Thomas Müller muss in diesen Tagen oft davon erzählen, wie er es als Fußballer mit der Vergangenheit hält. Also dass er sich damit gar nicht so sehr beschäftigt, sondern vielmehr mit dem, was vor ihm und dem FC Bayern[1] liegt. Das hat nicht nur mit der besonderen Situation des dienstältesten Münchner Spielers zu tun, mit der nicht ganz feinen Art der bevorstehenden Trennung und seiner Loyalität, sondern auch mit einer Fußball-Weisheit. Die Floskel vom nächsten Spiel, das immer das wichtigste ist, würde Müller nie benutzen, aber wohl auch nicht bestreiten, dass es oft so ist.
Für den FC Bayern gilt das mit Blick auf das Viertelfinal-Rückspiel in der Champions League bei Inter Mailand am kommenden Mittwoch auf jeden Fall, für Borussia Dortmund[2] dagegen nach der 0:4-Pleite im ersten Duell mit dem FC Barcelona[3] zumindest nicht ganz so sehr. Für die Westfalen hatte das Spiel am Sonnabend gegen die Münchner eine größere Bedeutung als das bevorstehende gegen die Katalanen. In der Bundesliga sind die Chancen auf einen erneuten Startplatz in der Champions League[4] noch realistisch – sehr viel realistischer als ein Halbfinaleinzug in der Königsklasse, der für Geschäftsführer Lars Ricken »das größte Fußball-Wunder in der Geschichte von Borussia Dortmund« wäre. Für das nationale Saisonziel aber war das 2:2 im Duell mit dem Tabellenführer »zu wenig, wenn wir schauen, wo wir gerade stehen«, stellte Kapitän Emre Can fest.
In der Bundesliga[5] sind aus den fünf Punkten Rückstand auf Platz vier sind nun sechs geworden. Aber die Reaktion nach dem Auftritt in Barcelona gibt den Dortmundern Hoffnung. Nicht unbedingt für die Partie am Dienstagabend gegen Barcelona, aber für den Rest der Saison. Trainer Niko Kovac habe »die richtigen Worte gefunden und uns gezeigt, was schiefgelaufen ist und was der Maßstab sein muss«, erklärte Can. Der Maßstab, das war die Leistung gegen München in der zweiten Hälfte, in der zuerst Maximilian Beier zur Führung und dann, als die Partie gekippt war, Waldemar Anton doch noch zum Ausgleich traf.
Im Titelkampf ist dank des Leverkusener Unentschiedens gegen den 1. FC Union Berlin[6] dagegen alles geblieben, wie es war. Und auch da vertritt Müller eine andere These. Der Meisterschaft sei der FC Bayern mit dem Punktgewinn ein Stückchen näher gekommen, gab er zu Protokoll. Weil dem Verfolger jetzt ein Spieltag weniger bleibt für die Aufholjagd.
Mit der Tabellensituation beschäftigten sich die Münchner am Sonnabend deshalb auch nicht so sehr, sondern sie nahmen ins Visier, was ihnen seit ein paar Wochen zu schaffen macht: die Effizienz vor dem Tor. Und da war er doch erlaubt, der Blick zurück. Zum dritten Mal hintereinander waren die Münchner am in Rückstand geraten, nachdem sie zuvor selbst beste Chancen ausgelassen hatten. »Wir belohnen uns nicht und werden mit der ersten Aktion des Gegners bestraft«, sagte Sportvorstand Max Eberl, dem aber vor allem »die Art und Weise, wie wir Fußball spielen«, Hoffnung für die Champions League[7] gibt, das 1:2 aus dem Hinspiel in Mailand noch drehen zu können.
Wie in Augsburg und gegen Mailand kamen die Münchner auch gegen Dortmund zurück – durch die Tore von Raphael Guerreiro und Serge Gnabry. Aber gewonnen haben sie am Ende nur eines der drei Spiele, weil sie sich auch zu viele Nachlässigkeiten in der Abwehr erlauben. »Wir sind fast immer die bessere Mannschaft, das ärgert mich am allermeisten. Da müssen wir erwachsener werden«, sagte Joshua Kimmich. Wenn das schnell geht, in Mailand wieder einmal ein frühes Tor gelingen sollte, ist er sicher, »kann das Spiel auch in unsere Richtung laufen.« Kimmich weiß: »Es ist nicht so, dass wir ein Wunder brauchen.« Anders als Dortmund gegen Barcelona.