Berlin, Montagmorgen am U-Bahnhof Jannowitzbrücke: Wer auf dem Weg zur U8 ist, könnte vor verschlossenen Toren stehen. Gleich zwei Eingänge zum Bahnhof sind zu, vor dem Treppenaufgang stehen vier Polizeibeamt*innen vor einem Absperrgitter. Sie lassen nur Journalist*innen und Politiker*innen durch.
Hintergrund ist ein Pressetermin mit Verkehrssenatorin Ute Bonde (CDU) und Henrik Falk, Vorstandvorsitzender der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG): Die »Reinigungsstreife« wechselt vom Testmodus in den Alltagsbetrieb. Dabei geht es um den Einsatz von Sicherheits- und Reinigungskräften sowie Polizist*innen entlang der U8 und an »Schwerpunktbahnhöfen«. Als Pilotprojekt vor einem Jahr gestartet, wird sie nicht nur auf weitere Bahnhöfe ausgeweitet, der Bahnhof Kottbusser Tor wird außerdem ein »Innovationsbahnhof«.
Laut einer Umfrage unter den BVG-Mitarbeiter*innen nehme jeder zweite Beschäftigte seinen Arbeitsplatz als sicherer wahr, sagt Meike Brännström. Sie ist Bereichsleiterin für den U-Bahn-Betrieb bei der BVG. »Da, wo es sauber ist, finden weniger Übergriffe statt«, meint Bonde. Nach dem tödlichen Messerangriff am U-Bahnhof Sophie-Charlotte-Platz unterstützt die Senatorin den Vorstoß für Messerverbotszonen im ÖPNV. Zugleich stellte sie einen raschen Beschluss des Senats womöglich noch während der gerade begonnenen Osterferien in Aussicht.
Es müsse »nicht immer Rocket Science« sein, um Bahnhöfe sicherer zu gestalten, sagt Falk mehrfach. Er stellt Plakate vor, die den Bahnhof »Kotti« künftig »innovativer« machen[1] sollen. Was sicher nicht unter »Rocket Science« fällt und noch in Prüfung ist, sind folgende Maßnahmen: An den Ecken sollen Spiegel installiert werden, um dahinterliegende Gänge zu sichten. Aufzugsschächte sollen verstärkt gereinigt und ein weiterer Ausgang am Bahnhof soll geöffnet werden. Die bereits vorhandenen Notruf- und Informationssäulen sollen besser gekennzeichnet werden. Ein »modulares Sicherheitscenter« soll dauerhaft mit BVG-Mitarbeitenden besetzt sein.
Unklarer bleiben hingegen die Bahnhofstouren für »diverse Gruppen«, die bereits am »Kotti« stattfinden. Ziel sei es, das Selbstbewusstsein und das Sicherheitsgefühl der »betroffenen Personen« zu stärken, teilt die BVG mit. Um welche Gruppen es sich dabei handelt, bleibt kryptisch. »Sie können sich alles darunter vorstellen«, sagt Falk. Auf dem Plakat zu dem Thema sind ein Polizist und eine Traube von Frauen zu sehen, die um ihn herum stehen. Keine der Personen ist weiß.
Etwas technischer wird es in puncto Videoüberwachung. Bereits umgesetzt ist die Kameraerkennung am Kottbusser Tor mithilfe von Künstlicher Intelligenz. Bislang wird sie nur zur Überwachung der Gleise im Tunnel genutzt. Damit werden Menschen, große Tiere und Gegenstände auf den Gleisen erkannt. Perspektivisch soll die Überwachungsmaßnahme auf »weitere Anwendungsfälle«, wie Müllerkennung am Bahnsteig und zurückgelassene Gegenstände, ausgeweitet werden, teilt die BVG mit. Sollten die Maßnahmen positive Testergebnisse erzielen, könnten sie über den »Kotti« hinaus eingesetzt werden.
Das Projekt steht seit Beginn in der Kritik. Sozialarbeiter*innen werten es als Verdrängungsmaßnahme und beklagen, dass sie ihre Klient*innen nicht mehr auffinden, da diese von den Bahnhöfen entfernt werden. Aktivist*innen verweisen auf gewaltsame Räumungen von Wohnungslosen[2] durch die »Reinigungsstreife«.
Ingo Tederahn, Bereichsleiter für Sicherheit bei der BVG, sagt zu »nd«, der U-Bahnhof sei »kein Therapiezentrum«. »Keiner wird am Kragen gepackt, wenn er sich nicht danebenbenimmt.« Die Streife kooperiere außerdem mit den sozialen Trägern Stadtmission, Fixpunkt und Karuna.
Astrid Leicht, Geschäftsführerin der Drogenhilfe Fixpunkt, sagt »nd« hingegen, dass sich der Verein nicht am Projekt beteilige. »Die von der BVG konzipierten Reinigungsstreifen durch Sozialarbeitende begleiten zu lassen, ist aus unserer Sicht nicht zielführend und effektiv, weder hinsichtlich der Erhöhung der Reinigungsleistung noch für die Sozialarbeit.« Auch Markus Siebert von der »Obdachlosen-Taskforce« bei Karuna sagt »nd«, dass der Verein nicht mit der Streife kooperiere. Wenn die Polizei oder Sicherheitskräfte ihre soziale Expertise riefen, würden sie als »Beistand« vor Ort begleiten. »Wir räumen nicht. Wenn ein Obdachloser vertrieben wird, verliert er oft alles, was er hat«[3], sagt Siebert.