nd-aktuell.de / 06.04.2025 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 1

Zukunft der Altersvorsorge: Im Bann der Rentendystopie

Die Alterssicherung kann sich in den kommenden Jahren in diverse Richtungen entwickeln. Das ist zum Beispiel von den Koalitionsverhandlungen abhängig

Sarah Yolanda Koss
Gestützten Schrittes in eine ungewisse Zukunft
Gestützten Schrittes in eine ungewisse Zukunft

»Wollen wir ein armutszentriertes Rentensystem oder eines, das Armut vermeidet?«, fragt Frank Nullmeier, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Bremen, in die Runde. Im Zuge einer Debatte der Heinrich Böll Stiftung der Grünen stellt er am Freitag, gemeinsam mit Magnus Brosig von der Arbeitnehmerkammer Bremen, eine Studie zu möglichen künftigen Rentenszenarien vor.

Sieben Möglichkeiten gebe es demnach. Die Optionen reichen von Schreckensszenarien – eine Kombirente, bei der immer mehr Menschen zusätzlich zur Rente von Sozialleistungen abhängig sind oder einem Leerlauf der Gesetzlichen Rente, bei der sich immer mehr Besserverdienende der Versicherungspflicht entziehen – bis zur Möglichkeit einer Inklusion, bei der die gesamte Bevölkerung in der Grundrente aufgefangen wird. Je nach politischen Maßnahmen könnte sich die Situation entwickeln.

Derzeit beziehen, laut Daten des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und der Deutschen Rentenversicherung Bund, 18,9 Millionen Menschen über 65 ihre Alterssicherung über die Gesetzliche Rentenversicherung. Das sind 69 Prozent der Rentenbezieher*innen. Besonders abhängig von der gesetzlichen Rente sind Frauen in Ostdeutschland. 19 Prozent beziehen außerdem eine Beamten- Richter- oder Soldatenversorgung, drei Prozent eine Zusatzversorgung des Öffentlichen Diensts und zwei Prozent eine berufsständische Versorgung in den freien Berufen. »Je mehr Personen in die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung geraten, desto näher rückt eine Lösung mit Generationengerechtigkeit und Rentenniveaustabilisierung«, zeigt sich Nullmeier überzeugt.

Während der Ampel-Koalition wurde die Renten-Debatte vorrangig ein Diskurs um Generationen – möchte man der jetzigen Rentengeneration denselben Lebensabend sichern, den ihre Vorgänger hatten, wie es der ehemalige Arbeitsminister Hubertus Heil konstant betonte? Oder dafür sorgen, dass die Rentenbeiträge der nun jungen Generation nicht steigen, der Dauerbrenner der FDP?

Auf diese Debatte stieg damals übrigens auch die CDU vermehrt ein – Mathias Middelberg forderte beispielsweise in der ersten Sitzung zum Rentenpaket II der Ampel-Regierung[1] – lang umkämpft, schlussendlich nicht umgesetzt – die »Klimakids« auf, künftig jede zweite ihrer Demonstrationen gegen das Rentenpaket abzuhalten. Matthias W. Birkwald, langjähriger Rentensprecher der Linken (und nun selbst in Rente)[2] betonte dazu immer wieder: Die Rentenfrage ist keine Generationen- sondern eine Verteilungsfrage. Gerade weil sinkende Renten auch kommende Generationen betreffen werden.

»Wollen wir ein armutszentriertes Rentensystem oder eines, das Armut vermeidet?«

Frank Nullmeier Universität Bremen

In den Koalitionsgesprächen zwischen SPD und CDU hat die Debatte einen anderen Fokus: Fachkräftemangel, und damit einhergehend Methoden zur Arbeitszeitverlängerung[3]. Diverse finanzielle Anreize soll es geben, damit sich »freiwilliges längeres Arbeiten« lohne, so weit sind sich die beiden Parteien einig. Dazu gehört die Aktivrente, Schwerpunkt der CDU im Wahlkampf. Demnach soll das Gehalt von Personen, die nach dem gesetzlichen Rentenalter weiterarbeiten, bis zu 2000 Euro steuerfrei sein.

