nd-aktuell.de / 17.04.2025 / Kultur / Seite 1

Influencer der Kriegsmüden

Gegen die Auferstehung des militärischen Zeitgeists hat Ole Nymoen eine staatskritische Streitschrift verfasst

Felix Bardorf
Jung und bundeswehrbegeistert? Trotz allgemeiner Kriegstüchtigkeitsstimmung lehnt eine Mehrheit der jungen Leute die Wehrpflicht ab.
Jung und bundeswehrbegeistert? Trotz allgemeiner Kriegstüchtigkeitsstimmung lehnt eine Mehrheit der jungen Leute die Wehrpflicht ab.

»Ich, für Deutschland kämpfen? Never!« – Im Juli 2024 sorgte der Podcaster und Autor Ole Nymoen mit diesem »Zeit«-Artikel für große Empörung auf Seiten der Leser*innen des als (links-)liberal geltenden Blattes. »Hat hier ein russischer Bot die Feder geführt?«, fragte ein Leserbrief; ein anderer: »Der Text von Ole Nymoen kommt daher wie ein Wok-Gericht, bestehend aus halbgaren Obskuritäten in einer pelzigen Sauce mit anarchischem Beigeschmack!«. Auch der CDU-Politiker und Oberst a. D. Roderich Kiesewetter empörte sich und warf dem Autor »Zynismus« vor. Nymoen, offensichtlich wenig eingeschüchtert, erinnerte daraufhin in einem Interview mit der »Berliner Zeitung« an Kiesewetters Vorschlag, wehrpflichtigen Ukrainern das Bürgergeld zu entziehen, damit sie in ihre Heimat zurückkehren, um zu kämpfen. Dass ihm »solche Leute Zynismus vorwerfen«, finde er »erst einmal niedlich«.

Der Rowohlt-Verlag habe ihm, so Nymoen, vierundzwanzig Stunden nach der Veröffentlichung des »Zeit«-Artikels vorgeschlagen, in einem Buch seine »Position detaillierter auszuführen«. Bereits die Ankündigung dessen sorgte für Gegenwind der Advokat*innen von Aufrüstung und Zeitenwende: Der Historiker und »Propagandaproll«, wie ihn Kay Sokolowsky in »Konkret« bezeichnete, Ilko-Sascha Kowalczuk wandte sich auf »X« direkt gegen den Verlag, der »seinen guten Namen mit einem wohlstandsverwahrlosten Autoren« verunglimpfe, und fabulierte vom Vormarsch der »5. Kolonne Moskaus«.

Der Staat führt Krieg

Nun ist – pünktlich zur anstehenden Kanzlerschaft von Friedrich Merz, einem neuen Schub der Militarisierung Europas und einer erneut aufflammenden Debatte um die Wehrpflicht – der schmale Band »Warum ich niemals für mein Land kämpfen würde«mit dem programmatischenUntertitel»Gegen die Kriegstüchtigkeit«erschienen. Obwohl Nymoen im Buchtitel von seinem Land spricht, weiß er doch ziemlich genau, dass er selbst nicht »über einen einzigen Quadratmeter« dieses Landes verfügt. Deshalb bezieht er sich positiv auf die von Marx und Engels im»Kommunistischen Manifest«getroffene Feststellung, »die Arbeiter haben kein Vaterland«.

Im Fokus der ersten Kapitel stehen die Kriege, die für Nymoen »eine realistische Bedrohung darstellen, in denen also ein Staat den anderen angreift, um sich Land und Leute untertan zu machen«. Den Vernichtungskrieg, bei dem »die Auslöschung der Staatsmacht und die des Volkes in eins« falle, klammert er dabei dezidiert aus. Er widmet sich aber der Strategie, das »militärische Gegenüber mit dem Nationalsozialismus zu identifizieren«, um den Gegner »moralisch gänzlich zu diskreditieren«. Der Historiker und Journalist Benoît Bréville hatte diesen Aspekt des Gebrauchs von historischen Vergleichen zu politischen Zwecken, etwa zur Diskreditierung von Appeasement-Politik und zur Rechtfertigung von militärischen Interventionen, in dem Artikel »Geschichte als Waffe« in der »Le Monde diplomatique« vom Mai 2024 herausgearbeitet.

Der Sinn des Krieges – zumindest aus der Perspektive der Herrschenden – bestehe darin, dass Staaten mit dessen Hilfe Machtansprüche geltend machen und erweitern können. Sinnlos sei der Krieg aus der Perspektive der Beherrschten beziehungsweise der Bürger*innen. Sie »haben von diesen Kriegen ja nichts, im Gegenteil: Sie riskieren ihr eigenes Leben oder müssen zumindest Verminderungen der materiellen Lebensqualität in Kauf nehmen«. Ihre Interessen seien nicht mit denen »ihrer« Staaten gleichzusetzen, und der »Staat ist ganz sicher kein Wohltäter gegenüber seinen Untertanen« – siehe die Diskussion über die Kindergrundsicherung oder das Bürgergeld, das in der nächsten Regierung voraussichtlich für sogenannte Totalverweigerer gänzlich gestrichen werden soll.

Im Kriegsfall dominiere ein instrumentelles Verhältnis des Staates gegenüber den Bürger*innen, die Herrschenden haben – so Nymoen – das Recht, letztere »für ihre eigenen machtpolitischen Interessen nach Belieben zu benutzen«. Der Staat, in dem ein bestimmtes Partikularinteresse als allgemeines präsentiert wird, könne nicht als »nützlicher Diener des Volkes« verstanden werden. Gleichzeitig sei das Bild des Staates als »stummer Diener des Geldes«, wie Nymoen es in Lenins Arbeiten zum Imperialismus erkennt, verkürzt. Vielmehr müsse der Staat auch als eigenständiger Akteur mit Macht und Gewaltansprüchen in den Blick genommen werden.

