Ist der mächtigste Mensch der Welt verrückt? US-Präsident Donald Trump erlässt Zölle in willkürlicher Höhe gegen die meisten Länder der Welt, erhöht sie anschließend und setzt sie dann wieder aus. In der Folge schwanken die Prognosen für die Weltwirtschaft zwischen Aufschwung und Krise, und das binnen Tagen. Börsenkurse stürzen ab, schießen am nächsten Tag wieder nach oben. Ist Donald Trump verrückt? Mag sein. Doch die Widersprüchlichkeit seiner Politik hat ihren Grund in den Widersprüchen des Projekts, das er verfolgt und das weit über eine Korrektur des internationalen Handels hinaus geht: Make America Great Again.
Die US-Regierung hat in den letzten Wochen verschiedene Zölle beschlossen – auf Stahl- und Aluminiumeinfuhren und auf ausländische Autos. Dazu gibt es einen zehnprozentigen Zoll auf sämtliche Güter aus aller Welt sowie weitere »reziproke« Zölle, die für jedes Land unterschiedlich ausfallen und von zehn Prozent für Großbritannien bis 46 Prozent für Vietnam reichen. Auf chinesische Einfuhren gibt es noch einmal Extra-Zölle – insgesamt sind die US-Zollmauern nun so hoch wie zuletzt vor 100 Jahren. All diese Abgaben sollen ausländische Güter in den USA verteuern und so die inländischen Unternehmen schützen.[1] In der Folge, so die ökonomische Kalkulation, werden Unternehmen aus aller Welt ihre Produktion in die USA verlagern, um die Zölle zu umgehen. »Re-Industrialisierung« der USA lautet das Ziel. Dafür hat Trump, wie es heißt, »der ganzen Welt den Handelskrieg erklärt«.
Ökonom*innen verweisen darauf, dass diese Strategie nicht aufgehen kann und letztlich den Vereinigten Staaten selbst schadet. Denn die USA sind zu eng mit der Weltwirtschaft verwoben. Zölle verteuern ausländische Güter in den USA, was dort die Inflation anheizt. Das macht zum einen die US-Haushalte ärmer, was den Konsum beschädigt, der immerhin knapp 70 Prozent der US-Wirtschaftsleistung ausmacht. Zum anderen verteuern Zölle den Import von Vorleistungsgütern für US-Unternehmen, was ihre Produktionskosten erhöht. Gleichzeitig wird ihr Export gefährdet durch Gegenmaßnahmen des Auslands: China hat einen Zoll auf US-Importe von inzwischen 125 Prozent erhoben, die EU plant 10 bis 20 Prozent. Und schließlich sorgt der Zollkrieg zu erhöhter Unsicherheit, Investoren und Unternehmen verlieren ihre Kalkulationsgrundlage. »Bleiben die Zölle erhalten, sprengt das ein Loch in unsere Industrie, wie wir es noch nie gesehen haben«, warnte im März Jim Farley, Chef des Autobauers Ford.
In der Folge wird eine globale Rezession erwartet, ebenso eine Rezession in den USA. Das ließ diese Woche die Börsenkurse weltweit abstürzen. Trumps Politik, so der berühmte US-Ökonom Paul Krugman, folge keinem kohärenten ökonomischen Programm, er agiere wie ein »verrückter König«.
Der Eindruck der Verrücktheit mag sich aus dem Ziel ergeben, das Trump sich gesetzt hat und das als solches in den USA gar nicht kritisiert wird: »Amerika« wieder »groß« zu machen. Was heißt das? Schließlich sind die USA bereits groß, sie sind die führende Wirtschafts- und Technologiemacht, ihr Militär ist riesig, die Wirtschaft lief zuletzt gut. Was Trump aber – wie schon andere US-Präsidenten vor ihm – als Defizit beklagt, ist der mangelnde Respekt, der seinem Land international entgegengebracht wird. »Great Again« bedeutet aus US-Sicht, die uneingeschränkte Weltmacht der USA wieder herzustellen. Dass Trumps Zollpolitik keiner industriepolitischen Logik folge, wie oft kritisiert wird, liegt schlicht daran, dass es ihm nicht bloß um Industriepolitik geht. Gefordert wird die Unterwerfung des Auslands. Aus der Tatsache, dass diese nicht oder nur zögerlich erfolgt, schließt Trump auf einen nationalen Notstand: »Wir sind eine Nation im Abstieg.«
Ihren Status sehen die USA an vielen Stellen angegriffen, nicht nur in Handelsfragen: In Venezuela herrscht eine Regierung, die Washington ablehnt. Mexiko tut nicht genug gegen die Migration und Kanada nicht genug gegen den Fentanylschmuggel in die Vereinigten Staaten. Europa sperrte sich lange gegen die Übernahme von Rüstungskosten, und China unterstützt Russland. Auch der partielle Niedergang der US-Industrie sowie die Handelsbilanzdefizite sind aus Sicht Washingtons ein Symbol eigener Schwäche – und wie jeder Staatenlenker der Welt interpretiert Trump diese Schwäche als Folge »unfairer« Praktiken des Auslands, die das Recht seiner Nation auf Erfolg verletzen. Die lange Liste von Zielen, die Trump mit den Zöllen durchsetzen will, spiegelt das Ausmaß seiner imperialen Unzufriedenheit wider.