Oder Hinzuverdienstmöglichkeiten für die Hinterbliebenenrente. Auch in der Erwerbsminderungsrente, die Menschen erhalten, die aufgrund gesundheitlicher Gründe nicht- oder weniger arbeiten können, sollen weitere Hinzuverdienstmöglichkeiten geprüft werden und außerdem das betriebliche Eingliederungsmanagement gestärkt werden. Bei letzterem geht es darum, Arbeitnehmer*innen, die wiederholt länger als sechs Wochen arbeitsunfähig sind, zu helfen, »möglichst frühzeitig wieder im Betrieb arbeiten zu können«, wie es die Deutsche Rentenversicherung Bund formuliert. Das befürwortet auch Nullmeier in seiner Studie.

»Der Fokus auf Erwerbstätigkeit in der Rente ist wohl der Versuch, eine allgemeine Anhebung des Renteneintrittsalters zu umgehen und gleichzeitig für eine höhere Erwerbsquote zu sorgen«, analysiert Johannes Geyer vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) die Verhandlungen gegenüber »nd«. Das Ziel könne er nachvollziehen. Man müsse sich aber im Klaren darüber sein, dass Anreizprogramme wie die Aktivrente oder auch das Auszahlen von Sozialversicherungsbeiträgen zur Folge hätten, dass der Staat dann weniger Steuern, beziehungsweise Sozialbeiträge einnähme. Der positive Effekt der Reform ist also relativ. Zudem würden von den Maßnahmen viele Menschen profitieren, die ohnehin weitergearbeitet hätten.

Wozu die bisherige Verlängerung der Arbeitszeit durch die Anhebung der Rentenantrittsgrenze geführt hat, zeigt eine aktuelle Studie von Martin Brussig, Leiter der Forschungsabteilung Arbeitsmarkt der Universität Duisburg Essen. Und zwar vorrangig zum »Szenario Kombirente« aus Nullmeiers Studie. Immer mehr Menschen beantragen anstelle einer Frührente eine Erwerbsminderungsrente, sind also von Sozialleistungen abhängig.

Der Plan von Schwarz-Rot, Selbstständige künftig in die gesetzliche Rente miteinzubeziehen, ist positiv zu betrachten.

Streit gibt es in den Koalitionsgesprächen bisher über die abschlagsfreie Rente nach 45 Beitragsjahren – diese soll, so Koalitionspapier »künftig weiterhin möglich bleiben«. Die SPD will die Stabilisierung des Rentenniveaus bei 48 Prozent, die CDU will eine perspektivische Anpassung auf 47 Beitragsjahre bis 2031. Das würde, bei gleichbleibendem Rentenniveau, bedeuten, künftig für das gleiche Geld zwei Jahre länger arbeiten zu müssen – wäre also eine Rentenkürzung. »Man kann das fast als Trick bezeichnen« so Geyer.

Die viel diskutierte Mütterrente will die künftige Koalition für Frauen, deren Kinder vor 1992 geboren sind anheben. Sie ist als eher unzureichendes Wahlgeschenk zu werten. So berechnete das DIW Berlin, dass sie die angerechneten Kindererziehungszeiten die Rentenlücke zwischen Frauen und Männern nur geringfügig schließen würden. Was es stattdessen brauche, sei zum Beispiel ein Ausbau der Kinderbetreuung. Denn nach einer Familiengründung arbeiten viel mehr Frauen in Teilzeit.

Einig sind sich die Expert*innen in zweierlei: Erstens, der Plan von Schwarz-Rot, Selbstständige künftig in die gesetzliche Rente miteinzubeziehen, ist positiv zu betrachten – Stichwort Szenario Inklusion. Generell brauche es »weniger Verbeamtungen und perspektivisch auch die Integration der Berufsgruppen, die jetzt noch über Sondersysteme voll abgesichert sind«, fordert Geyer.

Zweitens: Die Rente nicht isoliert zu betrachten. Um eine gute Rente zu sichern braucht es Eingriffe in den Arbeitsmarkt und in die Sozialpolitik, zum Beispiel in Bezug auf Frauenerwerbstätigkeit und Migration, und zudem gute Bildung und Weiterbildungsangebote.[4]

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1180513.rentenreform-neues-rentenpaket-am-aktienmarkt.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1189932.linke-petra-pau-ich-kann-jetzt-froehlich-loslassen.html
  3. https://www.nd-aktuell.de
  4. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1189362.gleichstellung-weiterbildung-zu-wenig-einsatz-fuer-gleichstellung.html