nd-aktuell.de / 11.04.2025 / Berlin / Seite 1

Verrohung der politischen Sitten

Brandenburgs Polizei verzeichnet einen Anstieg bei rechts und links motivierten Straftaten

Andreas Fritsche
Innenministerin Katrin Lange (SPD) und Polizeipräsident Oliver Stepien bei der Präsentation der Statistik politisch motivierter Kriminalität
Innenministerin Katrin Lange (SPD) und Polizeipräsident Oliver Stepien bei der Präsentation der Statistik politisch motivierter Kriminalität

Ein Reichsbürger, der bundesdeutsche Behörden nicht anerkennt, hat von der Bürgermeisterin von Rüdersdorf irgendeinen absurden Nachweis verlangt. Dies verbunden mit einer Zahlungsaufforderung, wenn sie den Nachweis nicht erbringe. Die Polizei wertete das als Erpressung. Am Tag der Kommunal- und Europawahl, dem 9. Juni, hat ein unbekannter Täter das vor einem Wahllokal in Klausdorf (Teltow-Fläming) abgestellte Auto der Vizebürgermeisterin mit Buttersäure überkippt. Die Politikerin erlitt Verätzungen.

Diese beiden Fälle schildern Brandenburgs Innenministerin Katrin Lange (SPD) und Polizeipräsident Oliver Stepien, als sie am Freitag die Statistik der politisch motivierten Kriminalität[1] des Jahres 2024 vorstellen. Unter den 406 registrierten Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger sind es die beiden einzigen Fälle, die sich direkt gegen Personen richteten. Fast immer wurden ansonsten einfach nur Wahlplakate beschmiert oder heruntergerissen. Das ist ebenfalls nicht in Ordnung, aber vergleichsweise harmlos.

»Man muss in Brandenburg nicht um Leib und Leben fürchten, wenn man sich politisch engagiert«, versucht die Innenministerin zu beruhigen. Sie empfiehlt mit Blick auf diese Zahlen, die Kirche im Dorf zu lassen, auch wenn zwei Übergriffe auf Politikerinnen natürlich zwei zu viel seien. Nicht erfasst ist indessen die Attacke auf eine schwarze Frau, die bei der Landtagswahl im September in Cottbus für die CDU antrat. Denn sie war nur Kandidatin und hatte kein Amt oder Mandat inne. Das sind so die Tücken der Statistik.

2023 waren nur 213 Delikte gegen Amts- und Mandatsträger erfasst worden. Aber 2023 hatte es auch nicht drei Wahlen in einem Jahr gegeben – und also auch nicht unzählige Wahlplakate an Straßenlaternen, an denen sich jemand vergreifen konnte. Die sogenannten Wahlstraftaten[2] haben die Zahl der politisch motivierten Delikte nach oben getrieben: von 4018 auf 6813 Fälle. Das entspricht einen Anstieg um 70 Prozent und ist im Ländervergleich nicht sonderlich auffällig. Thüringen, wo es ebenfalls Kommunal-, Europa- und Landtagswahlen gab, erlebte laut Katrin Lange einen Anstieg um 69 Prozent, Sachsen in selber Situation einen in Höhe von 39 Prozent.

Die Wahlstraftaten herausgerechnet, bleiben für Brandenburg immer noch 4936 Fälle übrig, was ein Plus von 22,8 Prozent bedeutet. »Das ist ein schlechtes Zeichen für die Entwicklung der politischen Kultur in Brandenburg«, urteilt Lange. »Das ist auch ein Zeichen für eine gewisse Verrohung der politischen Auseinandersetzung über alle politischen Lager hinweg. Die Unduldsamkeit nimmt zu, es werden Grenzen überschritten, wir sehen Radikalisierungstendenzen in verschiedenen Milieus.« Die Zahl rechts motivierter Straftaten stieg von 2475 auf 3626, die der links motivierten von 548 auf 1173 – wobei allein 241 Delikte mit Protesten rund um die Tesla-Autofabrik zu tun hatten, darunter zahlreiche Versuche, auf das Betriebsgelände vorzudringen. Als links eingeordnet ist auch ein in Potsdam dingfest gemachter Täter, der in 23 Fällen die Luft aus den Reifen geparkter Autos abgelassen hat.

Die Aufklärungsquote ist von 51,3 auf 43,1 Prozent gesunken. Das hat jedoch nach Angaben der Innenministerin damit zu tun, dass nur 12 Prozent der Vergehen an Wahlplakaten aufgeklärt werden. Diese Delikte herausgerechnet, läge die Quote bei 55 Prozent und wäre gar nicht so schlecht, meint Lange. Sie hält es für viel wichtiger, Gewalttäter zu ermitteln – was in 71 Prozent der Fälle gelingt – als jemanden, der ihr selbst auf einem Plakat einen Schnurrbart angemalt habe.

Die Zahl der Gewalttaten stieg von 174 auf 255, darunter die der Körperverletzungen von 116 auf 143. Mit 113 Fällen rechter Gewalt war ein leichter Rückgang um vier Fälle zu verzeichnen. Dass die vor zwei Wochen veröffentlichten Zahlen des Vereins Opferperspektive[3] da ein anderes Bild zeigen, ist Polizeipräsident Stepien bewusst. Die Opferperspektive wertet auch massive Nötigung und Bedrohung als Gewalt, was die bundeseinheitliche Kriminalstatistik unterlässt. Außerdem fließen in die Statistik der Opferperspektive auch nicht angezeigte Fälle ein.

»Wir können als Polizei immer nur auffordern, Straftaten zur Anzeige zu bringen«, sagt Stepien. Davon abgesehen sei ein Rückgang der rechten Gewalt um 3,4 Prozent nicht nachhaltig zu nennen.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1181619.kriminalitaet-brandenburg-rekord-politischer-delikte-erwartet.html?
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1188374.brandenburg-bundestagswahlkampf-hakenkreuze-auf-wahlplakaten.html?
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1190149.rassismus-hoechstwerte-rechter-gewalt-in-brandenburg.html?