nd-aktuell.de / 09.04.2025 / Politik / Seite 1

Koalitionsvertrag: Finanzierungsvorbehalt für Soziales

Die »GroKo« kommt mit vielen Erleichterungen für Unternehmen

Jana Frielinghaus
Transparent waren am Mittwoch vor allem die Rednerpulte der künftigen Koalitionäre.
Transparent waren am Mittwoch vor allem die Rednerpulte der künftigen Koalitionäre.

Während CSU-Chef Markus Söder mit markigen Sprüchen und Witzchen glänzte, lieferte SPD-Chef Lars Klingbeil auf eine Journalistennachfrage eine entscheidende Auskunft. Es ging darum, wie die Investitionen in Sicherheit, Militär[1], Infrastruktur und vieles mehr bezahlt werden sollen, die sich CDU, CSU und SPD[2] in den Entwurf ihres Koalitionsvertrags[3] geschrieben haben. Den präsentierten Klingbeil und Söder am Mittwochnachmittag gemeinsam mit dem künftigen CDU-Bundeskanzler Friedrich Merz und der SPD-Ko-Vorsitzenden Saskia Esken in Berlin.

Klingbeil also stellte klar: »Vieles im Vertrag steht unter Finanzierungsvorbehalt.« Es gebe darin »ganz wenige Verabredungen, wo steht: Wir werden. Überwiegend steht da: Wir wollen.« Es ist also klar, dass man sich am Ende nicht zu viel vornimmt.

Außerdem, so Klingbeil, wolle man in vielen Bereichen sparen, auch in den Bundesministerien. CDU-Chef Merz hatte eingangs unter anderem betont, man werde die Bundesverwaltung »um acht Prozent verkleinern«. Klingbeil fiel in Sachen Einsparungen nur ein, dass die künftige Große Koalition sich »vorgenommen« habe, dass durch die Reform der Grundsicherung »mehr Menschen in den Arbeitsmarkt gehen[4]«, also aus der Erwerbslosigkeit in einen Job gebracht werden. Außerdem wolle man in der »Entwicklungszusammenarbeit schauen, wo Einsparungspotenziale zu heben sind«. In diesem Bereich hatte bereits die Ampel-Koalition jährlich Kürzungen von 10 bis 15 Prozent durchgesetzt.

Immerhin: Mit dem Solidaritätszuschlag bleibt eine Einnahmequelle, die vonseiten der Union unter Druck war. Die Abgabe, deren Einführung einst mit den Kosten der deutschen Einheit begründet worden war, zahlen seit 2021 nur noch die 10 Prozent der Erwerbstätigen mit den höchsten Einkommen. Sie bringt jährlich 10 Milliarden Euro ein.

Friedrich Merz zählte die in »schwierigen Zeiten« auf den Weg gebrachten Maßnahmen zugunsten der Unternehmen auf: Die Körperschaftssteuer wird gesenkt, allerdings erst ab 2028 und dann in fünf Schritten jährlich um ein Prozent. Außerdem sollen Wahlmöglichkeiten bei der Besteuerung von Unternehmen ausgebaut werden. Geplant sind zudem »Turboabschreibungen« über drei Jahre von je 30 Prozent pro Jahr, um Betriebe steuerlich zu entlasten.

»Vieles steht unter Finanzierungsvorbehalt. Es gibt im Vertrag ganz wenige Verabredungen, wo steht: Wir werden. Überwiegend steht da: Wir wollen.«

Lars Klingbeil SPD-Vorsitzender

Als »Bonbon« für die Wirtschaft präsentierten Union und SPD zudem die Abschaffung des Lieferkettengesetzes, das die vorige »GroKo« 2021 in bereits verwässerter Form für Großunternehmen beschlossen hatte. Die Ampel hatte die Umsetzung auf Eis gelegt. Die betroffenen Unternehmen sollten darin für die Einhaltung von Menschen- und Arbeitsrechten sowie Umweltstandards bei ihren Zulieferern im Ausland in Mithaftung genommen werden.

