlustes geben, in denen staatliche Hilfe nicht ausreicht. Im Ahrtal haben wir erlebt, wie Querdenker versucht haben, nach der Flut Fuß zu fassen. So etwas gilt es zu verhindern.
Trotzdem ist das ein wichtiger Punkt: Wenn man eigene Strukturen aufbaut, besteht die Gefahr, dass man staatliche Aufgaben übernimmt und so dazu beiträgt, dass sich ein neoliberaler Staat noch weiter zurückziehen kann. Gleichzeitig haben wir vergangenes Jahr bei der Flutkatastrophe in Valencia gesehen, dass sich rechte Regierungen weniger auf solche Ereignisse vorbereiten und der staatliche Katastrophenschutz dann nicht mehr gut funktioniert – so etwas droht in Deutschland auch, unter einer Regierung, die den Klimawandel nicht priorisiert. Dann braucht es eine Antwort aus der Zivilgesellschaft, um sich zu schützen und um solidarische Perspektiven aufzumachen.
Wird aus der Klimabewegung damit nicht eine Klimaanpassungsbewegung?
Die Klimagerechtigkeitsbewegung, die wir in den letzten beiden Jahrzehnten aufgebaut haben, ist mit ihren bisherigen Strategien und ihrer Mobilisierungskraft in einem Tal. Der Kampf für die 1,5-Grad-Grenze ist gescheitert. Wir müssen uns mit Klimaanpassung beschäftigen und damit, wie wir in der Klimakrise Gerechtigkeit erkämpfen können. Das heißt nicht, dass wir den Klimaschutz hinter uns lassen. Damit spielen wir den Rechten und Konservativen nur in die Hände. Aber die Forderungen müssen eben an die neuen gesellschaftlichen und ökologischen Realitäten angepasst sein. Wir brauchen neue Strategien und Narrative, und wir müssen überlegen, wie wir Menschen gewinnen können und weiterhin politisch Druck ausüben können. Eine Wasserbewegung ist dafür eine Möglichkeit im deutschsprachigen Raum.
Warum soll ausgerechnet das Thema Wasser neuen Schwung in die Klimabewegung bringen?
Eine Wasser- und Landwirtschaftsbewegung kann den Kulturkampf ums Klima ein Stück weit entspannen und Menschen mobilisieren, die vielleicht desillusioniert sind. Dafür braucht es aber eine längerfristige Perspektive. Vor allem müssen wir dafür authentisch auftreten. Als wir vergangenes Jahr mit der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft ins Gespräch gekommen sind, hat uns ein Mitglied gesagt: Wenn ihr Aktionen machen wollt, die die Landwirtschaft betreffen, dann kommt erst einmal einen Sommer zu uns auf den Hof und arbeitet mit.
Und haben Sie Ihren Sommer auf einem Bauernhof verbracht?
Noch nicht, aber im Mai machen wir mit hundert Aktiven drei Wochen lang die Radtour »Landwirtschaft in Bewegung« durch Deutschland und besuchen Höfe, Solidarische Landwirtschaften und andere Projekte.
Zur Konferenz sind Leute aus Frankreich gekommen, die in der Landwirtschaft arbeiten, auch der Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft war vor Ort. Man sieht: So langsam wachsen zarte Pflänzchen an Netzwerken und Beziehungen. Und aus Beziehungen können Bewegungen entstehen.