nd-aktuell.de / 08.04.2025 / Kultur / Seite 1

Ein ewiges Anrühren

30 Jahre nach seinem Tod wird der Maler Ull Hohn endlich entdeckt

Vincent Sauer
Männlichkeit, Moos ansetzend
Männlichkeit, Moos ansetzend

Und in den Himmel kommt ein bisschen erhabenes Weiß, in die Wipfel etwas mehr vom geheimnisvollen Grün, die Baumstämme vertragen noch mehr von dem erdigen, vitalen, starken Braunton. Und so weiter und so fort. Millionen Fernsehsozialisierte erinnern sich an die meditative Malschule des Amerikaners Bob Ross, der Hobbyisten aller Länder dazu animierte, sich mit Landschaftsmalerei nach dem Feierabend ein wenig auszudrücken. Mühe, Geduld, ein paar Tricks – und die Naturdeko aus Acryl oder Öl ist fertig.

Seit einigen Wochen wird in Berlin eine Ausstellung im Haus am Waldsee beworben mit einem Gemälde, das einen Berg zeigt, vor dem ein Bach aus dem Bild verschwindet und Bäume zu sehen sind. Das schaut nach Ross aus, aber auf den zweiten Blick beginnen die Irritationen: Das Weiß auf dem Berg ist etwas dick aufgetragen, die Flora am Fluss wird verwischt in ein diffuses grünes Dunkel und die Wellen auf dem Wasser versprechen eine Dynamik, die dem starren Motiv widerspricht, als ob es hinauswollte aus der Idylle der Landschaftsmalerei.

Dies ist ein Gemälde von Ull Hohn, geboren 1960 in Trier. Er studierte zunächst an der Berliner Hochschule der Künste, wechselte dann nach Düsseldorf, wurde Schüler von Gerhard Richter, nahm 1986 am Stipendienprogramm des Whitney Museums in New York City teil. 1995 verstarb er in Berlin an den Folgen von Aids. Bis heute hat er noch nicht einmal einen Wikipedia-Artikel geschrieben bekommen. Es ist ein großes Verdienst des Hauses am Waldsee, der Kuratorin Anna Gritz und der vom Fotografen Wolfgang Tillmanns initiierten Stiftung Between Bridges, den Maler Ull Hohn nun endlich, 30 Jahre nach seinem Tod, mit der Einzelausstellung »Revisions« bekannter zu machen.

Berg- und Waldidyllen der Vergeblichkeit, langsam gefressen vom Gelb, aufgelöst in Sepiatönen.

In seiner Landschaftsmalerei unterwandert Hohn traditionelle Abbildungsansprüche und die widersprüchliche Anforderung an reproduzierbare Naturschönheit in der Kunst durch bildnerische Abstraktion: Die Berg- und Waldidyllen erzeugen teilweise den Eindruck, hier würden vergilbte Fotos in ihrer Vergeblichkeit verschwinden, langsam gefressen vom Gelb, aufgelöst in Sepiatönen. Es sind Idyllen in Apokalypse, hier und da kommerziell die Form wahrend, als ob bis zum bitteren Ende ein Landschaftsgemälde noch Käufer finden könnte, die sich an den Konturen einer Tanne erfreuen wollen. Hohn erzeugt für einige dieser Arbeiten glatte Oberflächen, die an Fotofilme erinnern, von denen der Blick abrutschen könnte.

So verknüpft Hohn malerisch eine Kritik an Kunstbetriebskommerz, Diskurs-Elitismus und starren Vorstellungen von Natürlichkeit. Einen starken Kontrast zu diesen Gemälden bildet eine mehr als mannshohe Arbeit aus Gips und Firnis: Auf monochromen Rechtecken sind Kratz-, Zieh-, Schleifspuren erkennbar, sind es vielleicht die Hinterlassenschaften eines Kampfes um eine verbotene Figurwerdung? Auf einer Texttafel wird der schwule Historiker John Boswell zitiert, der sich mit christlichen Positionen zu Homosexualität befasste.

