nd-aktuell.de / 16.04.2025 / Politik / Seite 1

Entmietete »Stein34« geht in Flammen auf

Ein Altbau in Halle brennt kurz nach dem Auszug des letzten Mieters. Der Brand steht auch symbolisch für die Verdrängung in Großstädten.

Paulina Rohm
Was wäre wohl aus dem Altbau geworden, wenn es die Hausgemeinschaft mit dem Mietshäusersyndikat gekauft hätte?
Was wäre wohl aus dem Altbau geworden, wenn es die Hausgemeinschaft mit dem Mietshäusersyndikat gekauft hätte?

Es war am frühen Abend des 25. März: Im leerstehenden Mietshaus Große Steinstraße 34 in Halle (Saale) brannten die oberen Etagen. Die Löscharbeiten dauerten stundenlang, es waren etwa 60 Einsatzkräfte vor Ort. Glücklicherweise ging das Feuer nicht auf die anliegenden Häuser über. Der Dachboden des Gebäudes ist jedoch nahezu vollständig abgebrannt. Steht man davor, wirkt es jetzt wie ein Baum ohne Krone. Zur Brandursache gibt es bislang keine offiziellen Aussagen. Die Ermittlungen – auch wegen Brandstiftung – laufen noch.

Der MDR berichtete in den Tagen nach dem Vorfall von Brandherden auf jeder Etage[1] und dass das Haus einsturzgefährdet sei. In der Woche nach dem Brand musste der Eigentümer deswegen auf Anweisung der Stadtverwaltung hin einen Giebel, die Dachbodenwände sowie zwei Türmchen abtragen lassen. Ob das Gebäude überhaupt stehen bleiben kann und auf welche Summe sich der Schaden beläuft, ist auch noch unklar. Als Benjamin S., der ehemalige Besitzer des kleinen »Bistro Lorraine« im Erdgeschoss, das den Sanierungsplänen des damals neuen Eigentümers weichen musste, vor dem brennenden Haus stand, befürchtete er jedoch: Die »Stein34« ist nicht mehr zu retten.

Gegen 21 Uhr fuhr Benjamin S. auf dem Rückweg von seiner Arbeit als angestellter Koch an dem brennenden Haus vorbei, in dem er früher seinen eigenen Laden hatte. Er sah die Flammen aus den Fenstern lodern und fragte sich, ob das jetzt das Ende sei. Das Haus sei zwar schon lange Zeit davor sanierungsbedürftig gewesen. »Aber zumindest stand es noch da«, erzählt Benjamin S. dem »nd«. Nun gibt es auch darüber keine Sicherheit mehr.

»Es war, als ginge ein Traum, für den das Haus für mich noch sinnbildlich stand, in Flammen auf.«

Johanna E. Ehemalige Bewohnerin der Großen Steinstraße 34

Auch Johanna E., die 2022 mit ihrer Wohngemeinschaft in dem Haus für bezahlbaren Wohnraum kämpfte, erschütterte der Anblick des brennenden Gebäudes. »Es war, als ginge ein Traum, für den das Haus für mich noch sinnbildlich stand, in Flammen auf.« Mittlerweile wohnt sie in einem ebenfalls sanierungsbedürftigen Künstlerhaus.

Über mögliche Brandstifter*innen lässt sich nur spekulieren. Benjamin S. meint, dass das Haus aufgrund der hohen Anforderungen für eine Sanierung den Wert des Grundstücks senke. Die Große Steinstraße 34 liegt in der nördlichen Innenstadt Halles und sprang schon vor dem Brand ins Auge. Das Eckhaus mit seinen zwei Türmchen, die seine Fassade bis vor Kurzem schmückten, wurde zur Gründerzeit gebaut und steht unter Denkmalschutz. Eine entsprechende Sanierung ist aufwändiger und teurer als bei gewöhnlichen Wohnhäusern. Daher wäre ein Rück- und Neubau wohl erschwinglicher. Ob ein denkmalgeschütztes Gebäude (teilweise) abgerissen werden darf, unterliegt allerdings strengen Regeln. Häufig begründen Antragsteller*innen die geforderte Abrissgenehmigung vor der Denkmalschutzbehörde mit der sogenannten »wirtschaftlichen Unzumutbarkeit« der Sanierungskosten. Durch die entstandenen Brandschäden könnte das Haus in der Großen Steinstraße 34 nun diese Bedingung erfüllen.

