nd-aktuell.de / 18.04.2025 / Kultur / Seite 1

»Penthesile:a:s«: Möhrchen schneiden, Hände waschen

Tiefer Blick in den Suppentopf: Mit »Penthesile:a:s« zeigt sich Starschauspielerin Sandra Hüller am Neuen Theater Halle erstmals als Regisseurin

Erik Zielke
Was da wohl rauskommt? »Penthesile:a:s« am Neuen Theater Halle
Was da wohl rauskommt? »Penthesile:a:s« am Neuen Theater Halle

Penthesilea und Achilles – die Geschichte ist, in der einen oder anderen Überlieferung, bekannt. Sie, die Amazonenkönigin, und er, der nahezu unverwundbare Göttersohn, sind liebende Krieger. Das grausame Spiel der Geschlechter hat der alte Kleist in seinem Drama auf die Spitze getrieben: Das archaische Gesetz der Amazonen zwingt sie, den Geliebten erst freien zu dürfen, wenn sie ihn auch im Kampf besiegt hat; Achilles will diesen Preis gerne zahlen und wird doch in Penthesileas Kampfes- und Liebeseifer zermalmt. Die Königin stirbt schließlich im Wahnsinn über ihre Untat.

Es ist eine Geschichte über den Krieg der Geschlechter – zwischen Achilles und Penthesilea, aber auch in jedem der beiden selbst. Auf andere Weise wird hier erzählt vom Krieg der Völker gegeneinander. Und auch vom Krieg des Gesetzes gegen das Reich der Empfindungen.

Die französische Autorin MarDi hat mit ihrem 2021 beim Festival d’Avignon aufgeführten Stück »Penthesile:a:s« Kleist gründlich überschrieben. Penthesilea feiert den amazonischen Widerstand gegen die männliche Gewalt, klagt bald über die patriarchale Ordnung. Und auch Achilles hinterfragt irgendwann die Rollen der Geschlechter. Am Ende stehen nicht Tod und unauflösbare Widersprüche, sondern das hohe Lied auf das Kollektive, auf die Überwindung des binären Systems und auf die Einswerdung mit der Natur.

Nun hat sich Sandra Hüller des Stoffs angenommen, um ihm auch in Deutschland zu seinem Recht zu verhelfen. Am Neuen Theater Halle wurde am Gründonnerstag Premiere gefeiert. Und so einem Regiedebüt kann man nicht alle Tage beiwohnen, zählt Hüller, die zwischen Bühne und Kamera hin und her wechselt, doch zu den herausragenden Schauspielerinnen ihrer Generation und ist einer der wesentlichen Gründe, aus dem man sich für deutsche Filme auch im internationalen Maßstab nicht mehr schämen muss.

Hüller hat sich mit Tom Schneider einen Ko-Regisseur zur Hilfe genommen. Zusammen haben sie den Text auf ein Dutzend Spieler aufgeteilt. Vor der ersten Zuschauerreihe nehmen sie auf Stühlen Platz, Notenständer vor sich aufgebaut, und lassen, fein arrangiert, die Worte auf das Publikum niederprasseln, während einzelne von ihnen aufstehen, auf die Bühne treten, abgehen und sich wieder einreihen beim sitzenden Chor. Das reduzierte Bühnengeschehen und der eindringliche Text sind aufgespalten.

Dergleichen funktioniert selbstverständlich nur, wenn der Text auch eine Qualität hat, die einen solchen Fokus rechtfertigt. Gibt es in diesem Fall diese Qualität? Die Kleist’sche Vielschichtigkeit sucht man vergebens. Und sprachlich? Ein wenig gemahnt das Stück an Eve Enslers »Vagina-Monologe« aus grauer Vorzeit. Von einer »Vulvenarmee« ist da die Rede, von einem Speer »steif und fest wie dein Schwanz«. Zur Unterscheidung der Geschlechter führt die Autorin an, dass das eine »fest wie Feuerstein« sei, das andere »weich und feucht wie Gelatine«. Nun ja, die Erkenntnis ist nicht neu, aber recht selten wurde sie in so literarisch plumpe Formulierungen gepackt. Und wenn dann der Satz fällt »In der Zeit ist nichts fest«, fühlt man sich angekommen in der Welt der Kalendersprüche.

Die Bühne ist an diesem eineinhalbstündigen Theaterabend mit einer Küche gefüllt. Hier werden Hände gewaschen und Möhrchen geschnitten. Erzeugt der Widerspruch von häuslicher Umgebung und martialischem Text anfangs durchaus eine Spannung, verfliegt diese Wirkung sehr schnell. Diese sehr konkrete Bühnensituation verkleinert das Problem des Geschlechterkriegs auf unangemessene Weise. Und der Schauwert, den die Verrichtung alltäglicher Küchentätigkeiten bietet, ist leider sehr begrenzt.

Aber für wen wird hier das Tischlein gedeckt? Kartoffeln schält man doch nicht ohne tieferen (szenischen) Grund? Tschechow hat uns gelehrt, dass ein Gewehr, das im ersten Akt auf der Bühne zu sehen ist, im dritten Akt auch abgefeuert gehört. Ein Jahrhundert und eine engagierte Austreibung des Dramatischen aus dem Theater später weiß der geneigte Zuschauer: Wenn in der ersten Viertelstunde auf der Bühne Gemüse geschnippelt wird, darf er am Ende des Theaterabends auch auf einen kleinen Imbiss hoffen.

Und so verzichtet man bei dieser leisen und ziemlich unterspannten Inszenierung auch auf alles, was unberechenbar sein könnte. Mit dem an Donna Haraway geschulten Schluss des Stückes, der an uns alle appelliert, doch endlich eins zu werden mit der Natur, wird endlich aufgetischt: Es gibt Suppe und Baguette. Wer möchte, darf von der Zuschauertribüne an den gedeckten Tisch kommen. Ein Drama findet nicht statt, alle Konflikte sind befriedet, Einigkeit herrscht auf allen Ebenen. Hoffentlich hat’s geschmeckt.

Nächste Vorstellungen: 19., 23.4. und 17.5.
www.buehnen-halle.de