Am 25. März brannte[1] im Solinger Stadtteil Grünewald ein Haus. Vier Menschen, die aus Bulgarien stammende Familie Zhilovi, starben bei dem Brand[2], zahlreiche weitere wurden verletzt. Schnell war klar, dass Brandstiftung die Ursache für das Feuer war, und das weckte in Solingen Erinnerungen an den fünffach tödlichen Brandanschlag auf die Familie Genç 1993.
Zwei Wochen nach dem Brandanschlag war das Aufatmen dann groß. Die Polizei präsentierte einen Tatverdächtigen[3] und verkündete bei einer Pressekonferenz, dass es keine Hinweise auf einen politischen Hintergrund des Täters gebe. Spätestens seit vergangenem Freitag muss allerdings die Frage gestellt werden, ob Wuppertals Polizeipräsident Markus Röhrl (Solingen liegt im Zuständigkeitsbereich der Wuppertaler Polizei) gelogen hat. Seda Başay-Yıldız[4], Nebenklagevertreterin im Brandanschlag-Prozess, hat Anzeige wegen Unterschlagung von Beweismitteln gegen den Polizeipräsidenten und vier weitere Ermittler*innen gestellt.
Der Prozess gegen Daniel S., der im Januar vor dem Wuppertaler Landgericht begonnen hat, verlief in den ersten Wochen ruhig. S. gestand den Brandanschlag, blieb aber bei seinem Motiv schwammig. Stress mit der Vermieterin und großes Interesse an Feuer ließ Daniel S. in seinem Geständnis als Gründe vortragen. Mitte März wurde dann bekannt[5], dass sich auf einer Festplatte, die in der Wohnung von S. und seiner Lebensgefährtin gefunden worden war, 166 rassistische oder den Nationalsozialismus verherrlichende Grafiken befanden. Auch ein Chat, in dem S. sich an Silvester über »Kanaken« beschwerte und hoffte, dass ein »Polen-Böller« bei ihnen einmal richtig »Schaden« anrichtete, wurde bekannt. Nebenklageanwältin Başay-Yıldız fand damals schon »nicht nachvollziehbar«, dass diese Erkenntnisse nicht in den Prozessakten enthalten sind.
»Als Zivilgesellschaft dürfen wir nicht zulassen, dass der Rechtsstaat nach den NSU-Morden erneut für die Vertuschung rechtsextremer Morde missbraucht wird.«
»Wuppertal stellt sich quer«
Vergangenen Freitag nun die nächste Überraschung: Hitlers »Mein Kampf«, eine Schallplatte mit einer Rede Hitlers, eine Göring-Biografie und Bücher über die Wehrmacht und den Obersalzberg wurden im Haus des Angeklagten gefunden. In der Garage war ein Ausdruck des in den 90er Jahren in der extremen Rechten beliebten »Lieds des Asylsuchenden« gefunden worden. Ein Textauszug: »Ich liebe Deutschland – wo auf der Welt, gibt’s für Asylbetrug denn auch Geld./ Ist Deutschland pleite, fahr ich heim – und sag ›Leb wohl‹ – du Nazischwein.« In die Prozessakten wurden all diese Funde nicht aufgenommen.
Weil sich nichts von alldem in den Akten findet, hat Seda Başay-Yıldız die Strafanzeigen gestellt. Sie ist der Auffassung, die Polizei wollte »um jeden Preis ein politisches Motiv ausschließen«. Das Gericht müsse sich jetzt überlegen, wie es mit den unterschlagenen Beweismitteln umgehe. Der Vorsitzende Richter pflichtete Başay-Yıldız bei und erklärte, dass so etwas nicht passieren dürfe und man sich die weitere Zeit zur Aufklärung nehmen werde. Der Verteidiger von Daniel S. erklärte, sein Mandant habe keinen Zugang zu den Räumlichkeiten mit den NS-Devotionalien gehabt, den Schlüssel habe der Vater des Angeklagten gehabt.
Das Bündnis »Wuppertal stellt sich quer« und zahlreiche unterstützende Gruppen haben am Sonntag einen offenen Brief veröffentlicht.[6] Sie fordern die Abberufung von Wuppertals Oberstaatsanwalt Uwe Neumann und den Rücktritt von Polizeipräsident Röhrl. Sie werfen beiden »Ermittlungsversagen« und eine »gefährliche Irreführung der Öffentlichkeit« vor. In dem offenen Brief wird eine »lückenlose Aufklärung« der Gesinnung des Tatverdächtigen und seines Umfelds gefordert. »Als antifaschistische und antirassistische Zivilgesellschaft dürfen wir nicht zulassen, dass der Rechtsstaat nach den NSU-Morden erneut für die Vertuschung rechtsextremer Morde missbraucht wird«, heißt es in dem Brief. Es sei wichtig, eine kritische Öffentlichkeit zu schaffen und an der Seite der Betroffenen zu stehen. Das Bündnis ruft auf, die kommenden Prozesstermine am Mittwoch und am 15. April solidarisch zu begleiten.