Was aus dem Gebäude wird, bleibt vorerst offen. In den vergangenen zwei Jahren wurden zumindest keine von außen erkennbaren Baumaßnahmen durchgeführt. Die Pressestelle der Stadt Halle teilte dem »nd« schriftlich mit, dass Bien im Jahr 2022 sanierungsvorbereitende Maßnahmen beantragt hätte, die auch genehmigt wurden. Ob diese nach dem Brand noch aktuell sind, ist fragwürdig.

Jonas Bien kaufte das Haus 2021 und ist insbesondere seit 2022 in der Immobilienbranche aktiv geworden. In den vergangenen drei Jahren wurde er zum Geschäftsführer von über 20 Wohngesellschaften[2], vor allem in Halle, Leipzig und Umgebung. Als er das Haus kaufte, wurden noch drei Wohnungen und drei Gewerbeflächen genutzt.

Der vorige Eigentümer Jürgen Wiehl hatte das Haus etwa zehn Jahre zuvor für einen fünfstelligen Betrag gekauft. Wiehl besitzt ebenfalls mehrere Wohnobjekte in Halle und betreibt das zirkuspädagogische Projekt »Zirkus Klatschmohn« ganz in der Nähe der Großen Steinstraße 34. Bewohner*innen und Gewerbetreibende berichten von einer »fahrlässigen« Verwaltung des Gebäudes durch Wiehl: eine stark beschädigte Kellerdecke, jahrelang nicht reparierte Klospülungen, defekte Wasserleitungen und ein Taubenzeckenbefall. »Der hat da nie was dran gemacht«, sagt Benjamin S.

Das dementiert der ehemalige Eigentümer des Hauses. Auf Nachfragen erklärte er dem »nd«, es seien damals »alle notwendigen Erhaltungsmaßnahmen (…) getroffen« worden. Johanna E. erinnert sich jedoch an ein Zimmer, in das es hineinregnete, und an ein windiges Küchenfenster. Reparaturen seien entweder erst sehr spät und »notdürftig« durchgeführt worden – oder gar nicht.

Dass das Haus einer umfangreichen Renovierung bedurfte, war Wiehl dennoch klar. Am Ende hätte er entweder »komplett sanieren und modernisieren« müssen oder verkaufen, teilt er per E-Mail mit. Er entschied sich für letzteres. Als 2021 durchsickerte, dass er das Haus abgeben will, traten die Bewohner*innen und die Gewerbetreibenden des Hauses miteinander in Kontakt. Denn sie teilten eine Befürchtung: Wer auch immer das Haus kauft, wird sanieren. Und die Mieten würden dann so stark ansteigen, dass die Altmieter*innen sich die kaum mehr leisten könnten.

Um diesem vorhersehbaren Prozess der Verdrängung zu verhindern, machten Johanna E.s Wohngemeinschaft und rund 20 weitere Personen ihrem Vermieter Wiehl ein Kaufangebot. »Plan war es, das Haus mithilfe des Mietshaussyndikats dem Wohnungsmarkt zu entziehen und eine sozial verträgliche Sanierung durchzuführen«, erzählt Benjamin S.

Sie berechneten die anfallenden Renovierungskosten bei gemäßigten Mieteinnahmen und boten Wiehl 1,5 Millionen Euro für das Haus. Die Summe fand der Eigentümer nach eigenen Angaben jedoch »nicht akzeptabel«, da sie deutlich unter den anderen Angeboten gelegen habe. An einer Immobilienrente, die die Bewohner*innen ihm vorschlugen, war er ebenfalls nicht interessiert. Er nahm das höher liegende Angebot von Jonas Bien an.

Was von dem Gebäude geblieben ist, wirkt wie ein Museumsobjekt großstädtischer Verdrängungsprozesse.

Kurz nach dem Kauf zum Jahreswechsel 2021/2022 forderte der neue Besitzer die Bewohner*innen auf auszuziehen. Er wolle das Gebäude kernsanieren. Den Gewerbetreibenden kündigte Bien mit einer Frist von drei Monaten. Die Bewohner*innen weigerten sich jedoch auszuziehen.

Im April 2022 begannen dann die erwarteten »kalten Entmietungsmaßnahmen«: Es gab unangekündigte Bauarbeiten (beispielsweise wurde ohne Warnung Bauschutt aus den oberen Stockwerken in den Innenhof gekippt), den Bewohner*innen wurden Wasser und Strom abgestellt, der Zugang zu Keller und Hof wurde verwehrt und die Klingel am Hauseingang wurde abmontiert, wodurch keine Post mehr ankam. Zu seinem damaligen Verhältnis zu den Bewohner*innen und den Gewerbetreibenden äußerte sich Bien auf Anfrage des »nd« nicht.

