Das Berufungsgericht in Paris hat am Mittwoch geurteilt, dass der im Budapest-Komplex gesuchte Rexhino »Gino« Abazaj nicht nach Ungarn ausgeliefert wird. Die Befolgung eines Europäischen Haftbefehls wurde mit Verweis auf die Gefahr eines Verstoßes gegen Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Verbot der Folter) und Artikel 6 (faires Verfahren) abgelehnt. Die Richter bemängelten offenbar die fehlende Überparteilichkeit der Justiz und nicht regelkonforme Haftbedingungen in Ungarn.
Gino, ein antifaschistischer Aktivist und albanischer Staatsangehöriger, wird zusammen mit insgesamt 18 Personen im Rahmen einer grenzüberschreitenden Repressionskampagne gegen linke Bewegungen[1] gesucht. Die Staatsanwaltschaft in Budapest wirft dem 32-Jährigen vor, an Angriffen auf Neonazis während des »Tages der Ehre« in der ungarischen Hauptstadt beteiligt gewesen zu sein. Bei der jährlichen Veranstaltung glorifizieren europäische Rechtsextreme Taten der Wehrmacht und ungarischer Milizionäre im Zweiten Weltkrieg.
Würde Gino nach Ungarn ausgeliefert, drohten ihm wegen Körperverletzungen – begangen in einer angeblich in Deutschland gegründeten kriminellen Vereinigung – bis zu 22 Jahre Haft. Seine französischen Anwälte hatten neben Zweifeln an der Fairness des ungarischen Justizsystems auch eine politisch motivierte Vorverurteilung durch Medien und Behörden kritisiert.
Gino hatte seinen Lebensmittelpunkt in den vergangenen Jahren anfangs in Italien und später in Finnland, wo er wegen des EU-Haftbefehls festgenommen wurde. Nachdem er in Helsinki zunächst mit einer elektronischen Fußfessel freigelassen wurde, floh er angesichts der drohenden Auslieferung[2] nach Frankreich, wo er von der Antiterrorpolizei in Auslieferungshaft genommen wurde. Aus dem berüchtigten Gefängnis Fresnes war Gino aber im März bis zur endgültigen Entscheidung über den Antrag Ungarns in den Hausarrest entlassen worden.
Die Pariser Richter folgten mit der Ablehnung des EU-Haftbefehls für Gino der Linie der italienischen Staatsanwaltschaft, die mit ähnlicher Begründung letztes Jahr die Auslieferung des Aktivisten Gabriele Marchesi gestoppt hatte. Nur Deutschland schert hier aus: Im Sommer wurde aus Sachsen Maja T. nach Ungarn überstellt, obwohl das Bundesverfassungsgericht noch am selben Morgen eine Eilentscheidung dagegen erlassen hatte. Dasselbe droht auch Zaid A., einem anerkannten Flüchtling aus Syrien, der sich in Auslieferungshaft in Köln befindet. Eine Haftverschonung lehnte das zuständige Kammergericht in Berlin ab, berichtet die Anwältin von A. in einem Beitrag bei Radio Dreyeckland[3].
Allerdings bedeutet die Nichtüberstellung von Gino nicht, dass gegen ihn in Budapest nicht verhandelt werden könnte. Wie im Fall des Italieners Marchesi könnte dies auch in Abwesenheit erfolgen. Dessen Verfahren wurde an den Prozess gegen Maja T. angegliedert. Im gleichen Komplex steht eine Entscheidung zur Auslieferung der italienischen EU-Abgeordneten Ilaria Salis an. Zuvor muss aber noch der zuständige Parlamentsausschuss in Brüssel ihre Immunität aufheben.
»Frankreich hat heute gezeigt, dass es sich nicht den Forderungen eines autoritären und neofaschistischen Landes wie Ungarn unterwerfen muss«, sagte Gino der Nachrichtenagentur AFP. Andere europäische Länder könnten beschließen, dem Beispiel zu folgen. Gemeint ist wohl Deutschland.
»Frankreich zeigt, wie man Angeklagte schützen kann, ohne eine Vorverurteilung vorzunehmen«, erklärt auch Martin Schirdewan, Vorsitzender der Linksfraktion im EU-Parlament. Die deutsche Justiz müsse nun nachziehen und anerkennen, dass Gerichtsverfahren gegen Antifaschist*innen nicht in Ungarn stattfinden dürfen. Dies betrifft zunächst sechs Personen, die sich zusammen mit Zaid A. gestellt hatten und nun in verschiedenen deutschen Gefängnissen auf eine Entscheidung zur Auslieferung warten. Im Raum steht auch, dass sie wegen der Taten in Ungarn in Deutschland angeklagt werden.