Im ersten Stock finden sich einige Darstellungen von trägerlosen Penissen, die zwar gemalt sind, aber an Holzschnitte erinnern, und die langsam Moos ansetzen, faulen könnten, wo sie doch hart wie ein Baumstamm zu sein haben. Als gewitzte Kritik an genialer männlicher Verschwendungssucht, den großen Gesten des Abstrakten Expressionismus etwa, lassen sich kleine Tableaus aus Lack verstehen, auf denen unzählige Schichten ineinander strömender, doch schließlich getrockneter Farbe zusammenkommen: ein ewiges Anrühren, das Deutung heischt, einerseits fett aufgetragen, aber doch auch ziemlich zerbrechlich ist.

Den eigenen Werdegang als Maler reflektiert Hohn, vielleicht im Bewusstsein, nicht mehr lange zu leben, indem er frühe Stillleben-Versuche, Schuh- und Pflanzenskizzen noch einmal malt, wobei er immer mehr weniger Farben vertraut, Abstraktion behutsam zulässt, abbricht, aber nicht loslässt von den Motiven der frühen Versuche. Eine Arbeit zeigt ein anscheinend leidendes Baby, ohne Eltern, am Boden, das in einem Stil gemalt ist, der stark an Gerhard Richters Bilder erinnert, in denen er Fotos abmalte und verwischte. Hohns Motivwahl bringt einen zweiten, wenn man so will körperpolitischen Abgrund in das Verfahren seines Lehrers.

Zwei Jahre vor seinem Tod hatte Ull Hohn eine Ausstellung in der New Yorker Galerie American Fine Arts, Co., für die er tatsächlich nach der damals weltberühmten Bob-Ross-Methode Bilder schuf, deren Kitsch-Romantik er dann wieder abtrug. Auch hat er die Rückseiten von Rahmen mit Spachtelmasse bestrichen, den Namen des Rahmenherstellers aber frei gelassen. Dem Maler Ull Hohn ist eine subtile Kritik der Institution eigen gewesen, etwa wenn er teures Kunsthandwerk wie eine Vase naturalistisch in Öl abmalt, das Drumherum, den Verkaufsplatz, die Menschen aber ausspart und nur mit ein paar Strichen Kanten und Ecken von Räumen andeutet und den Betrachter auf diese Weise ahnen lässt, dass es noch mehr gibt als das teure Objekt der Begierde.

Auch der Mythos »Meisterschaft/Formvollendung/finaler Stil« wird von Hohn, ohne Häme und Besserwisserei, in Frage gestellt mit der Installation »Nine Landscapes«, die sein Studium in den USA beschloss: Auf der rechten Wand sind Landschaftsgemälde auf Holzblöcken angebracht, idyllische Konstellationen von Häuslein, Berglein, Wäldlein, die aber in ihrer Farbe, in ihrem Genre, ihrer Gemachtheit zu verschwinden drohen, eben wie zu oft kopierte Fotos.

Auf der gegenüberliegenden Wand platzt scheinbar aus kümmerlichen Holzrahmen pastose braune Masse: Ist es Scheiße oder Schokolade? Ist es ein Fäkalienspiel der Minimal-Art?

In Wahrheit handelt es sich um bemalten Gips. Figuratives, gegenständliches, irgendwo kümmerliches Erbe der Malerei und konzeptionelle abstrakte (kindliche? Bloß freche?) Avanciertheit treten in diesem Raum in ein heftiges Spannungsverhältnis, Fragen von Könnerschaft und mythischer Urschleimkraft dürfen durch Köpfe schwirren, ein Gefühl entsteht, das kein Diskurs einholen kann.

Das ist der letzte Raum der »Revisions«. Die Ausstellung ist hervorragend kuratiert, die Auswahl der Arbeiten und deren Aufteilung in die Räumlichkeiten lassen verstehen, wie Hohns Werk sich entwickelte, ohne blind fortschreiten zu wollen. Wer diese Ausstellung nicht besucht, versäumt viel.

Ull Hohn. Revisions. Haus am Waldsee, Argentinische Allee 30, 14163 Berlin, bis 11. Mai 2025