nd-aktuell.de / 17.04.2025 / Kultur / Seite 1

Himmel und Hölle auf Erden

Wie sieht Leben nach dem Zusammenbruch aus? Zombie-Geschichten zeichnen dieses Szenario – und zeigen die Grenzen kollektiver Vorstellungskraft

Tim Lanzendörfer
Zombies – Himmel und Hölle auf Erden

In George Romeros Film »Zombie«, vielleicht besser bekannt unter seinem englischen Titel »Dawn of the Dead« (1978), heißt es einmal: Wenn in der Hölle kein Platz mehr ist, kommen die Toten auf die Erde zurück. Das Zitat fällt, während die Protagonisten des Films aus dem Inneren des Einkaufszentrums, das sie sich als sichere Basis ausgesucht haben, auf die Massen von Untoten starren, die an die Türen hämmern. In der Szene klingen schon alle Elemente an, die in der Mythologie des Zombies Gewicht haben. Da sind Konsum- und Kapitalismuskritik, denn den Zombies fällt nichts Besseres ein, als auch im Untod wieder in das Einkaufszentrum zu kommen – einem »wichtigen Ort in ihrem Leben«. Da ist der Zusammenbruch der gewohnten Welt, die apokalyptische Situation der Überlebenden, die Frage, wie sich Gemeinschaft nach der Gesellschaft denken lässt. Und da ist der Anflug einer theologischen Erklärung, das Aufrufen eines Auferstehungsmotivs, wenn auch hier, wie es scheint, mehr aus Platzmangel denn aus Errettung.

Die perfekten Arbeiter

Der Zombie scheint auf den ersten Blick wie ein ideales Symbol der Auferstehung – nicht von ungefähr gibt es Menschen, die finden, die biblische Figur des Lazarus sei der erste Zombie der Geschichte. Die Populärkultur spielt immer wieder mit dem Motiv. Im Vorgänger von »Zombie«, dem Film »Die Nacht der lebenden Toten« (1968) findet die erste Begegnung mit den Untoten auf einem Friedhof statt; in Dan O’Bannons spätem Nachfolger »Die Rückkehr der lebenden Toten« (1987) erheben sie sich direkt aus ihren Gräbern. Aber so richtig klappt das am Ende nicht – damals nicht, und heute schon gar nicht.

Dass es nicht gut funktioniert hat, Zombies als christlich Auferstandene zu lesen, hat weniger damit zu tun, wie man sie nun exakt definiert: Ob es wichtig ist, dass sie willen- oder bewusstseinslos sind, Menschenfresser, oder nur scheinbar Lebende, tatsächlich Tote. Sondern daran, dass Zombies eher lesbar werden, wenn man sie in ihrer gesellschaftlichen Bedeutung zu ergründen versucht. Es sollte eigentlich nicht überraschen, dass die Zombiefigur besser geeignet ist, sich über gesellschaftliche als religiöse Fragen Gedanken zu machen. Seine Wurzeln hat der Zombie in der kolonialen Ausbeutungsgeschichte zunächst des Sklavenhandels und dann des Imperialismus in der Karibik, wo er auch als idealer fordistischer Fabrikarbeiter auftaucht – willen- und wunschlos, nur nicht untot. Diese Fassung des Zombies, der Vodoun-Zombie, taucht in der Populärkultur 1932 im Film »White Zombie« auf, wo Zombies als willenlose, sklavengleiche, ideale Arbeiter in einer Zuckermühle zu sehen sind. Von ihnen geht keine Gefahr aus und keine Veränderung.

Das ändert sich mit »Die Nacht der lebenden Toten« in zumindest zweierlei Hinsicht. Nicht nur kann hier jeder zum Zombie werden, sondern die Zombies werden zur Gefahr für die Lebenden allgemein, die am Ende gerade noch eingedämmt werden kann. Und mit »Zombie« dreht sich die Schraube noch weiter: Hier kollabiert in Angesicht der massenhaft auftauchenden Untoten die gesamte Gesellschaft und diese stellen die Überlebenden vor die Aufgabe, sich neu zu erfinden. Die Protagonist*innen des Films scheitern an dieser Aufgabe, auch, weil sie selbst nicht vom Gewohnten loslassen können. Wie die Zombies eben, die ihren Untod in jenem Einkaufszentrum fristen, das ihnen schon im Leben wichtig war.