Johanna E. machte zu der Zeit eine Ausbildung zur Zweiradmechatronikerin, und keinen Rückzugsort in den eigenen vier Wänden zu haben, war für sie in dieser Zeit ein Stressfaktor: »Du kommst nach Hause und kannst dem Ganzen nicht mal eine Minute entgehen: Alles ist laut, du kannst nicht heizen und du musst jederzeit damit rechnen, dass wieder irgendwas passiert«. Außerdem seien die Kommunikation mit dem Eigentümer, die Absprachen mit den anderen Mieter*innen, die Dokumentation der Baumaßnahmen und die späteren juristischen Prozesse sehr zeitaufwändig gewesen. »Das geht an die Existenz«, sagt sie.

Benjamin S. erzählt von einem drastischen Vorfall: Eines Tages stieg durch Baumaßnahmen im Keller so viel Staub in Hausflur und Hof, dass er auch in die Küche seines Lokals drang. »Da konnte ich erst mal dichtmachen. Wenigstens bekam ich damals Schadenersatz«, erinnert er sich.

All dies wurde auf der Website der Unterstützer*innengruppe »Stein34bleibt!« dokumentiert und seit 2022 mit Kundgebungen und Demonstrationen auf die Straße getragen. Teilweise nahmen mehrere hundert Personen daran teil. Zudem ging Johanna E.s Wohngemeinschaft juristisch gegen die illegalen Baumaßnahmen vor, was zu deren vorläufigem Stopp Ende Mai 2022 führte. Und auch der Versuch, die Wohngemeinschaft aus dem Haus heraus zu klagen, scheiterte zunächst. Bien erhob jedoch Einspruch gegen das Urteil.

Die Folgen der Belastungen durch die »Entmietungsmaßnahmen« bewegten die Mitglieder der Wohngemeinschaft trotz ihrer Beharrlichkeit dazu, sich wenige Monate später außergerichtlich mit ihrem Vermieter zu einigen. »Alles fühlte sich an wie ein Angriff«, schreiben sie auf ihrem Blog. Die Sanierungsvorhaben des Vermieters seien langfristig nicht zu verhindern gewesen. In der Folge entschieden sie sich für den Auszug.

2024 stand das Haus fast vollständig leer. Der letzte Bestandsmieter, der jahrzehntelang in der Großen Steinstraße 34 gelebt hatte, zog im Januar dieses Jahres aus. Dass das Haus nach diesem Prozess der Entmietung, des Leerstands und des Verfalls abbrennt, steht für die Initiative »Stein34bleibt!« sinnbildlich für die Zerstörungskraft des kapitalistischen Wohnungsmarktes.

Dabei ist die Hallenser Bevölkerung auf die bezahlbaren Mietwohnungen angewiesen. Die Folge der Verdrängungsprozesse ist allzu oft das, was in der Soziologie »soziale Segregation« genannt wird. Damit ist gemeint, dass beispielsweise aufgrund von hohen Mietpreisen in einem bestimmten Stadtteil nur gutverdienende Menschen leben können, während ärmere Menschen in anderen Vierteln nach bezahlbarem Wohnraum suchen müssen. Somit kommt es zu einer Aufteilung der Stadt nach Besitz- und Gehaltsklassen, was weitere Konsequenzen, wie höhere Investitionen in die reicheren Viertel, mit sich bringt. Halle hat im deutschlandweiten Vergleich von Großstädten einen der höchsten Werte[3] an sozialer Aufteilung nach dem Vermögen.

Die Initiative »Stein34bleibt!« fordert deswegen eine Wirtschaftspolitik, die sich an den menschlichen Bedürfnissen orientiert, statt an den wirtschaftlichen Interessen einzelner Konzerne oder ganzer Branchen. »Wir wollen ein gutes Leben für alle!« Damit riefen die Unterstützer*innen des Hauses zu einer Kundgebung nach dem Brand auf. Was aus dem Haus wird, ist weiterhin unklar. Seine Symbolik ist jedoch nicht zu leugnen. Das, was von dem Gebäude geblieben ist, wirkt wie ein Museumsobjekt großstädtischer Verdrängungsprozesse.

Links:

  1. https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen-anhalt/halle/halle/brand-rauch-feuerwehr-sperrung-umleitung-108.html
  2. https://www.northdata.de/Bien, Jonas, Halle (Saale)/60b
  3. https://www.bpb.de/kurz-knapp/zahlen-und-fakten/sozialbericht-2024/553274/armutssegregation-in-den-deutschen-staedten/