Die Kampstraße in der Dortmunder Innenstadt am Samstagmittag. Die Farbe Schwarz dominiert. 500 überwiegend autonome Antifaschist*innen haben sich zur Demonstration in Erinnerung an Thomas »Schmuddel« Schulz[1] versammelt. Vor 20 Jahren war der Punk hier in der U-Bahn-Station erstochen worden.
Zur Begrüßung spricht die Initiative »erinnern verändern«. Die Rednerin erzählt, dass sie regelmäßig, wenn sie mit der U-Bahn an der Kampstraße vorbeikommt, an den Mord denken muss: »Ich war damals 15 und kannte Thomas nicht, aber die Tat hat mich – wie viele andere Dortmunder*innen – politisiert und geprägt.« Die Gewalt der Nazis, Hetzjagden auf Antifaschist*innen und Angriffe auf Orte, an denen sich Linke aufhalten, hätten genauso Spuren hinterlassen wie der Umgang der Stadtgesellschaft mit den neonazistischen Aktivitäten. »Es war ein ständiger Abwehrkampf, für manche mit weitreichenden persönlichen Konsequenzen und ohne die Möglichkeit, sich zu Hause, am Arbeitsplatz und in der Freizeit dem Naziterror zu entziehen«, so die Rednerin. Antifaschismus sei notwendiger Selbstschutz gewesen.
Die Initiative »erinnern verändern« ist geschichtspolitisch aktiv. In ihrer Rede reflektierte die Initiative auch die linke Gedenkpolitik. Dass Thomas Schulz im letzten Jahr vom Landeskriminalamt als Opfer rechter Gewalt anerkannt wurde, bewertet die Rednerin als Erfolg für antifaschistische Gedenk- und Aufklärungsarbeit. Dass zum früheren Umfeld von Thomas Schulz und seiner Familie kein Kontakt besteht, bedauert die Rednerin. Am Ende ihrer Rede rief »erinnern verändern« dazu auf, am kommenden Freitag in Erinnerung an Mehmet Kubaşık auf die Straße zu gehen. Kubaşık war am 4. April 2006 vom NSU in Dortmund ermordet worden.
Nach dem geschichtspolitischen Auftakt zogen die Demonstrant*innen zum Dortmunder Landgericht. Dort zeichnete die »Antifa Union« den Prozess gegen Thomas Schulz’ Mörder, Sven Kahlin, und dessen weitere Begegnungen mit der Justiz nach. Das Fazit: »Durch ihre laxen Urteile und langsame Strafverfolgung« hätten Dortmunder Gerichte wesentlich dazu beigetragen, dass Nazis in der Stadt gewalttätig agieren konnten, ohne fürchten zu müssen, dafür belangt zu werden. Das sei aber kein Grund für »Verschwörungsgeraune« über eine mit Neonazis kooperierende Justiz. Es gebe ein Spannungsfeld, so die Antifa Union. Einerseits seien Haftstrafen kein Allheilmittel gegen Nazis, andererseits könnten Strafverfolgung und Justiz unter den gegebenen Umständen »Nazistrukturen im Zweifel mehr schaden, als wir es je könnten«. Eine funktionierende, unabhängige Judikative müsse »aus linker Perspektive« als »Fixpunkt« betrachtet werden, »hinter den es keinen Rückfall« geben dürfe. »Repressiven Träumen von Selbstjustiz« erteilte die Antifa Union genauso eine Absage wie den »Träumen« von einer »Welt ohne Knäste«. Es seien leider Zeiten, in denen es mehr um Abwehrkämpfe als Utopien gehe. Gleichzeitig dürfe man die Justiz nicht idealisieren, dies zeigten die Dortmunder Zustände über Jahrzehnte.
Über die aktuellen Zustände in der Ruhrgebietsmetropole sprach die Autonome Antifa 170. Der Dortmunder Polizeipräsident hatte vor einiger Zeit verkündet, die Neonaziszene der Stadt sei zerschlagen. Jüngst kam dazu schon Widerspruch vom Verfassungsschutz. Die Autonomen hatten dem noch einiges kritisch hinzuzufügen. Nazikader seien nicht wegen der Polizei weggezogen, sondern weil sie festgestellt hätten, in Westdeutschland »keine gesellschaftliche Relevanz erreichen« zu können. Die Polizei habe mit ihrem Vorgehen gegen die Nazis nicht mehr als ein »Minimum im Selbstanspruch der bürgerlichen Demokratie« erfüllt. Von einer Zerschlagung der Szene könne auch nicht die Rede sein, so die Autonome Antifa 170. Ende November 2024 hätten 50 Nazis an einer Kundgebung teilgenommen. Ein »Mix aus alteingesessenen Kadern, wie Sven Skoda, und blutjungen Nazis, die sich in der Optik der 90er Jahre probierten.«
Die jungen Nazis[2] versuchten sich auch an Angriffen und seien gut vernetzt, bis hin zur Dresdner Elblandrevolte. Für Antifaschist*innen gebe es viel zu tun, so die Autonomen: »AfD und CDU sind nur die deutlichen Zeichen des Rechtsrucks, dem wir uns entgegenstellen müssen.« Die Neonazi-Szene dürfe man darüber aber nicht vergessen: »Neonazis sind eine konkrete Gefahr für das Leben. Der heutige Tag erinnert uns nur allzu schmerzlich daran.« Am späten Nachmittag endete die Demonstration am Polizeipräsidium.