»Wenn die Lage so ist, muss ich vielleicht … nur vielleicht ... nicht zur Arbeit.«

Tendo Akira in »Zombie 100:
Bucket List of the Dead«

In der Bibel werden die Toten in der Apokalypse des Johannes am Ende gerichtet. Sie stehen vor Gottes Thron und werden beurteilt nach ihren Werken. Es entsteht das Bild einer körperlichen Auferstehung, wie auch im Zitat aus dem Johannes-Evangelium, wo Jesus ein ähnliches Versprechen zu geben scheint: »Ich bin die Auferstehung und das Leben; wer an mich glaubt, wird leben, obwohl er gestorben ist.« Der Zombie verkörpert wie keine andere Figur die Spannungen dieser Idee. Er scheint das Versprechen nach einer Wiederkehr im Körper einzulösen und, zum Beispiel in »Zombie«, aber auch im Roman »Zone One« (2011) des US-Schriftstellers Colson Whitehead, das »obwohl« der Bibel auszudrücken: Obwohl tot, immer noch Konsument; oder bei Whitehead immer noch mit den sich ständig wiederholenden Arbeitsschritten der Dienstleistungsgesellschaft befasst, dem Drehen längst vergammelter Burger auf dem Grill, dem Bügeln der Hemden der Yuppie-Kundschaft.

Gleichzeitig verkörpert der Zombie aber eben auch die Unmöglichkeit eines »Weiter so«, denn er ist schon von seiner Anlage her Treiber der Zerstörung. Er ist, zumindest seit »Zombie«, fast immer apokalyptisch, im Wortsinne offenbarend. »Siehe, ich mache alles neu!«, spricht Gott in der Apokalypse des Johannes. Das Versprechen der Apokalypse ist eine neue Welt, die wir uns nur als radikalen Bruch vorstellen können. Auch das liest sich besonders deutlich bei Whitehead: Den Zombies, die auch im Tod nicht von ihren einfachen Handgriffen lassen können – den »Irrläufern«, auf English »stragglers« – stehen die »Skels« gegenüber, die – eher den Zombies bei Romero ähnlich – für den Untergang der hier sehr deutlich kapitalistischen Welt verantwortlich zeichneten. Zombies lösen, das ist narratives Prinzip, den Untergang der existierenden Gesellschaft aus und zeigen so, was mögliche Alternativen sind. Man könnte also sagen, dass Zombies uns nach dem utopischen Moment der Auferstehung fragen, nach dem Leben nach dem Tod der bekannten Gesellschaft. Wie Zombie-Geschichten über diese Alternativen erzählen, kann uns zeigen, welche Vorstellungen, welche Dystopien und Utopien, uns heute denkbar sind – und wo die Grenzen dessen sind, was wir bereit sind uns vorzustellen.

Das Ende der Geschichte?

Vom jüngst verstorbenen Literaturwissenschaftler Fredric Jameson ist der Satz überliefert, es sei wohl einfacher, sich das Ende der Welt vorzustellen, als das Ende des Kapitalismus. In den Zombie-Geschichten der Gegenwart fallen diese Fragen oft zusammen. Bei Whitehead sollen, nicht von ungefähr, die Protagonist*innen die verbleibenden Zombies rund um die Wall Street ausräumen, um die Südspitze Manhattans wieder bewohnbar zu machen – begleitet vom patriotisch-propagandistischen Gestus ihrer Befehlshaber, die weniger die Auferstehung feiern als vielmehr die Resilienz des Kapitalismus und der Vereinigten Staaten, durchaus synonym gedacht. Hier kann sich niemand etwas Anderes vorstellen, als dass es ein Zurück zum Früher gibt – Jameson in Reinform also, nur umgekehrt: das Ende des Kapitalismus als Ende der Welt.

