nd-aktuell.de / 06.04.2025 / Politik / Seite 1

»Widerstand hatte im Konzentrationslager viele Facetten«

Vor 80 Jahren wurde das KZ Buchenwald befreit. Das Gedenken thematisierte auch den gegenwärtigen Rechtsruck

Sebastian Haak, Weimar
Besucher gehen vor dem Haupttor des Lagers zu einer Gedenkzeremonie anlässlich des 80. Jahrestages der Befreiung des Nazi-Konzentrationslagers Buchenwald.
Besucher gehen vor dem Haupttor des Lagers zu einer Gedenkzeremonie anlässlich des 80. Jahrestages der Befreiung des Nazi-Konzentrationslagers Buchenwald.

Die historischen Fotos und die Musik von Józef Kropiński, sie gehören zusammen an diesem Tag. Die Fotos, weil sie das Grauen dokumentieren, das den Alltag im Konzentrationslager Buchenwald[1] ausgemacht hat. Sie wurden in den Tagen nach der Befreiung am 11. April 1945 aufgenommen. Darauf zu sehen sind Häftlinge, die US-Soldaten die Öfen im Krematorium des KZ zeigen. Überlebende, die auf Tragen liegen und versorgt werden, weil sie zu schwach sind, um zu gehen.

Die Musik, die am Sonntag anlässlich eines Gedenkaktes zur Erinnerung an den 80. Jahrestag der Befreiung Buchenwalds gespielt wurde, war auch eine Erinnerung daran, dass KZ-Häftlinge niemals nur willenlose Opfer waren. Die Klänge, die diese Fotos untermalten, sind im September 1944 von Józef Kropiński in Buchenwald komponiert worden, der 1940 von der Gestapo verhaftet worden war, dann nach Auschwitz und später in das Lager nahe Weimar verschleppt wurde. Żal, heißt dieses Stück, auf Deutsch: Bedauern.

»Widerstand hatte im Konzentrationslager viele Facetten«[2], sagte der Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Jens-Christian Wagner, während des Gedenkens. Auch Selbstbehauptung sei eine Form des Widerstandes gewesen. »Dazu zählte nicht zuletzt die kulturelle Selbstbehauptung. Dem Ungeist der Nazis, ihrem tumben Nationalismus, ihrem Rassismus und Antisemitismus und ihrem Vernichtungswillen stellten sich die Häftlinge mit künstlerischen Ausdrucksformen entgegen, sei es mit Musik, mit Gedichten, mit bildnerischer Kunst oder der Kunst der Imagination.«

Dieser Gedenkakt[3] stellte diejenigen in den Mittelpunkt, die das Grauen der Konzentrationslager erleiden mussten und die – wenn sie überlebten – teilweise seit Jahrzehnten davon erzählen, um zu verhindern, dass sich Vergleichbares wiederholt. Acht Überlebende nahmen an diesem Festakt teil. Sie stammen aus Israel, der Schweiz, Polen, Belarus, Frankreich und Rumänien.

»Jene, die glauben, man könnte die AfD entzaubern durch Einbindung, sie liegen falsch.«

Christian Wulff Altbundespräsident

Unter ihnen war auch Naftali Fürst, der Präsident des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora und Kommandos. Ihm ist am Abend zuvor der Thüringer Verdienstorden verliehen worden. »Er spricht seit vielen Jahren für all diejenigen, die nicht mehr sprechen können«, sagte Thüringens Ministerpräsident Mario Voigt (CDU). Fürst habe den Menschen das Erinnern an die Schrecken der NS-Zeit nicht abgenommen, er habe es den Menschen im Land anvertraut. Voigt fragte, wie das, was die Überlebenden vermitteln, fortan bewahrt werden könne.

Angesichts des grassierenden Nationalismus und der autoritären Tendenzen in vielen Teilen der Welt stellte sich diese Frage während des Gedenkens immer wieder. Neben Wagner und Voigt versuchte auch Altbundespräsident Christian Wulff, darauf vorsichtige Antworten zu geben.

Voigt sagte, es sei kein Widerspruch, sondern eine Warnung, dass das Grauen von Buchenwald in unmittelbarer Nachbarschaft zu Weimar – und damit einem Zentrum deutscher Kultur – liege. Offenkundig mache Kultur nicht immun »gegen das Böse«. »Die Leserin von Schiller kann zur Schreibtischtäterin werden«, sagte Voigt, »der Hörer von Beethoven zum Lagerarzt«. Dass ein Antisemitismus in Deutschland wieder erstarke, sei »ein Versagen an unserer historischen Verantwortung«.

Wulff ging sogar noch weiter: Das ehemalige Staatsoberhaupt verwies ausdrücklich darauf, welche Gefahren in der Gegenwart von der AfD ausgingen. Die Partei wolle eine Arbeitspflicht und Arbeitsverweigerer nur noch mit dem Allernötigsten versorgen. »Da ist es zu Arbeitslagern kein großer Schritt mehr«, sagte Wulff. Wer sich von einer solchen Partei nicht konsequent abgrenze, »der macht sich schuldig gegenüber dem Schwur der Überlebenden von Buchenwald«. Und er sprach noch eine Mahnung aus: »Jene, die glauben, man könnte die AfD entzaubern durch Einbindung, sie liegen falsch.« Dafür erhoben sich am Ende der Rede sogar manche der Gäste von ihren Plätzen, während sie applaudierten.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1190027.leipziger-buchmesse-denk-ich-an-buchenwald-h.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1190356.nazi-herrschaft-kz-buchenwald-die-selbstbefreiung.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1190345.buchenwald-gedenken-ausladung-von-omri-boehm-gedenkstaettenleiter-ist-empoert.html