nd-aktuell.de / 17.04.2025 / Kultur / Seite 1

Gisela Elsner: Lieber gerissen als weise

»Die Auferstehung der Gisela Elsner«, wie sie die Satirikerin selbst imaginierte

Tanja Röckemann
Schon zu Lebzeiten ein bisschen makaber: die kommunistische Satirikerin Gisela Elsner (1937-1992)
Schon zu Lebzeiten ein bisschen makaber: die kommunistische Satirikerin Gisela Elsner (1937-1992)

»Auf die Gefahr hin, der üblen Nachrede gegen eine nicht allein unlängst Verschiedene, sondern ausschweifend geehrt Verschiedene bezichtigt zu werden, hat sich der Berichterstatter dieses Blattes, dessen begrenzte Auflage mehr Wahrhaftigkeit zu erlauben scheint als die der großen Tageszeitungen, nach reiflicher Überlegung entschlossen, einen ausführlichen Bericht über das allerorts totgeschwiegene Leichenbegräbnis der Gisela Elsner dem Leser nicht vorzuenthalten.« Trotz einiger darauf hindeutender Informationen wurden diese Worte nicht von mir verfasst, der Berichterstatterin eines Blattes, dessen begrenzte Auflage tatsächlich mehr Wahrhaftigkeit zu erlauben scheint als die der großen Tageszeitungen, sondern von Gisela Elsner selbst. Es ist der Beginn eines von ihr über sich verfassten Nachrufs, geschrieben von einer, die bereits im Alter von 33 Jahren dazu bereit war, sich ihre eigene Beerdigung auszumalen. Sie betitelte die Erzählung als »Die Auferstehung der Gisela Elsner«.

Im Jahr 1970, zwei Jahrzehnte vor ihrem wirklichen Tod, der ein Freitod war, schreibt sie: »Man soll, so heißt es so schön, die Toten ruhen lassen. Weil es sich hier jedoch um eine Tote handelt, die von vornherein auf nichts anderes als auf Trubel aus war, hält der Berichterstatter ein Verschweigen der Einzelheiten für unangebracht. Während manch einer unserer Dichter, die uns Wertvolles zu sagen hatten, in aller Stille und Bescheidenheit unter seinem schlichten Stein zu Staub zerfällt, zog es Gisela Elsner vor, selbst aus ihrer Verwesung ein Aufhebens zu machen. Nicht allein ihre Texte, nein: auch ihr Totenhemd betreffend schreckte sie keineswegs vor Zugeständnissen an die Mode zurück. … Der ebenfalls offene Mund, auf dessen Oberlippe sich eine dicke Hornschicht gebildet hatte – mit seiner Hilfe legte Gisela Elsner, seit es ihre verkrampften Finger nicht mehr erlauben, einen Stift zu ergreifen oder die Tastatur ihrer Schreibmaschine zu betätigen, in ihren letzten Lebensjahren ihre zunehmend verwässert werdenden Gehässigkeiten schriftlich nieder – der ebenfalls offene Mund war von einem Gerichtschirurgen offenbar in der mißglückten Absicht, die Miene hämisch wirken zu lassen, in die Breite gezogen worden. Tatsächlich hatte das Gesicht dadurch einen an Überrumpelung grenzend überraschten Ausdruck angenommen, den es nun wohl oder übel bis zum Zerfall behalten wird. … Als weise läßt sich beim besten Willen nicht bezeichnen, wenn jemand die letzte Gelegenheit beim Schopfe packt, um ein öffentliches Ärgernis zu bieten, sondern lediglich als gerissen. Man soll, heißt es so schön, die Toten ruhen lassen. Aber diese Tote bedient sich ja im Friedhof noch einer Ellenbogentechnik, die die Gebeine der ringsum in Frieden Ruhenden zu verdrängen droht. ... Wer keine Tränen vergießen will, soll Gisela Elsner gesagt haben, soll wenigstens schwitzen.«

Es ist durchaus die Ellenbogentechnik, mit der Elsners Satiren bis heute den Frieden der schlechten Verhältnisse stören – und auch die Elsner-Gesellschaft, die ihr fiktives Begräbnis lobhudelnd begleitet, ist Wirklichkeit geworden. Ich bin natürlich Mitglied. Treten Sie bei!