»Ich sehe für die Geflügelbranche eine rosige Zukunft«, sagte Hans-Peter Goldnick, Präsident des Zentralverbandes der Deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG) auf einem Branchentreff am Dienstag in Berlin. Er sei ganz »geflasht« von der positiven Entwicklung. Endlich würden Produkte und Leistung der Firmen geschätzt werden, sagte der Verbandschef auf dem ersten Deutschen Geflügelforum, das am Abend mit einem »Flying Buffet« endete. Goldnick hat die Vision, dass sich der Geflügelkonsum in Deutschland noch einmal um 50 Prozent erhöhen wird. Dafür brauche es mehr Wettbewerb, weniger Regulierung und »eine Entfesselung der Märkte«.
Laut aktuellen Zahlen isst jede*r Bundesbürger*in heute pro Jahr im Schnitt 13,6 Kilogramm Fleisch und 249 Eier. In Deutschland werden über 51 Millionen Legehennen und mehr als 88 Millionen Masthühner gehalten[1] und geschlachtet. Laut ZDG werden Legehennen zu etwa 60 Prozent, Masthühner zu 100 Prozent in geschlossenen, unstrukturierten Hallen der sogenannten Bodenhaltung, teilweise zu mehreren Zehntausend Tieren, gehalten.
In der Umsetzung der EU-Tierhaltungsrichtlinie wird offenbar um jeden Quadratmeter gefeilscht, der den Tieren zugestanden wird. Bei den Masthähnchen darf die Besatzdichte nicht höher als 42 Kilogramm pro Quadratmeter sein, was etwa 28 Tieren entspricht. Für Goldnick, der den familiengeführten Hornbrooker Hof aufgebaut hat, sollten diese Regeln auch für Deutschland gelten. Er kritisiert, dass hierzulande die Obergrenze 35 Kilogramm betrage, und hält auch nicht viel von einer staatlichen Tierhaltungskennzeichnung. Hingegen ist es aus seiner Sicht eine gute Idee, ein Label für die Gastronomie einzuführen, das die »heimische Herkunft« der Tiere kennzeichne.
Diese Idee unterstützt auch Peter Wesjohann, Konzernvorstand der PHW-Gruppe, zu der Wiesenhof gehört. Großabnehmer kauften inzwischen 60 Prozent des in Deutschland produzierten Geflügelfleisches. Dass das Siegel, für welches sich die Branche einsetzt, die Stellung der größten Unternehmen noch stärken würde, blieb auf der Tagung unausgesprochen. Wesjohann, der auf Rang 55 in der Liste der reichsten Deutschen geführt wird, sieht ohne das Gastronomiesiegel die heimische Produktion und die hohen Produktionsstandards gefährdet. Aus seiner Sicht ist »für die Verbraucher nur die Herkunft wesentlich«.
Gerade eine Initiative, die »ohne die Politik ein Label bringt«, hält Goldnick für begrüßenswert. Der Hinweis auf die heimische Produktion könnte gerade kleinere Betriebe zwingen, Fleisch zukünftig nur noch aus Deutschland zu beziehen; momentan kommen noch 40 Prozent aus dem Ausland. Denn »heimisch« klinge vertraut und gesund.
Kritiker wenden ein, dass das geplante Gastrosiegel nichts über die enormen Probleme aussagt, die mit der Geflügelhaltung verbunden sind. Hierzulande litten die Tiere in konventioneller Haltung nicht weniger als in anderen EU-Ländern. So sind Masthähnchen zum Zeitpunkt ihrer Schlachtung eigentlich noch Küken, die mit einem Gewicht von bis zu 2,5 Kilo kaum stehen können. Der schwere Körper führt zu schmerzhaften Knochenverformungen bis hin zu Knochenbrüchen. In den Ställen ist der Gehalt des für die Atemwege schädlichen Ammoniaks in der Luft besonders zum Ende der Mast sehr hoch. Gestresste Hühner picken und verletzen sich gegenseitig. Auch für die Gesundheit der Verbraucher*innen und den Umweltschutz bringt das Siegel keine Pluspunkte.
Erst vor einigen Jahren veröffentlichte Germanwatch eine Studie, laut der in mehr als der Hälfte der Hähnchenfleischproben aus Europas größten Geflügelkonzernen antibiotikaresistente Keime nachgewiesen wurden. Beim Geflügelkonzern PHW wiesen fast 60 Prozent der Proben solche Krankheitserreger auf, in jeder vierten Probe wurden sogar multiresistente Keime gefunden. Diese gelangen dann in die Lebensmittelkette.
Damit die Branche größer wird, empfahl der Vorsitzende der Agrarministerkonferenz[2], Baden-Württembergs Ressortchef Peter Hauk (CDU), auf der Tagung einheitliche EU-Standards ohne das »Gold-Plating«, also die nationale Umsetzung über die Mindestvorgaben hinaus. Es müsse beim Tierschutz nicht noch »eins drauf gesetzt« werden. Sinnvoll wären weniger Auflagen, Bürokratieabbau und ein Agrarbudget ohne Streichungen. In einer CDU/CSU-geführten Regierung wird die Geflügelindustrie also auf offene Ohren stoßen.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1190450.agrarindustrie-absage-an-das-gold-plating.html