nd-aktuell.de / 16.04.2025 / Politik / Seite 1

Kriege beenden, um Konflikte zu lösen

Die Linke darf sich nicht auf die Seite der Aufrüstungs­befürworter schlagen. Denn denen geht es auch heute vor allem um Geschäfte

Jürgen Lehmann
April 2024: Protest gegen die Stationierung neuer Raketensysteme im brandenburgischen Holzdorf. Der Bundeswehrstandort soll zum größten Luftwaffenstützpunkt in Ostdeutschland ausgebaut werden.
April 2024: Protest gegen die Stationierung neuer Raketensysteme im brandenburgischen Holzdorf. Der Bundeswehrstandort soll zum größten Luftwaffenstützpunkt in Ostdeutschland ausgebaut werden.

Solange der Ukraine-Krieg[1] dauert, frage ich mich, warum man sich die richtige Strategie des Westens für diesen Krieg von »Experten« erklären lassen sollte, die zuvor 20 Jahre lang einen sinn- und erfolglosen Krieg in Afghanistan geführt haben und am Ende nicht einmal zu einem geordneten Rückzug fähig waren. Beendet wurde der Afghanistan-Krieg damals von Donald Trump nach bilateralen Verhandlungen mit den Taliban – ohne die restliche »Koalition der Willigen«, die sich an der militärischen Verteidigung westlicher Werte am Hindukusch beteiligt hatte. In Bezug auf den Ukraine-Krieg deutet sich ein ähnliches Szenarium an, bei intensiver Gegenwehr der europäischen Willigen unter Führung von Großbritannien und Frankreich.

Da stellt sich die Frage, ob Donald Trump ein Friedensengel ist[2], der kampflos westliche Werte preis- und feindlichen Interessen nachgibt. Sehr wahrscheinlich nicht: Trump ist ein knallharter Unternehmer, der Kosten und Nutzen analysiert und nicht bereit ist, verlorenem Geld sinnlos weiteres hinterherzuwerfen.

Alle relevanten Krisen der letzten 30 Jahre haben ursächlich mit der von Marx analysierten Suche nach alternativen Kapitalverwertungsstrategien zu tun, die dem tendenziellen Fall der Profitrate entgegenwirken sollten. Da solche Strategien nicht nachhaltig sind, sondern immer wieder versagen, scheint es zwangsläufig, dass irgendwann jemand auf die Idee kommt, die Rüstungsindustrie wäre die ideale Lösung für dieses Problem. Denn Waffen sind meist kurzlebig und müssen bei militärischer Auseinandersetzung zeitnah ersetzt werden. Der Sättigungseffekt herkömmlicher Produkte tritt nicht ein, die Rendite ist dauerhaft gesichert. Zudem kann man nach dem Krieg am Wiederaufbau verdienen.

Trump ist ein knallharter Unternehmer, der Kosten und Nutzen analysiert und nicht bereit ist, verlorenem Geld sinnlos weiteres hinterherzuwerfen.

Nehmen wir an, dass auch der cleverste Unternehmer an einer effektiven Kapitalverwertung interessiert ist, aber dem tendenziellen Fall der Profitrate unterliegt – dann sollte man meinen, dass Trump Rüstung und Kriegen ebenfalls nicht prinzipiell abgeneigt ist. Aber vielleicht glaubt er im Rahmen seiner Amtszeit eher, dass europäische Aufrüstung auch ohne unmittelbaren Krieg in den nächsten Jahren der US-Rüstungsindustrie ausreichend Rendite generiert, ohne den eigenen Staatshaushalt über Gebühr zu belasten.

Zumindest sollte man einem US-Präsidenten eine gewisse Rationalität unterstellen und deshalb die Beweggründe hinter seinen manchmal unverständlichen Handlungen suchen. Gleiches gilt für das russische Pendant, ohne dass man als »Putin-Versteher« disqualifiziert wird. Ich beschimpfe meinen Onkologen auch nicht als »Krebsversteher«, sondern erwarte, dass dessen Verständnis der Prozesse zu einem für mich positiven Ergebnis führt.

Wer das Phänomen Putin begreifen will, muss zunächst verstehen, dass er die Antwort Russlands auf den westlichen Fehler war, Jelzins Öffnung zum Westen als Schwäche anzusehen und zusammen mit einheimischen Oligarchen das Land auszuplündern. Putins Leistung bestand anfänglich darin, Russlands Staatsfinanzen und Sozialsysteme wieder auf solide Füße zu stellen, die politische Macht der Oligarchen zu begrenzen und dem Westen Gesprächsangebote, allerdings auf Augenhöhe, zu machen. Diese auszuschlagen und zudem die Ostausdehnung von Nato und EU unbegrenzt voranzutreiben, erhöhte das Konfliktpotenzial – mit den bekannten schrecklichen, aber nicht unabwendbaren Folgen.

Die Konflikte zwischen EU/Nato und Russland zu lösen, heißt letztlich, ein europäisch-russisches Verhältnis nach Putin zu denken, das auf Gleichberechtigung basiert. Integration von Erbfeinden statt Konfrontation hat auch zwischen Deutschland, Frankreich und Großbritannien zu einem friedlichen Nebeneinander geführt. Dauerhafter Frieden erfordert das Verständnis und Akzeptieren unterschiedlicher Interessen und gegenseitiges Entgegenkommen mit dem Ziel friedlicher Konfliktlösung.

Krieg kann nicht im Interesse der einfachen Bürger sein. Die gesteigerten Profite streichen einige wenige ein, die Kosten hat dagegen die überlebende Bevölkerung zu tragen. Linkes Denken in Zeiten von Krieg sollte also in erster Linie heißen, sich von den Thinktanks zu lösen, die die militärische Aufrüstung propagieren, und sich stattdessen auf die Ansätze marxistischer Denker, die Standhaftigkeit des Kriegsgegners Karl Liebknecht und die klugen Ideen all ihrer modernen Nachfolger zu besinnen. Damit kann man – hinter den Nebelkerzen politischer Entscheidungsträger – einen klaren Blick auf die Interessen von Konfliktpartnern werfen und daraus Ansätze für friedliche Konfliktlösungen herleiten.

Jürgen Lehmann ist Ingenieur und war von 1990 bis Ende 2023 Mitglied der PDS bzw. der Linken.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1190218.ukraine-krieg-trump-droht-putin-und-selenskyj.html?sstr=Ukraine
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1190573.bridget-brink-us-botschafterin-in-kiew-raeumt-posten.html?sstr=Ukraine