Wie unterscheidet sich die Umweltpolitik von Kolumbiens linkem Präsidenten Gustavo Petro von der seines Vorgängers Iván Duque?
Es gab zwar Ziele für die Energiewende, aber keinen gesetzlichen Rahmen – diesen hat die aktuelle Regierung geschaffen. In nur zwei Jahren haben wir die Solarenergie verzehnfacht. Die Vorgängerregierung hat keine Annäherung an lokale Gemeinschaften gesucht und setzte auf Mega-Projekte mit Unternehmen, ohne den Zugang für die Bevölkerung zu berücksichtigen. Ein Beispiel ist das Übergehen der Wayú: Hier sollten große Windparks entstehen, ohne dass die Wayú selbst davon profitieren.
Wie kann Kolumbien gewährleisten, dass die Energiewende und zukünftige Regierungen die Rechte der indigenen Gemeinschaften wie der Wayú achten?
Wir haben bereits die Infrastruktur geschaffen, damit die Wayú Zugang zum Strom haben. Ein Modell wurde entwickelt, das die Teilnahme der Gemeinschaften an solchen Projekten sicherstellt. Im Fall der Wayú sind die indigenen Völker, die lokale Bevölkerung, Unternehmen und die Regierung beteiligt. Die Bevölkerung soll nicht nur Ausgleichszahlungen erhalten, sondern als gleichwertiger Partner eingebunden werden. Dieses Projekt wird derzeit umgesetzt.
Programme wie »Energiegemeinschaften« und »Kolumbien Solar« sollen die Energiewende [1]vorantreiben. Wie funktionieren diese Initiativen und welche Ergebnisse gibt es bislang?
Länder wie Kolumbien sollten nicht nur Emissionen reduzieren – das allein reicht nicht aus, da wir weniger als 0,5 Prozent der weltweiten Emissionen verursachen. Unser Ziel ist es, Energiearmut zu überwinden: Viele Menschen haben noch keinen Zugang zu Strom, und die Qualität der Stromnetze ist schlecht. Deshalb haben wir das Projekt der »Energiegemeinschaften« ins Leben gerufen. Wir betrachten Strom als Menschenrecht und arbeiten an der Demokratisierung des Stroms. Mit Solarplatten und neuen Technologien möchten wir allen Zugang zu sauberem Strom ermöglichen und ihnen die Kontrolle über ihre Energieversorgung geben. Besonders Bauernorganisationen sowie indigene und afro-kolumbianische Gemeinschaften sollen ihre Stromversorgung selbst verwalten können. Der gesetzliche Rahmen und die Tarife für den lokalen Handel mit Strom sind bereits geschaffen. Zurzeit gibt es 278 Energiegemeinschaften, vor allem indigene und afro-kolumbianische Gruppen. Bis Ende des Jahres sollen es 1500 sein. Unsere Solarstrategie umfasst auch Solardächer, insbesondere in armen Vierteln, die sich hohe Strompreise nicht leisten können. In der Karibik haben wir bereits Solarpanels installiert, wo die Sonne konstant scheint und die größte Stromarmut herrscht.
Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit zwischen Kolumbien und europäischen Ländern, besonders im Bereich der erneuerbaren Energien?
Wir haben grundsätzlich eine gute Zusammenarbeit mit Europa, aber wir möchten das bestehende System ändern, da es sich bislang nur auf technische Assistenz stützt. Im Rahmen der aktuellen Energiewende in Kolumbien benötigen wir vor allem Investitionen und Ressourcen. Der Präsident[2] hat auch über die Finanzierung der Energiewende nachgedacht. Es gibt eine Diskussion darüber, woher das Geld für den Wandel kommen soll. Es würde uns mehr zugutekommen, wenn uns die Schulden beim Internationalen Währungsfonds und der Weltbank erlassen würden. Unsere Vision der Zusammenarbeit wäre, dass dieses freigesetzte Geld in die Energiewende investiert wird.
Sie waren bis vor Kurzem Minister für Energie und Bergbau. Sie setzen einen Fokus auf lokale Gemeinschaften und den Umweltschutz. Was erwarten Sie von Ihrem Nachfolger, der mit traditionellen Eliten und dem Ölkonzern Ecopetrol in Verbindung gebracht wird?
Es handelt sich um einen Austausch von Ministern innerhalb derselben Regierung, daher gehe ich davon aus, dass die gleiche Linie weiterverfolgt wird. Der neue Minister kommt aus der gleichen Strömung wie ich. Ich hoffe, dass er meine Projekte umsetzt, auch wenn er sicherlich eigene Impulse setzen wird.
Kann Kolumbien als führendes Land in Lateinamerika in der Energiewende und im Klimaschutz angesehen werden? Was unterscheidet Kolumbiens Ansatz von anderen Ländern der Region?
Insbesondere im Hinblick auf das Beispiel der Energiegemeinschaften sind wir in der Region Vorreiter bei der Demokratisierung von Strom. In den vergangenen zwei Jahren haben wir bedeutende Fortschritte gemacht. Allerdings kann man Kolumbien nicht mit Uruguay vergleichen, das mittlerweile fast ausschließlich auf saubere Energie setzt. Dennoch ist Kolumbien zusammen mit Chile und Brasilien ein Vorreiter im Kampf gegen den Klimawandel und bei der Suche nach neuen Finanzierungsmöglichkeiten und Werkzeugen für die Energiewende.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1190435.energiewende-kolumbien-strom-ist-ein-menschenrecht.html