nd-aktuell.de / 13.04.2025 / Politik / Seite 1

Frauenrechte in der EU: Fahrplan mit Verspätungen

Die EU-Kommission hat eine Roadmap zur Stärkung von Frauenrechten vorgelegt. Im Europaparlament sieht man Nachbesserungsbedarf

Uwe Sattler
Tausende Studentinnen demonstrierten vor wenigen Tagen an der Universität La Sapienza (Rom) gegen Feminizide und Gewalt gegen Frauen.
Tausende Studentinnen demonstrierten vor wenigen Tagen an der Universität La Sapienza (Rom) gegen Feminizide und Gewalt gegen Frauen.

Was im sogenannten Femm-Ausschuss des Europaparlaments beraten wird, bleibt der Öffentlichkeit zu oft verborgen. So war es auch am vergangenen Donnerstag, als in Brüssel ein Bericht debattiert wurde, der 229 Millionen Menschen in der EU betrifft – Frauen. Um nichts weniger als die »Strategie für die Gleichstellung der Geschlechter 2025« ging es im Ausschuss für die Rechte der Frauen, der im Parlamentssprech kurz als Femm bezeichnet wird.

Der Bericht, eingebracht vom Vizevorsitzenden des Femm, dem kroatischen Sozialdemokraten Marko Vesligaj, kommt nicht von ungefähr. Bereits am 7. März, am Vorabend des Internationalen Frauenkampftages, hatte die EU-Kommission ihre aktuelle Bestandsaufnahme zur Gleichstellung und einen »Fahrplan für die Frauenrechte« vorgelegt – ein Vorhaben, das Kommissionschefin Ursula von der Leyen bei ihrer abermaligen Amtsübernahme im vergangenen Juli angekündigt hatte. Die Roadmap »leuchtet uns den Weg, er zeigt uns eine Welt, in der Frauen und Mädchen ein Leben ohne Gewalt und Diskriminierung führen, gedeihen und ihr volles Potenzial entfalten können«, erklärte etwas verkitscht die belgische Gleichstellungskommissarin Hadja Lahbib, aus deren Büro der Fahrplan stammt.

Tatsächlich kommt der Fahrplan zur höchsten Zeit, denn wie auch der Kommissionsrapport zur Gleichstellung der Geschlechter 2025 zeigt, steht es damit nicht allzu gut. Der Gleichstellungsindex des European Institute for Gender Equality gibt der EU für das vergangene Jahr 71 Punkte, gerade einmal acht mehr als im Vergleich zu 2010. Von den 100 möglichen Punkten, was eine volle Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern bedeuten würde, ist die 27er Gemeinschaft damit weit entfernt. Konkret heißt das zum Beispiel, dass Frauen in der EU im Durchschnitt immer noch 12,7 Prozent weniger verdienen als Männer, dass der Anteil weiblicher Führungskräfte in keinem EU-Land über 50 Prozent liegt. Auch, dass jede dritte Frau in der EU in ihrem Leben physische, psychische oder sexuelle Gewalt erfahren hat. Zumindest in diesem Bereich hat die EU gehandelt und 2024 eine Richtlinie verabschiedet, mit der sexistisches Cyber-Mobbing, Genitalverstümmelung und Zwangsehen bekämpft werden sollen – die allerdings erst 2027 in nationales Recht der EU-Mitgliedsstaaten überführt sein muss.

Internationaler Frauenkampftag 2025 in Madrid
Internationaler Frauenkampftag 2025 in Madrid

Die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen steht an erster Stelle der acht Fixpunkte, die die EU-Kommission in ihrem Fahrplan gesetzt hat. Auch mit »höchsten Gesundheitsstandards« (insbesondere der Zugang von Frauen zur sexuellen und reproduktiven Medizin), mit Lohngleichheit, Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben und Betreuungsaufgaben, mit »hochwertiger Bildung« und politischer Teilhabe will »Brüssel« Frauenrechte voranbringen. Dabei baut das Dokument auf der Strategie 2020-2025 der Kommission von-der-Leyen-1 zur Gleichstellung auf, die zwar ähnliche Schwerpunkte setzte, jedoch weit unkonkreter war – und eben auch nicht viel in Sachen Frauenrechte bewirkt hat.

Dass der neue Fahrplan, der Teil der EU-Gleichstellungsstrategie 2025-2030 sein soll, in die richtige Richtung geht, bestätigt auch Maria Noichl. Allerdings lasse die Vorlage von Kommissarin Lahbib die Konkretheit vermissen, sagt die SPD-Europaabgeordnete im Gespräch mit »nd«. Es gäbe in der Kommission kein Erkenntnisdefizit, sondern ein »Anpackungs- und Vollzugsdefizit«. Tatsächlich soll der Fahrplan für die Frauenrechte erst im kommenden Jahr mit Maßnahmen und Aktionen untersetzt werden. Die Kritik, dass die Roadmap damit letztlich erst einmal eine Absichtserklärung bleibt, findet sich auch in dem am Donnerstag beratenen Papier des Femm zur Gleichstellung. Sehr diplomatisch wird die EU-Kommission darin aufgefordert, »eine ehrgeizige Strategie für die Gleichstellung der Geschlechter 2026-2030 mit konkreten, greifbaren legislativen und nichtlegislativen Maßnahmen vorzulegen.«

Obwohl sich auch in dem Femm-Dokument die Forderungen der Kommission wiederfinden, geht er in einigen Aspekten deutlich darüber hinaus. So drängt er »in Zeiten zunehmender globaler Konflikte und Ungewissheit« auf ein Außen-, Verteidigungs- und Sicherheitspolitik der EU mit einem feministischen Ansatz[1], »bei dem die Verwirklichung der Frauenrechte und der Gleichstellung der Geschlechter zu den horizontalen Grundsätzen und Hauptzielen gehört« und an der »weibliche Führungspersönlichkeiten und Akteure gleichberechtigt beteiligt« seien. Dass explizit angesprochen wird, dass die EU eine friedliche Außenpolitik verfolgen müsse, dürfte in der Kommission nicht in allen Büros gern gehört werden.

Auch beim Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt setzt der Parlamentsausschuss deutlichere Prioritäten als die EU-Kommission. So fordert der Femm-Report ausdrücklich die Aufnahme von Vergewaltigung in die Liste der EU-Straftatbestände. In der genannten Richtlinie von 2024 war dies wegen des Widerstands aus einigen EU-Mitgliedstaaten nicht geschehen, unter anderen aus Deutschland und Frankreich[2].

Manifestation gegen geschlechtsspezifische Gewalt in Paris
Manifestation gegen geschlechtsspezifische Gewalt in Paris

Nicht zuletzt verlangt der Parlamentsbericht angesichts der Rechtsentwicklung in Europa, Anti-Gender-Bewegungen konsequent zu bekämpfen und »sicherzustellen, dass die Gleichstellung der Geschlechter in der gesamten EU nach wie vor eine Priorität bleibt«. Das Erstarken rechtsextremer Kräfte in den Parlamenten und die wachsende Zahl rechter Regierungen in Europa ist mit verstärkten Angriffen auf Frauenrechte verbunden. »Unter rechten Regierungen sind Frauenrechte immer die ersten Rechte, die fallen«, sagt Maria Noichl.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1171389.feministische-aussenpolitik-schoener-schein.html?sstr=Frauenrechte
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1190353.gesetz-gegen-vergewaltigung-frankreich-nur-ja-heisst-jetzt-ja.html?sstr=Frauen|Vergewaltigung