Es ist offiziell: Die neue Bundesregierung steht! (Es sei denn, irgendwer zieht noch eine No-GroKo-Kampagne aus dem Hut.) Wir bekommen wieder eine Große Koalition. Der Koalitionsvertrag ist betitelt mit »Verantwortung für Deutschland«. Klingt hochtrabend, meint aber vor allem: verantwortungsvolle Verwaltung des Status quo. Die Verhandlungen gingen überraschend still und unspektakulär über die Bühne – fast schon langweilig, wenn man die letzten Jahre mit der Ampel-Regierung im Kopf hat.
Ich war mit meinem Koalitionsorakel in der letzten Kolumne[1] ziemlich nah dran. Das Bürgergeld wird tatsächlich umbenannt – und verschärft. Auch wenn unklar ist, wie lange das vor dem Verfassungsgericht Bestand haben wird. Ein reformierter Wehrdienst kommt ebenfalls. Im Koalitionsvertrag steht zwar »zunächst freiwillig«[2], aber wir wissen alle: Sobald der Druck steigt – durch internationale Spannungen, globale Konflikte, militärische Eskalationen –, wird daraus schneller ein Pflichtdienst, als man »Sicherheitspolitik« sagen kann.
Nicht ganz richtig lag ich beim Mindestlohn. Der soll irgendwann mal steigen – genau wie die Steuern sinken sollen. Ich bin sicher, die GroKo wird es so gestalten, dass am Ende kaum jemand mehr Geld im Portemonnaie hat.
Inhaltlich gäbe es genug Gründe, empört zu sein. Denn was da steht, spiegelt nicht die Veränderung wider, die wir eigentlich bräuchten. Aber vieles davon war vorhersehbar, mich überrascht wenig. Und ehrlich gesagt: Ich bin nicht mal mehr richtig entrüstet.
Ich war in den letzten Jahren nah dran an der Ampel. Es war ein unangenehmes politisches Spektakel, was meinen Puls täglich in die Höhe hat schnellen lassen. Es war laut, konflikthaft, nervenzehrend. Ständig ein neuer Konflikt, eine neue rote Linie, gegenseitige Angriffe und die stille Hoffnung, dass sich die linken Teile von SPD und Grünen doch mal durchsetzen. Man hat am Anfang mitgefiebert, am Ende mitgezittert und gelitten. Und inhaltlich ist trotzdem kaum Gutes rumgekommen.
In der Ernährungs-Bubble gibt es den Begriff »Food Noise«. Damit ist das ständige Denken an Essen gemeint – egal, was man gerade tut. Ich hatte Ampel-Noise und bin wahrscheinlich nicht die Einzige. Dauerhaftes Gedankenkreisen um die nächste Regierungskrise. Empörungswellen, Frust, Diskussionen. Öffentliche Stellungnahmen, interne Streitereien, stille Hoffnungen: Vielleicht kippt es ja doch noch? Vielleicht lohnt sich der Streit? Vielleicht geht es doch voran? Was geblieben ist: Erschöpfung.
Die neue GroKo ist auch ein guter Reminder daran, dass wir die Hoffnung in uns selbst und unsere Fähigkeiten zur Organisierung setzen sollten – und nicht auf Menschen auf Regierungsbänken.
Und jetzt ist die GroKo da und damit eine neue Art von Stille. Keine öffentlichen Koalitionskrisen mehr. Keine tagesaktuellen Grabenkämpfe, keine Interviews voller roter Linien. Ich habe kaum etwas von den Sondierungen oder Koalitionsverhandlungen mitbekommen.
Für manche wirkt diese neue Einigkeit beruhigend. So weit würde ich nicht gehen. Aber: Diese neue Ruhe kann auch etwas Befreiendes haben. Denn vielleicht ist es gut, wenn wir gar nicht erst anfangen, von dieser Regierung noch irgendetwas zu erwarten und mitzufiebern.
Unsere Energie hat eine bessere Verwendung: Veränderung kommt nicht durch Koalitionsverträge. Sie kommt, wenn wir uns zusammentun und sagen: Es reicht! Wenn wir uns organisieren – in Gewerkschaften, in Mieter*inneninitiativen, in Jugendverbänden, in solidarischen Projekten. Wenn wir aufhören zu bitten und anfangen aufzubauen.
Diese neue GroKo ist nicht nur eine Enttäuschung. Sie ist auch ein guter Reminder daran, dass wir die Hoffnung in uns selbst und unsere Fähigkeiten setzen sollten – und nicht auf die Menschen auf den Regierungsbänken.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1190535.grosse-koalition-groko-stille-und-ampel-noise.html