nd-aktuell.de / 09.04.2025 / Berlin / Seite 1

Berlin: Teure Eintrittskarte deutscher Pass

Nur Menschen mit einem ausreichend hohen Einkommen haben eine Chance auf die Staatsbürgerschaft

Leonie Hertig
Fast ein Viertel der Berliner*innen hat keinen deutschen Pass und somit weniger demokratische Rechte als ihre Nachbar*innen.
Fast ein Viertel der Berliner*innen hat keinen deutschen Pass und somit weniger demokratische Rechte als ihre Nachbar*innen.

Vor mehr als sechs Jahren ist Moza für einen Job nach Berlin gezogen und arbeitet seitdem für den gleichen Arbeitgeber. »Ich hatte das Gefühl, dass ich nicht kündigen konnte«, sagt Moza zu »nd«. Das lag auch an der Empfehlung ihres Anwalts, nicht die Arbeitsstelle zu wechseln, wenn sie die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen[1] wolle. Dabei fühlt sie sich an ihrer Arbeitsstelle unwohl. Aber der Job ist gut bezahlt, und, noch wichtiger, unbefristet. »Deutsche mögen Kontinuität«, so Moza.

Im Sommer 2024 konnte Moza ihren Einbürgerungsantrag stellen. Nachdem sie vier Monaten darauf gewartet hatte, dass ihr Antrag vom Landesamt für Einwanderung Berlin (LEA)[2] bearbeitet wird, verklagte Moza die Behörde wegen Untätigkeit. »Das LEA erhält momentan doppelt so viele Anträge, wie es bearbeiten kann«, sagt Alexander Fourestié zu »nd«. Er ist der Projektleiter der Einbürgerungslots*innen, einer Initiative, die Migrant*innen kostenlose Beratung[3] bei der Antragstellung anbietet. Das Projekt wird vom Berliner Senat finanziert. Neben der Flut an neuen Anträgen sind weitere 40 000 Anträge offen, die noch nicht bearbeitet wurden. Nach vier Monaten ist es gesetzlich möglich, eine Untätigkeitsklage einzureichen. Es ist ein kostspieliger Prozess, bei dem Moza vorerst 798 Euro Gerichtskosten sowie ihre Anwaltskosten bezahlen musste.

Dabei sieht sich Moza als eine derjenigen, die Glück haben. Sie hat eine gut bezahlte, unbefristete Stelle, einen Hauptmietvertrag für eine eigene Wohnung und zwei Universitätsabschlüsse aus England. »Wenn es nach dem LEA gehen würde, passe ich genau in das Bild einer guten Migrantin«, sagt Moza. Für den Antrag benötigt sie Berge an Dokumenten, darunter ihren Arbeitsvertrag, Gehaltsnachweise der vergangenen fünf Jahre, eine Bescheinigung des Arbeitgebers über die bisherige Dauer des Anstellungsverhältnisses, Nachweise über Kranken- und Pflegeversicherung, B1-Sprachkenntnisse, einen bestandenen Einbürgerungstest und den Nachweis einer Wohnung oder einer Unterkunft sowie eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis zur Zeit der Antragstellung.

Aufgrund der Auflagen und Hürden sieht Moza eine Diskriminierung aufgrund der sozioökonomischen Situation der Bewerber*innen. Denn wie viele junge Erwachsene in Berlin können ein langes, unbefristetes und gut bezahltes Arbeitsverhältnis vorweisen?

Auch Fourestié warnt: »Durch den Fokus auf die Erwerbstätigkeit wird die demokratische Teilhabe mit einer Eintrittskarte versehen.« Die deutsche Staatsbürgerschaft ermöglicht etwa die Teilnahme an Wahlen und Volksentscheiden. Fourestié rechnet vor: Eine angestellte alleinstehende Frau muss 1400 Euro Einkommen pro Monat netto belegen können. Eine Freiberuflerin müsste 2200 Euro netto pro Monat für 20 Monate in den vergangenen zwei Jahren belegen können. Bei einer Familie mit zwei Kindern und nur einem erwerbstätigen Elternteil müsste dieses 3000 Euro netto vorlegen können, um die deutsche Staatsbürgerschaft für die Familie zu erlangen.

»Durch den Fokus der Erwerbstätigkeit wird die demokratische Teilhabe mit einer Eintrittskarte versehen.«

Alexander Fourestié Projektleiter der Einbürgerungslots*innen, Bildungsmarkt e.V.

Das Bezirksamt Mitte meldete jüngst, dass 2022 22 Prozent aller Haushalte im Bezirk mit Einkommen unter 1500 brutto Euro lebten. Die Auflagen des Staatsangehörigkeitsgesetzes führen zu einer Spaltung von Migrant*innen und deren Rechten basierend auf deren Einkommen. Derzeit benötigt die Hauptstadt 90 000 Fachkräfte. Dazu gehören Kraftfahrer*innen, deren Einstiegsgehalt laut der Website Gehaltsvergleich 1787 Euro brutto beträgt, sowie Krankenpfleger*innen mit 2333 Euro brutto und Kinderbetreuer*innen mit 2590 Euro brutto bei einer Vollzeitstelle.

Denjenigen Arbeitskräften, die zu wenig verdienen, um sich durch ihr Gehalt für die deutsche Staatsbürgerschaft zu qualifizieren, bleiben grundlegende demokratische Rechte verwehrt. Ebenso haben sie ohne Staatsbürgerschaft kein sicheres Aufenthaltsrecht und sind so von den Entscheidungen von Ämtern und Politik abhängig. Das birgt auch ein Sicherheitsrisiko bei der Teilnahme an Protesten und Demonstrationen. Denn wie zum Beispiel kürzlich bekannt gewordene Pläne der Berliner Senatsinnenverwaltung[4] zeigen, braucht diese kein rechtskräftiges Urteil, um Aktivist*innen, in diesem Fall aufgrund von strafrechtlichen Vorwürfen im Rahmen ihrer Beteiligung an propälestinensichen Protesten, zur Ausreise aus Deutschland aufzufordern.

Ende 2023 hatten fast 25 Prozent aller Einwohner*innen Berlins keinen deutschen Pass. Moza gehört inzwischen nicht mehr dazu. Nachdem sie ihre Klage vor Gericht eingereicht hatte, ging es plötzlich schnell. Ihre Annahme ist, dass das LEA ihren Antrag priorisiert hat, um zusätzliche Kosten vor Gericht zu vermeiden. Denn das LEA muss, da es die langsame Bearbeitungsdauer zu verantworten hat, Mozas Anwaltskosten und Gerichtskosten übernehmen. Die große Summe musste sie aber zunächst selbst aufbringen – vielen anderen Migrant*innen ist das nicht möglich.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1188077.einbuergerung-zentrale-einbuergerung-in-berlin-mit-digitalen-tuecken.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1190394.palaestina-solidaritaet-abschiebung-von-aktivisten-ein-gefaehrlicher-praezedenzfall.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1190339.ehrenamt-moabit-hilft-von-kurzzeitvertrag-zu-kuendigung.html
  4. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1190246.pro-palaestinensische-proteste-ohne-urteil-vier-aktivisten-werden-wegen-staatsraeson-ausgewiesen.html