Wenngleich ziemlich aufgeräumt, ist der Weltraum zwischen den Sternen doch nicht gänzlich leer: Das »interstellare Medium« setzt sich aus Gas und mikroskopischen Staubteilchen zusammen. Mit durchschnittlich einigen wenigen bis einigen tausend Teilchen pro Quadratzentimeter (in den »dichten« Molekülwolken) ist die kosmische Leere zumeist immer noch deutlich besser als das beste Vakuum, das auf der Erde erreicht werden kann – etwa jenes beim Kernforschungszentrum CERN[1], das mit höchstem technischen Aufwand auf einige hundert Atome pro Kubikzentimeter kommt.
Doch die Abstände im Universum sind gewaltig, sodass sich selbst eine extrem geringe Teilchendichte bei der Beobachtung ferner Objekte bemerkbar macht. Das Sternenlicht wird beim Durchgang durch die interstellare Materie absorbiert und vielfach gestreut. Die sogenannte Extinktion oder Schwächung des Lichts ist dabei von der Wellenlänge abhängig: Staubteilchen absorbieren Licht bei kürzeren Wellenlängen (blaues Licht) stärker und etwas weniger stark bei längeren Wellenlängen (rotes Licht). Sterne erscheinen so stets etwas leuchtschwächer und rötlicher als sie eigentlich sind. Doch wie viel macht die Extinktion aus, oder anders gefragt: Wie sieht der beobachtete Stern »in Wirklichkeit« aus? Da die Verteilung der Materie in der Milchstraße[2] nur ansatzweise bekannt ist, müssen Astronomen auf Abschätzungen zurückgreifen, um das Licht von beobachteten Objekten interpretieren zu können.
In einer neuen Studie[3] haben Astronomen nun die bisher detaillierteste dreidimensionale Karte des kosmischen Staubes in der Milchstraße erstellt. Dazu verwendeten sie Spektren der Esa-Mission »Gaia« sowie des chinesischen Teleskops Lamost – und programmierten sich Hilfe im Rahmen des maschinellen Lernens.
Die Raumsonde »Gaia« durchmusterte gut zehn Jahre den gesamten Himmel im optischen Bereich und vermaß für fast zwei Milliarden Sterne der Milchstraße deren Position, Bewegungsrichtung und Helligkeit mit bis dahin unerreichter Präzision. Für einen Teil der Objekte wurde ein Spektrum aufgezeichnet, das jedoch verhältnismäßig niedrig aufgelöst ist: Unterschiedliche, sehr nahe beieinander liegende Wellenlängen können so unter Umständen nur schwer auseinander gehalten werden.
Für die neue Studie wurden 130 Millionen Sternspektren von »Gaia« ausgesucht und mit Informationen der Lamost-Durchmusterung des größten chinesischen optischen Teleskops ergänzt, die für rund ein Prozent der ausgewählten Sterne sehr hochaufgelöste Spektren lieferte. Zusammen ließen sich so grundlegende Eigenschaften der Sterne wie deren Oberflächentemperatur sehr genau bestimmen.
Fehlt nur noch der Staub, denn: Wie würde auf der Erde das echte Sternspektrum aussehen, wenn das Licht seinen langen (aber dank »Gaia« gut bekannten) Weg durch die Milchstraße genommen hat?
Die insterstellaren Gas-Staubwolken sind die Geburtsstätten von Sternen.
Mit Hilfe eines künstlichen neuronalen Netzes, wie es beim maschinellen Lernen eingesetzt wird, generierten die Astronomen eine Vielzahl von Modellspektren, die der Computer mit den 130 Millionen »Gaia«-Spektren verglich. Unter dem Einsatz statistischer Verfahren ließ sich so eine dreidimensionale Karte des interstellaren Staubes in der Milchstraße erstellen.
Dabei war der Staub sogar noch für eine Überraschung gut. So hatte man bisher erwartet, dass in dichten Staubregionen Licht aller Wellenlängen fast gleich stark absorbiert wird. Es zeigte sich jedoch, dass bereits bei einer mittleren Staubdichte kleinere Wellenlängen deutlich effektiver absorbiert werden als größere. Die Wellenlängenabhängigkeit könnte den Astronomen zufolge auf das Vorhandensein einer bestimmten Molekülgruppe, die polyzyklischen Kohlenwasserstoffe, zurückzuführen sein. Auf der Erde zumeist sehr ungesund, könnten die Verbindungen im Weltraum womöglich eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Leben spielen.
Der Staub sowie seine Zusammensetzung und Verteilung sind auch für andere Bereiche der Astrophysik von erheblichem Interesse. Schließlich sind die gewaltigen insterstellaren Gas-Staubwolken die Geburtsstätten von Sternen – und damit letztlich auch Enstehungsort von Planeten wie der Erde.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1190358.astronomie-eine-staubkarte-der-milchstrasse.html