Es gibt viele tolle Eigenschaften an Musik. Eine ist, dass sie in ihren besten Momenten samt ihrer Suggestionskraft die Fähigkeit besitzt, objektive Tatsachen scheinbar in ihr Gegenteil zu verkehren. So war es im eigentlich endlos öden Sommer 2013, als mir eine damals noch weitgehend unbekannte Band namens Die Heiterkeit Folgendes zu vermitteln versuchte: »Alles ist so neu und aufregend.« So hieß der Hit ihres im Jahr zuvor veröffentlichten Debütalbums »Herz aus Gold«. Und anders als Heiterkeit-Frontfrau Stella Sommer[1], die die Zeilen mit unverhohlener Gelangweiltheit vortrug, fing ich tatsächlich an, ihnen Glauben zu schenken.
Drei weitere, allesamt großartige Alben folgten bis 2019. Und egal, ob die Songs »Jeder Tag ist ein kleines Jahrhundert«, »Pop & Tod« oder »Die Liebe eines Volkes« hießen, und ob Sommer mit ihrer sonoren Stimme »Alle Menschen mögen mich« sang oder Cary Grant fragte, ob an seiner Seite noch Platz für sie sei: Das Besondere an dieser Band war, dass sie den Mund stets etwas voller zu nehmen schien, als es im verkniffenen, sich um unbedingtes Understatement bemühenden Indie-Kosmos üblich war. So konnte die Band selbst dem grausten, von fiesem Schneematsch befallenen Januarnachmittag zu etwas Restglanz verhelfen.
Nun, ziemlich genau sechs Jahre nach »Was passiert ist«, folgt mit »Schwarze Magie« das insgesamt fünfte Heiterkeit-Album. Um es gleich vorwegzunehmen: Anders als den vier Vorgängern fehlt es diesem Album nahezu gänzlich an magischen Momenten. Das hat vor allem zwei Ursachen: Einerseits hat Sommer sich anders als auf den vorherigen Alben entschieden, ihren Gesang variabler zu gestalten. Zwar ist ein Mehr an Variabilität an und für sich keine schlechte Idee. Doch war es bisher vor allem ihre charakteristische, mitunter gotisch und sakral anmutende Alt-Stimme, die jeder verzweifelt herangezogenen Referenz von Hildegard Knef bis Nico trotzte und damit den Wesenskern der Songs ausmachte. Sie sucht man auf dem neuen Album weitestgehend vergeblich. Stattdessen singt Sommer nun eine ganze Ecke höher und – noch bedauernswerter – merklich nüchterner und gewöhnlicher.
Der andere, deutlich triftigere Grund: Die 13 Songs auf »Schwarze Magie« sind gute Gitarren-Folk-Popsongs – aber eben leider auch nicht mehr. Zwar sind Stücke wie »Dunkle Wolken«, »Schwarze Magie« oder »Im kalten Februar Regen« nach wie vor hervorragend arrangiert als auch instrumentiert. Doch kann dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass ihnen wie auch den anderen zehn Songs die ganz großen Momente und Melodien fehlen, die man auch nach Monaten, geschweige denn Jahren noch gedankenverloren zu summen vermag. Selbst nach mehrmaligem Hören nisten sich nur vereinzelte Zeilen in den Gehörgängen ein. Zu den wenigen Lichtblicken des Albums zählt dabei die Dark-Noir-Ballade »Wenn etwas Schönes stirbt«, in der das songwriterische Potenzial Sommers für einen kurzen Moment aufblitzt.
Mit ihren vier vorangegangen Alben trotzten Die Heiterkeit der weitverbreiteten These, dass die Geschichte des Gitarrenpops[2] längst auserzählt sei. Hört man »Schwarze Magie«, fängt man an, dieser These Glauben zu schenken. Denn die Band begibt damit dahin, wo sich das Gros ihrer Zunft schon befindet: ins Mittelmaß.
Die Heiterkeit: »Schwarze Magie« (Buback/Indigo)
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1190489.gitarrenpop-hallo-heiterkeit-hallo-mittelmass.html