Alternativen zum Krieg?

Im letzten Teil arbeitet sich Nymoen vor allem an den »kritischen« Leser*innenbriefen ab, die auch online einsehbar sind. Sein Standpunkt und seine Überlegungen werden hier beispielsweise als »pseudo-intellektueller Mist« abgekanzelt, ein anderer liberal gesinnter Geist wünscht ihm 15 Jahre Lagerhaft. Denjenigen, die ihm Egoismus vorwerfen, hält Nymoen die realen gesellschaftlichen Verhältnisse vor, in denen »ein jeder den anderen zu übervorteilen und auszustechen« versucht, und markiert ein »menschliches Wir« und »soziales Miteinander« als »wohl stärkste Triebfeder« seiner publizistischen Arbeit. Andere Leser*innen kritisierten in ihren Briefen seinen angeblichen »Mangel an demokratischem Bewusstsein«. Ihnen hält Nymoen die mangelhaften Möglichkeiten demokratischer Partizipation – insbesondere in der Sphäre der Ökonomie – in der bundesdeutschen Klassengesellschaft entgegen.

Im Schlusskapitel macht er deutlich: Dem »staatlich verordneten Kämpfen« werde er sich, sofern es nötig wird, entziehen. Für den jungen Autor ist die Frage der »Kriegstüchtigkeit« keine rein hypothetische – anders als für so manch andere Vertreter*innen der »Altenrepublik« (Stefan Schulz), die der Dienst an der Waffe nicht mehr erwarten wird. Bemerkenswert ist eine von Nymoen angeführte Befragung der »Zeit«: Eine knappe Mehrheit in Deutschland befürworte eine Wiedereinführung der Wehrpflicht, aber von den Achtzehn- bis Neunundzwanzigjährigen sprechen sich 59 Prozent gegen diese Maßnahme aus.

Wie repräsentativ diese Befragung auch sein mag: Dass Nymoen diesen 59 Prozent mit seiner Streitschrift und seinem starken Plädoyer gegen die Kriegstüchtigkeit zur Seite springt, ist zu begrüßen – sicher tut er dies als junger Mensch, Jahrgang 1998, auch aus einem begründeten Eigeninteresse. Als Podcaster wird er mit hoher Wahrscheinlichkeit ein junges Publikum erreichen und für Diskussion sorgen. Bedauerlich ist, dass er Alternativen jenseits der Mobilisierung für den Krieg wenig diskutiert. So findet das in der Friedensbewegung und Friedensforschung diskutierte Konzept der Sozialen Verteidigung keine Erwähnung. Hier wären zumindest weiterführende Literaturhinweise wünschenswert gewesen: wie etwa auf den Sammelband zur »Kritischen Friedensforschung«, der 2024 im Mandelbaum-Verlag erschien, oder die Zeitschrift »Wissenschaft und Frieden«. Auch Nymoens Staatsverständnis bleibt im Abstrakten, so dass ein analytisch differenzierter Blick auf unterschiedliche kriegerische Auseinandersetzung und Kriegsparteien in der Streitschrift nicht geleistet werden kann – wodurch eine Angriffsfläche entsteht, wie auch die medialen Auftritte des Autors der letzten Wochen gezeigt haben.

Nicht den dreckigen Lügen trauen

Nymoens abschließendes Plädoyer für einen »modernen Sozialismus«, mit einer »sinnvolle[n] gesellschaftlichen Planung«, in dem die Menschen »aufhören, sich zuallererst mit ihrer Nationalität und ihrem Staat zu identifizieren«, ist sympathisch, mit Blick auf die aktuellen Kräfteverhältnisse aber auch reichlich utopistisch. Die Stärke der kleinen Streitschrift bleibt die kritische Intervention in eine aufgeheizte Debatte und Nymoen stellt sich öffentlichkeitswirksam gegen die »geistige Mobilmachung der Bevölkerung« im Zeichen der militärischen »Zeitenwende«.

Sollte die kommende Regierung den im Sommer letzten Jahres verkündeten Plan von Boris Pistorius umsetzen, dann bekommen zukünftig Frauen* und Männer mit Erreichen des »wehrdienstfähigen Alters« einen Fragebogen zugeschickt, um sie zu einer Auseinandersetzung mit der Bundeswehr und »ihren Aufgaben zur Verteidigung der Sicherheit Deutschlands«, wie es auf der Internetseite des Bundesministeriums der Verteidigung heißt, anzuregen.

Ich selbst hatte noch das zweifelhafte Vergnügen der Musterung und wurde für untauglich erklärt, muss mir also an dieser Stelle wohl weniger Sorgen machen. Bevor mein Sohn aber irgendwann die Propaganda-Post des Kriegsministeriums öffnen muss, werde ich ihm Ole Nymoens Buch in die Hand drücken. Wie heißt es so schön in einem von Brechts »Vier Wiegenliedern für Arbeitermütter«: »Sicher, sie planen mit dir jetzt schon Siege. Was soll ich nur machen, daß du nicht ihren dreckigen Lügen traust.«

Ole Nymoen: Warum ich niemals für mein Land kämpfen würde. Gegen die Kriegstüchtigkeit. Rowohlt 2025, 144 S., geb., 16 €.