Es geht aber auch anders. Im japanischen Manga und Netflix-Film »Zombie 100: Bucket List of the Dead« folgen wir zum Beispiel dem Mitzwanziger Tendo Akira. In den ersten zwanzig Sekunden des Films hat Akira, während er vor einer Meute Untoter flüchtet, folgenden knappen Dialog: »Was ist? Was passiert? Zombies! Ist doch klar, dass es Zombies sind, oder? Was tue ich jetzt? Wenn ich nichts tue … komme ich zu spät zur Arbeit!« Akira kennt die Zombie-Gefahr und fällt doch sofort in seinen Alltagstrott. Er ist Mitarbeiter in der Marketingabteilung einer Filmfirma, ein »lohnender Job«, wie er zunächst sagt, »der ideale Arbeitsplatz«. Dieser wird aber schon nach dem ersten Tag und der ersten direkt durchgearbeiteten Nacht zur albtraumhaften Wirklichkeit, in der sich Akira als entlohnte Arbeitsdrohne bis zum Suizidgedanken verliert. Als er am Tag des Zombie-Ausbruchs die Treppen heruntergeht, soll der Zuschauer am schlurfenden Schritt schon die Frage festmachen, ob er nicht längst Zombie geworden ist. Nach kurzer Flucht auf ein fürs Erste sicheres Dach lässt er den Blick über Tokio schweifen und sinniert: »Wenn die Lage so ist, muss ich vielleicht … nur vielleicht ... nicht zur Arbeit.« Ein Jubelschrei pointiert die Feststellung.

Für Akira in »Zombie 100: Bucket List of the Dead« war das Leben vor der Zombie-Apokalypse also bereits ein Leben als Zombie – nicht blutrünstig wie bei Romero, sondern apathisch wie in »White Zombie«, wie Whiteheads Irrläufer. Das Ende der bekannten Welt eröffnet ihm einen neuen Horizont, eine radikale neue Möglichkeit, sein Leben zu leben. Dabei ist er sich bewusst, dass das Leben unter Zombies gefährlich und, vermutlich, kurz sein wird. Akira will seine sicherlich begrenzte Zeit nutzen und listet hundert Dinge auf, die er schon immer mal tun wollte – eine bucket list eben. Die dahinterstehende Frage geht an uns: Was würden wir tun, wenn wir nicht die Aussicht auf die christliche Auferstehung hätten – was gäbe es für uns abzuhaken, welche bucket list würden wir angehen?

In manchen Vorstellungen der christlichen Erweckungs- und Auferstehungsgeschichte kommt das echte Leben, das wahre Leben nach dem Tod, nach der Abwägung der Sünden, im Himmelreich. In den Zombie-Geschichten der Gegenwart sind wir mit der Frage konfrontiert, ob das echte Leben, das wahre Leben, nicht auch den kompletten Bruch mit allem voraussetzt, das derzeit existiert. Was würden wir dann damit anfangen, aber eben auch, warum warten wir auf den Bruch, warum führen wir ihn nicht selbst herbei, wo wir die Möglichkeiten haben, uns jetzt schon lebendiger zu zeigen?

Restauratives Begehren

Diese Möglichkeit, das einzelne oder gemeinschaftliche Leben unter radikal anderen Umständen zu denken, zeigen Zombie-Geschichten genauso. In der Welt des Videospiels und der TV-Serie »The Last of Us« ist die Zombie-Pandemie der Trigger für die Autokratisierung der US-Regierung, die mit tyrannischer Gewalt über die verbliebenen Enklaven herrscht, in denen (noch) nichtinfizierte Menschen vor sich hin leben. Währenddessen holt sich draußen, so scheint es insbesondere in der Bildsprache von Spiel und Serie, die Natur zurück, was die Menschheit ihr entrissen hat. Und doch führt die Geschichte nicht zu einer Akzeptanz der neuen Lage, sondern in Richtung der Hoffnung auf Heilung, auf die Rückkehr der alten Welt.

