Noch halten beide durch: Unter dem Titel »Wagner vs. Kartoffel – Wer hält länger durch?« hat die Linksfraktion in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Charlottenburg-Wilmersdorf einen Wettlauf der besonderen Art ausgerufen: Wird eine Kartoffel verwelken, bevor der Jugendbezirksstadtrat Detlef Wagner (CDU) aus dem Amt scheidet? In einem Livestream bei Youtube zeigt die Kartoffel zwar schon erste dunkle Flecken, macht sonst aber noch einen fitten Eindruck.
Mit der Aktion spielen die Linken im Bezirksparlament auf die mögliche Abwahl des Bezirksstadtrats an, der zugleich auch stellvertretender Bezirksbürgermeister ist. Wagner soll, so werfen es ihm SPD, Linke und FDP vor, einem Verein Fördermittel zugeschustert haben, dessen Geschäftsführer er selbst ist.
Konkret geht es um die gemeinnützige Gesellschaft »Jehi ’Or Jüdisches Bildungswerk für Demokratie – gegen Antisemitismus«. Wagner gründete die Gesellschaft mit und fungiert dort neben der bekannten jüdischen Aktivistin Lala Süskind[1] als Geschäftsführer. Eine Bezahlung erhält er für diese Tätigkeit nach eigenen Angaben nicht. Neben Wagner ist auch sein Büroleiter im Bezirksamt dort als Prokurist engagiert.
2020 beantragte die Gesellschaft erstmals Fördermittel in Höhe von 30 000 Euro beim Bezirk. Seitdem ergingen in jedem Jahr neue Anträge in ähnlicher Höhe. Die Mittel wurden vom dem Bezirksbürgermeister unterstellten Integrationsfonds vergeben, allerdings zahlten von Wagner geleitete Abteilungen in jedem Jahr einen Zuschuss.
Auffällig ist, dass die Mittel mit Wagners Verantwortlichkeiten wanderten: So schoss zunächst die Bezirkssozialabteilung Mittel zu, während Wagner dieser vorstand. Als Wagner nach der Wiederholungswahl 2021[2] in das Amt des Bezirksjugendstadtrats wechselte, flossen die Mittel von da an aus dem Budget der Bezirksjugendabteilung.
»Wagner schadet dem Projekt«, sagt Anne Zetsche, Mitglied der Linksfraktion in der BVV Charlottenburg-Wilmersdorf. Inhaltlich habe man an dem geförderten Projekt, bei dem es um Völkerverständigung durch Sport geht, wenig auszusetzen. Dass Wagner sich zugleich für den Träger und für die Finanzierung zuständig zeige, sei ein »Interessenskonflikt«. Weil Wagner die Doppelfunktion nicht gegenüber dem Jugendhilfeausschuss in der BVV transparent gemacht habe, spricht Zetsche zudem von einer Missachtung des Parlaments. »Das Verhalten führt dazu, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die Kommunalpolitik und die rechtmäßige Vergabe von öffentlichen Geldern schwindet«, sagt sie.
Zweifel an Wagners Verhalten kommen auch von seiner Vorgesetzten: Die Bezirksbürgermeisterin Kristin Bauch (Grüne) leitete bereits vor einem Monat eine rechtliche Prüfung der Vorgänge ein. Sie gibt an, dass die Personalstelle des Bezirks nicht über die Nebentätigkeit informiert war.
»Es wurde nichts hingebogen«, sagt Wagner selbst zu »nd«. An der Ausarbeitung des Förderantrags bei »Jehi ’Or« sei er nicht beteiligt gewesen. Der Förderantrag sei 2020 vom Integrationsbeauftragten positiv beschieden worden. Als der Antrag dann im Bezirksamt aufgerufen wurde, habe er sich für befangen erklärt und den Raum verlassen. Das Bezirksamt habe dem Antrag anschließend in seiner Abwesenheit einstimmig zugestimmt. »Ich habe die anderen nie beeinflusst«, so Wagner.
Der Beschluss, dass die Mittel zunächst bis 2021 aus der Sozialabteilung und dann anschließend aus der Jugendabteilung abfließen sollten, sei vom gesamten Bezirksamt getroffen worden und stehe in keinem Zusammenhang mit seinem persönlichen Postenwechsel. »Man hätte das schon 2020 als Jugendthema behandeln müssen«, sagt Wagner.
Das Bezirksparlament habe er bereits vor einiger Zeit im Rechnungsprüfungsausschuss über seine Nebentätigkeit informiert. »Da waren die Fraktionsvorsitzenden aller Parteien dabei«, sagt Wagner.
»Die Vorwürfe treffen mich unglaublich hart«, sagt Wagner. Denn das geförderte Projekt funktioniere und helfe, Antisemitismus abzubauen.
Am Donnerstag vergangener Woche wurde der Abwahlantrag in die BVV eingebracht. Damit er beschlossen werden kann, ist eine Zweidrittelmehrheit notwendig. Ob sie zustande kommt, ist unsicher. Dafür müssten Abgeordnete aus der Zählgemeinschaft von Grünen und CDU mit der Opposition stimmen. Bei einem vorangegangenen Abwahlantrag im Jahr 2023 auch gegen Wagner, bei dem es um die unrechtmäßige Kündigung eines Jugendclubs ging, enthielten sich die Grünen und verhinderten so die Abwahl.
Die Statute des Bezirks sehen vor, dass über den Antrag erst einen Monat nach Einbringung abgestimmt werden kann. Gerade hat Wagner also noch gute Karten im Wettlauf mit der Kartoffel.