Hauptproblem für die USA ist allerdings China, das inzwischen als »Rivale« anerkannt ist und sich zunehmend nicht nur der Kontrolle der USA entzieht, sondern selbst als Kontrolleur auftritt: Die Volksrepublik wird gegenüber anderen Ländern schrittweise vom »rule taker« zum »rule maker«. Sichtbarstes Zeichen hierfür ist, dass es dem Westen trotz nie dagewesener Wirtschaftssanktionen nicht gelungen ist, die russische Wirtschaft in die Knie zu zwingen[2], wofür im Wesentlichen Chinas Unterstützung verantwortlich ist. Aus Sicht der USA zeigt das, dass ihnen die Kontrolle des Weltmarktes entglitten ist.
Um »Amerika« wieder groß zu machen, setzt Trump an der materiellen Basis nationaler Größe an: der Wirtschaft. Er erhebt Zölle, um sämtliche ökonomischen und außenpolitischen Ziele zu erzwingen, von der Migrationsbegrenzung über den Fentanylschmuggel bis zur Schwächung Russlands und Chinas. Die Willkür, mit der er dabei vorgeht, ist Programm: eine Demonstration der Macht – die zugleich eine dreifache Demonstration der Ohnmacht ist.
Denn erstens sind die USA zwar stark genug, einen Welthandelskrieg vom Zaun zu brechen. Andererseits aber zeigt dieser Krieg, dass der Weltmarkt dem Land nicht mehr die erwünschten Erträge einspielt, die die globale Dominanz der USA absichern könnten. Sie sind nicht mehr konkurrenzlos. Zweitens belegt Trump durch seine Willkür bei der Zollerhebung, dass sich offensichtlich nicht einmal mehr Washington eine globale Handelsordnung vorstellen kann. Im Sinne einer Ordnung mit gleichen Regeln und Rechten für alle, die den ökonomischen Erfolg der USA garantieren würde. Freihandelsabkommen lehnt Trump bislang ab. Er will den Erfolg der USA per Notstandsverordnung dekretieren.
Doch Kapitalismus ist keine Planwirtschaft. Daher stößt Trump drittens auch bei der willkürlichen Festlegung von Maßnahmen an die Grenzen, die Ökonom*innen ihm vorbuchstabieren: Mit dem Zollkrieg schaden die USA zwar anderen Ländern, aber eben auch sich selbst. Denn sie brauchen den Rest der Welt und damit seine Kooperation. Denn dieser Rest ist Investitionsstandort und Absatzmarkt für die USA, er fungiert als Quelle billiger Vorprodukte und Arbeitskraft für die heimischen Unternehmen. »Ein Handelskrieg macht keinen Sinn – wir brauchen China mehr als China uns«, schreibt der Finanzdienst »Bloomberg«.
Auch die Finanzmärkte haben diese Woche demonstriert, dass die USA nicht autonom agieren können: Inmitten der Krise stürzten US-Staatsanleihen und der US-Dollar ab, die normalerweise in Turbulenzen als sichere Häfen gelten, denen aber offenbar nicht mehr getraut wird. Dieser Vertrauensentzug der Finanzanleger verweist Washington darauf, dass die Vereinigten Staaten beim Rest der Welt mit netto 24 Billionen Dollar in der Kreide stehen und die USA den Rest der Welt als Kreditgeber brauchen. Diese Kreditvergabe aber »hängt ab vom Vertrauen der Investoren«, so das Bankeninstitut IIF, »und wenn dieses Vertrauen erschüttert wird, bricht die Nachfrage nach US-Anlagen ein«.
Mit dem Absturz der Börsenkurse diese Woche wird die US-Regierung auf den Ausgangspunkt ihrer Klage zurückgeworfen: Die USA sind zu schwach, weil abhängig. Das kann Trump so nicht stehen lassen. Am Donnerstag begann daher die Phase der Deals: Die »reziproken« Zölle gegen 56 Länder und die EU werden für 90 Tage auf zehn Prozent gesenkt, um die Zeit für Verhandlungen zu nutzen. Dies sei eine »Kapitulation« Trumps, schreibt die FAZ.