Zu vielen Details hatten sich die drei Parteien bereits im März geeinigt. Die Spitzenvertreter der Parteien bestätigten am Mittwoch folgerichtig, dass das Bürgergeld zu einer »Grundsicherung« werden soll, inklusive harter Sanktionen, die selbst die Streichung der Wohnkosten beinhalten.

Zu den Vorhaben zu Asyl und Migration wusste »Bild« schon Stunden vor der Pressekonferenz das Wesentliche und titelte: »Schwarz-Rot schafft Turbo-Einbürgerung ab«, also die Möglichkeit für besonders gut integrierte Migranten, nach drei Jahren mit Aufenthaltstitel die deutsche Staatsbürgerschaft zu beantragen. Das bestätigten Merz und seine Mitstreiter ebenso wie die Aussetzung des Familiennachzugs für Geflüchtete mit eingeschränktem Schutzstatus, den Stopp freiwilliger humanitärer Aufnahmeprogramme, Abschiebeoffensive und weitere Grenzkontrollen.

Merz verwies darauf, dass er nun mit der SPD Dinge beschlossen habe, die »weit über das hinaus« gingen, was seine Fraktion kurz vor der Bundestagswahl mit den Stimmen der AfD versucht hatte durch das Parlament zu bringen. Im Koalitionsvertrag ist klar zu lesen, dass an den deutschen Grenzen künftig auch Menschen abgewiesen werden sollen, die um Asyl bitten, was klar dem Europäischen Recht widerspricht. Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine sollen zudem nicht mehr wie bisher sofort Bürgergeld erhalten, sondern die niedrigeren Hilfen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz wie die anderen Geflüchteten.

Vieles von dem, was SPD-Ko-Chefin Esken als von ihrer Partei durchgesetzte Punkte auflistete, ist im Vertrag derweil mit dem einschränkenden »Wir wollen« versehen, gerade im Bereich Wohnen. So soll der Wohnungsbau allgemein durch die angekündigte »Steuerentlastungs- und Entbürokratisierungsoffensive« angekurbelt werden. Der soziale Wohnungsbau werde »als wesentlicher Bestandteil der Wohnraumversorgung ausgebaut«, heißt es. Zahlen dazu werden aber nicht genannt.

Die Rente, auch das lobte Esken, soll auf einem Niveau von 48 Prozent stabilisiert werden – laut Vertragsentwurf aber nur bis zum Jahr 2031. Der Mindestlohn soll nach dem Wunsch der Koalitionäre ab 2026 auf 15 Euro steigen, allerdings bleibt die Entscheidung darüber der zuständigen Kommission vorbehalten, die paritätisch mit Unternehmervertretern, Gewerkschaftern und Experten besetzt ist.

Was die SPD wohl als größten Erfolg verzeichnen kann: Sie bekommt sieben der voraussichtlich 16 Ministerposten. Noch am Morgen hatte es Berichte gegeben, wonach sie nur fünf erhält. Auch das Ressort für Arbeit und Soziales soll bei den Sozialdemokraten bleiben. Das Finanzministerium geht Berichten vom Mittwoch zufolge an den mutmaßlichen Vizekanzler Klingbeil, und Boris Pistorius behält das Verteidigungsministerium.

Auf die Journalistenfrage, ob die »GroKo« der Ukraine weitreichende Taurus-Raketen liefern werde, antwortete Klingbeil, zu konkreten Waffensystemen äußere man sich aktuell nicht, man stehe aber weiter fest und tatkräftig an der Seite des von Russland angegriffenen Landes.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1189868.beschluss-des-alten-bundestags-durch-aufruestung-steigt-die-kriegsgefahr.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1190151.koalitionsverhandlungen-regierungsbildung-das-prinzip-mehrwertsteuer.html
  3. http://www.nd-aktuell.dettps://www.nd-aktuell.de/artikel/1190350.spd-fuer-den-krieg-gegen-russland-ertuechtigt.html
  4. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1190252.koalitionsverhandlungen-koalitionsverhandlungen-comeback-des-hartz-iv-regimes.html