Auch in der extrem erfolgreichen Comic- und TV-Serie »The Walking Dead« geht die Welt, so wie sie die Figuren darin kennen, mit einer Zombie-Apokalypse unter. Das Streben der Überlebenden richtet sich alsbald auf die Bildung neuer Gemeinschaften, in denen Zusammenleben organisiert und bewahrt werden kann. Siedlungen von Selbstversorger*innen entstehen, in denen jede*r ihre Rolle nach ihren Fähigkeiten spielt, ihren Beitrag nach der Notwendigkeit für die Gemeinschaft leistet. Damit das aber alles nicht allzu utopisch wird, stehen diese Siedlungen im Konflikt miteinander, sind von außen bedroht durch jene Menschen, die in der Neuordnung eine Gelegenheit sehen, endlich Macht über andere auszuüben. Auch die friedlichen Siedlungen scheinen in ihrem Bestreben nach echter Führung durch einzelne starke Männer nicht immer als beste mögliche Welt.

Die Serie stellt die Spannung zwischen dem Wunsch der Protagonist*innen, sich wieder zu fühlen und so zu leben wie früher, und dem Verständnis, dass ein solches Leben nicht mehr möglich ist, ebenso klarsichtig dar, wie sie fundamental daran scheitert, Ideen für ihre Auflösung zu entwickeln. Die Comicreihe endet mit diesem Spannungsverhältnis: In einer scheinbar wieder stabilen Welt, 25 Jahre nach der Haupthandlung, wird so weit es geht eben doch gelebt wie vorher. Der Glaube daran, dass diese neue Welt besser ist als die alte – gerechter, glücklicher, einfacher – existiert nurmehr bei jenen Bewohner*innen, die die Apokalypse selbst durchgemacht haben. Und im Hintergrund schwelt die Frage, ob sich überhaupt etwas geändert hat, erkennbar an der den letzten Band durchziehenden Diskussion, ob man wohl Zombies als Privateigentum besitzen dürfe.

Wie steht es nun heute insgesamt um den Zombie – fast fünfzig Jahre nach dem Film »Zombie«? Das christliche Heilsversprechen kann er noch immer nicht einlösen, feiert dafür aber seine eigene, permanente Auferstehung als Mittel, unsere Zukunft und unsere Gegenwart zu durchdenken, auf vielen verschiedenen Ebenen. Der Zombie ändert durch seine Anwesenheit alles: Er wirft über den Haufen, was existiert, und zwingt zu neuem Denken. Dieses neue Denken ist insgesamt ergebnisoffen, kratzt am System, steckt aber – wie sollte es auch nicht? – oft genug fest im Althergebrachten, zu dem wir wie die Zombies in »Zombie«, wie die Irrläufer in »Zone One« immer wieder zurückkehren, weil es uns und ihnen wichtig ist. So fragt »Bucket List of the Dead« nicht nach einer neuen Gesellschaftsordnung, sondern nur danach, wie wir als Einzelne gut leben können, wie wir das Beste aus unserer Zeit machen können. »The Walking Dead« erkundet die Denkbarkeit einer Gemeinschaft ohne Führerfigur und radikaler Neuorganisation und verneint letztlich beides. »The Last of Us« stellt die Frage, wie wir uns im Angesicht einer Natur verhalten würden, die wir zu kontrollieren glaubten, die letztlich aber übermächtig ist und bietet uns doch die Illusion einer Wiederkehr. Die Zombie-Figur zeigt uns auf, welches Spannungsfeld in der Metapher von der Auferstehung steckt: das Versprechen einer zukünftigen, besseren Welt, in der trotzdem alles erkennbar beim Alten bleibt; wo wir uns trotz radikaler Änderungen nicht wirklich, nicht dauerhaft an ein Neues gewöhnen müssen. Diese Zombie-Fiktion dürfte wohl Glaube bleiben.

Tim Lanzendörfer ist Heisenberg-Stipendiat für Literaturtheorie, Literaturwissenschaft und Literaturdidaktik. Zu seinen aktuellen Publikationsprojekten zählen ein Sammelband mit dem Titel »The Futures of Zombie Studie« (gemeinsam mit Marlon Lieber) sowie die Monografie »Nichtfaschisten machen: Literaturwissenschaft und die Frage, warum wir Bücher nicht nur lesen sollten«.