Doch ist es bestenfalls eine vorläufige Feuerpause. Denn für die US-Regierung bleibt der Widerspruch bestehen, dass sie eine Welt wieder beherrschen will, von der sie abhängig sind. Wie alle rechten Politiker schreitet Trump daher zu dem Versuch, den Widerspruch mit Gewalt aufzulösen. In Kraft bleiben die beschlossenen Zölle auf Stahl, Aluminium und Autos sowie der Basiszoll von zehn Prozent für sämtliche Einfuhren aus allen Ländern. Auch die Zölle auf kanadische und mexikanische Waren bleiben unverändert.
Verschärft wird der Kurs gegen China, die Zölle sind auf 145 Prozent nach oben gesetzt worden. Zugleich stellen die USA anderen Ländern wie Japan, Südkorea oder der EU Zollsenkungen in Aussicht, sollten sie auf Gegenzölle verzichten und sich in die US-Front gegen China einreihen. »Wir können uns mit unseren Verbündeten einigen und dann als Gruppe China zuwenden«, sagte Finanzminister Scott Bessent und stellte klar, dass es sich hier nicht um eine Bitte handelt: Mit einer Hinwendung zur Volksrepublik würde sich jedes Land »die eigene Kehle durchschneiden«.
In Europa macht sich daraufhin Erleichterung, breit: Der Handelskrieg geht nicht gegen die ganze Welt, sondern nur gegen China. Die EU zeigt sich verhandlungsbereit: Nachdem Europas Staaten bereits Trumps Forderungen nach Aufrüstung gegen Russland nachkommen[3], dienen sie sich jetzt Washington als Unterstützer für einen Handelskrieg gegen China an: »Ich stimme mit Trump überein, dass andere die derzeitigen Regeln auf unfaire Weise ausnutzen«, sagte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und zeigte damit, dass sie wie Trump die Gleichsetzung von Chinas Erfolg auf dem Weltmarkt mit dem Missbrauch dieses Weltmarktes beherrscht.
Doch damit ist die Sache nicht ausgestanden. Denn die Europäer brauchen profitable Handelsbeziehungen zu China. Für die US-Regierung hingegen geht es um eine Funktionalisierung der EU zwecks Niederringung des großen Rivalen – mit unabsehbaren Folgen. »Im Grunde zeigt die US-Regierung, dass sie bereit ist, den Handel mit China zu stoppen«, so Arthur Kroeber von Gavekal Dragonomics. Das würde das Ende des Handels zwischen den zwei weltgrößten Wirtschaftsmächten mit einer addierten Wirtschaftsleistung von 46 Billionen Dollar bedeuten. 700 Milliarden Dollar jährliches Warenhandelsvolumen und 1,4 Billionen Dollar chinesische Investitionen in den USA stehen damit auf der Kippe. »Ich bin mir nicht sicher, ob den Finanzmärkten klar ist, was geschieht, wenn der Handel zwischen den beiden größten Ökonomien des Globus plötzlich endet«, kommentierte ein Börsenhändler am Donnerstag.
Die ökonomische Konfrontation kann die US-Regierung kaum endgültig für sich entscheiden. Aufgeben kommt aber ebenfalls nicht in Frage. Trump bereitet seine Bevölkerung daher auf schwierige Zeiten vor. Schließlich geht es im Handelskrieg, wie in allen Kriegen, nicht um Wohlstand, sondern zunächst darum, eigene Verluste in Kauf zu nehmen, um dem Gegner Schäden zuzufügen, die groß genug sein müssen. Um die USA von diesen Schäden zu isolieren, wird jetzt die ökonomische Entkopplung von China vorangetrieben.
»Was wir derzeit sehen, ist die Ökonomie eines sterbenden Imperiums«, erklärt der US-Ökonom Richard D. Wolff. Man wird sehen. Letztlich läuft der Gegensatz zwischen den USA und China – und damit der Widerspruch von Trumps Politik – auf eine Machtfrage und damit auf eine Gewaltfrage hinaus. »Das einzige, was noch dümmer als ein Handelskrieg wäre, wäre ein echter Krieg«, kommentierte am Freitag die US-Finanzagentur Bloomberg. »Denn die Kosten einer eskalierenden Konfrontation mit China gingen weit über Inflation oder sinkende Aktienkurse hinaus.« »Echter« Krieg ist in dieser Logik lediglich eine »weitere Eskalation« des Handelskrieges. Die Übergänge sind fließend. Für solche Übergänge wäre Trump wahrscheinlich verrückt genug. Und auf seine Nachfolger dürfte das ebenfalls zutreffen. Denn eines werden sie mit Trump teilen: sein Ziel, Amerika wieder groß zu machen.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1190520.handelskrieg-oekonomie-des-sterbenden-imperiums.html