Howdy aus Texas, liebe Lesende,
das einzig Gute an der chaotischen Gesamtsituation in meiner Wahlheimat ist, dass mir durch sie wohl nie der Stoff für diese Kolumne ausgehen wird. Jeden Morgen studiere ich die Nachrichten-Headlines: Wurden wieder nach Amerika reisende Deutsche verhaftet? Werden schon US-kritische Journalisten festgenommen? Werden womöglich auch Mütter von frechen Töchtern in Gewahrsam genommen? Nein? Dann bin ich ja noch safe.
Ich wechsle zu Social Media. Auf Tiktok sind nur noch verrückte Unbekannte, wie der beknackte Personal Trainer Ashton Hall, der seine abstoßende Morgenroutine dokumentiert: um 3.55 Uhr aufstehen, auf dem Balkon Liegestütze machen und dabei sehr laut keuchen, dann die Visage tüchtig in Saratoga-Wasser (3 Dollar pro Flasche) mit Eiswürfeln (unklar, ob auch aus Saratoga-Wasser) tunken, dabei Van-Cleef-Alhambra-Armband (4600 Dollar exklusive Mehrwertsteuer) und Dior-Gürteltäschchen (2100 Dollar, auch exklusive Mehrwertsteuer, es sei denn, er hat es aus Europa, dann billiger) tragen.
Auf Instagram sind dagegen nur noch verrückte Bekannte: Jede pseudointellektuelle privilegierte Amerikanerin in meinem Umkreis, die etwas auf sich hält, vergleicht die jetzige Lage in ihrem Land mit dem ihr bis gestern völlig unbekannten Nazideutschland und sich selbst mit der ihr bis heute unbekannten Anne Frank. Ich glaube, das nennt man in woken Kreisen Geschichtsverdrehung und kulturelle Aneignung. Aber wohl nicht, wenn es einen selbst betrifft.
Also rüber zu Facebook, dem Urlaubsparadies der Boomer-Generation, das sowohl verrückte Bekannte als auch verrückte Unbekannte vereint. Sie treffen sich in Facebook-Gruppen, welche Dante, wenn er sie denn kannte (hoho!), zum zehnten Höllenkreis seines Infernos erklären würde. Ich bin in einigen Mitglied – ob aus Masochismus oder Manie, das ist schwer zu sagen. Da wären die »Deutschen in Texas«, die trotz hohem Alter, vorbildlichem Benehmen und allen nötigen Papieren täglich Panik wegen der wechselnden Aus- und Einreiseinformationen schieben und die schlechteste Grammatik, die die deutsche Sprache je gesehen hat, an den Tag legen, deretwegen ihnen eigentlich die Einreise nach Deutschland verboten werden sollte.
Die »Russen in Texas« hatten gerade noch ordentlich Wahlwerbung für den jetzigen Präsi gemacht, heulen nun jedoch herum, dass sie abgeschoben werden könnten – weil sie offenbar nicht die nötigen Papiere besitzen.
Die Facebook-Gruppe »Mütter von Frisco« (das ist eine ziemlich hässliche, aber sehr beliebte, weil teure Vorstadt hier in der Region) ist sonst immer Anlaufstelle für Diätpillen, Infos, woher man dubiose Ozempic-Rezepte bekommt, Homeschooling-Tipps für »talentierte« Kinder und Werbung für mobile »IV-Hydration-Services«. Neuerdings sind diese Mommys aber auch eine Anlaufstelle für Impfgegner. So postete doch letztens eine Trulla, sie sei frisch zugezogen und suche (ich übersetze frei): »einen Botox- und Filler-Spezialisten«, »einen Hormon-Doktor für meinen Mann« (sag doch gleich Viagra), »christliches Ehe-Counseling« (falls das Viagra nicht wirkt) und, Trommelwirbel, »einen Kinderarzt, der mich nicht wegen Impfungen nervt«!
Sie denken jetzt, der Post habe sehr viel negative Resonanz bekommen. Mitnichten. Sie erhielt Zustimmung und viele Empfehlungen. Denjenigen, die danach fragten, wie sich Nervengift und Impfabneigung vereinbaren ließe, entgegnete die Trulla, sie wolle ihre Kinder schützen, aber auch den Alterungsprozess aufhalten.
Schützen nennt man also heutzutage die Weigerung, sich am für die Gesellschaft lebenswichtigen Impfprozess zu beteiligen. Dieser sogenannte Schutz führte auch zum Ausbruch einer Masernepidemie in Texas: 422 Fälle in diesem Bundesstaat und Jahr allein, von einer Krankheit, die längst besiegt worden war. Und wo Impfgegnerei am Werk ist, ist die Rohe-Milch-Fraktion nicht weit, die zweite gefährliche Liebschaft der Vorstadtmuttis. Einst schoss wegen der Vakzinierungen und Pasteurisierungen die Lebenserwartung weltweit in die Höhe, nun droht diese Entwicklung von ungebildeten, privilegierten Trullas wieder umgedreht zu werden. Aber wenn schon dem Untergang geweiht, dann wenigstens erhobenen, in Eis getauchten und mit Fillern aufgeplusterten Hauptes.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1190327.talke-talks-botox-masern-und-hormone.html