In den Sechzigerjahren hätten Studierende an der Freien Universität gegen den Vietnam-Krieg mit ähnlichen Mitteln und für ähnliche Rechte demonstriert, sagt Maya S. in ihrer Stellungnahme vor dem Berliner Amtsgericht am Mittwochmorgen. »Ich werde weiter demonstrieren, auch wenn ich bestraft werde«, sagt die 23-jährige Politikstudentin. Sie hat die kanadische Staatsbürgerschaft und spricht Englisch.
Maya S. nahm wie circa 300 andere Studierende am 7. Mai 2024 am pro-palästinensischen Protestcamp[1] im Innenhof der Freien Universität (FU) teil. Der unangemeldete Protest wurde gewaltsam von der Polizei aufgelöst. Angeklagt ist S. für Hausfriedensbruch, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Beleidigung. Für Widerstand und Beleidigung wird sie zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen à 20 Euro verurteilt. Ihre Verteidigerin Jessica Grimm sagt »nd«, sie wolle gegen das Urteil in Berufung gehen.
Ein »Ende des Genozids in Gaza«, den »Boykott akademischer Einrichtungen in Israel«, den »Schutz akademischer Freiheit und ein Ende der Repression gegen Studierende« sowie die »Anerkennung Deutschlands kolonialen Erbes« lauten die vier Forderungen, die die Studierenden des Protestcamps an ihre Universität richteten.
Wie in den Sechzigerjahren nutzen pro-palästinensische Studierende heute Hörsaalbesetzungen, Sitzblockaden und Kongresse für politischen Widerstand – und erfahren ähnliche Repression[2] wie damals. »Ich kann es nicht fassen, dass ich nicht mal zwei Stunden demonstrieren konnte, bevor die Polizei das Camp räumte«, sagt S. im Gespräch mit »nd«. Auf Nachfrage erklärt sie, dass die FU Komplizin im Gaza-Krieg sei, weil sie palästinensische Studierende nicht unterstütze und den friedlichen Protest unterdrücke. Professor*innen würden die Proteste zudem pauschal als antisemitisch bezeichnen.
Auch Anwältin Grimm macht in ihrem Plädoyer darauf aufmerksam, dass sowohl die FU als auch die Polizei das Versammlungsrecht an dem öffentlichen Ort, dem Innenhof der FU, nicht berücksichtigt hätten. Wenn es dort in den Augen der Polizei zu strafrechtlich relevanten Aussagen gekommen sein soll, hätte sie durch Auflagen den Protest beschränken können. »Ich finde es unfassbar, wofür wie uns hier jedes Mal treffen«, sagt die Anwältin und bezieht sich auf die vielen Verfahren gegen pro-palästinensische Studierende, die friedlich protestieren.
»Ich finde es schrecklich, dass nicht ausgehalten wird, dass Menschen ihr Stimme erheben.«
Jessica Grimm Rechtsanwältin
»Ich finde es schrecklich, dass nicht ausgehalten wird, dass Menschen ihr Stimme erheben und wir nie darüber sprechen, wie Institutionen darauf reagieren«, sagt sie und erwähnt die Raumabsage der FU für den Vortrag der UN-Sonderberichterstatterin für die palästinensischen Gebiete, Francesca Albanese[3].
S. wird verurteilt, weil sie einen Polizeibeamten beleidigt und Widerstand gegen ihre Festnahme geleistet haben soll. Im Verfahren ist dabei nicht ganz klar, ob sie »shut up« oder »halt die Fresse« gesagt haben soll, als ein Beamter sie gewaltsam festnahm. Unklar bleibt auch, ob der Beamte den unmittelbaren Zwang gegenüber der Studentin vor der Festnahme auch angedroht hat.
Für die Richterin ist klar: Auch mit der Aussage »shut up« habe die Studentin den Polizisten in seiner Ehre verletzt. Im Gerichtssaal weist sie die circa zwanzig Zuschauenden mehrfach zurecht, weil sie angeblich durch Unterhaltungen stören. Obwohl die Bank für Journalist*innen direkt vor der Zuschauerbank steht, ist von den solidarischen Prozessbeobachter*innen nichts zu hören.