Auf Instagram gibt es zahlreiche Kanäle, die sich kritisch mit moderner Architektur auseinandersetzen. Da werden dann meist entsättigte Fotos von Funktionsbauten auf der einen und KI-generierte bunte Bilder mit einer vermeintlichen Alternative auf der anderen Seite gezeigt. Woher kommt die Ablehnung moderner Architektur?
Ich glaube, das lässt sich nicht ganz so einfach beantworten, aber ich denke grundsätzlich haben wir es mit einer Art Kulturkampf zu tun. Der erinnert in irritierender Weise an den völlig idiotischen sogenannten Zehlendorfer Dächerstreit Ende der 1920er Jahre. Das war eine Auseinandersetzung in Berlin-Zehlendorf zwischen Modernisten und Konservativen. Die Modernisten behaupteten, nur das Flachdach sei funktional. Und die Konservativen sagten, nur das Satteldach sei deutsch und völkisch. Das war beidseitig eine absolut absurde Ideologisierung, über die man heute nur den Kopf schütteln kann. Das, was wir jetzt bei Instagram-Kanälen wie »architecture rebellion« sehen, ist wie eine Neuauflage dieses Konflikts. Das hat ja durchaus Resonanz, solche Profile haben zehntausende Follower. Das ist anschlussfähig an ein Unbehagen, das viele Menschen mit der Nachkriegsmoderne haben. Aber es ist insofern gefährlich, als es letztlich Ausdruck einer rechten Identitätspolitik ist.
Inwiefern ist das Identitätspolitk?
Man kann zum Beispiel das Buch »Politik von rechts« von Maximilian Krah[1] nehmen, dem rechtsextremen AfD-Politiker, das sich eigentlich nur um Identitätspolitik dreht. Ein ganzes Kapitel ist der Architektur und dem Städtebau gewidmet. Er plädiert für eine »neotraditionelle« Bauweise im Heimatschutzstil und spricht sich pauschal gegen die moderne Architektur aus. Bei ihm ist das sehr klar und deutlich mit einer völkischen Ideologie verbunden. Das Bild, das er von der Moderne zeichnet, ist eigentlich eine Art »Zombie-Moderne«, ein Zerrbild, weil sich die moderne Architektur in den vergangenen Jahrzehnten sehr entwickelt und ausdifferenziert hat. Aber das braucht man einfach: Man stellt das Gegenüber als möglichst idiotisch dar, um ein vermeintlich positives eigenes Gegenbild zu präsentieren.
Gibt es jenseits von KI-Bildern auch in der Praxis eine solche neotraditionelle Architektur?
Die neue Frankfurter Altstadt wird als Vorbild für den neuen Städtebau verkauft. Aber man spricht überhaupt nicht über die Produktionsbedingungen. Die Häuser haben in den Preisen von vor 15 Jahren 15 000 Euro den Quadratmeter gekostet. Das wären heute vielleicht 25 000. Die Käufer haben damals ein Drittel vom eigentlichen Herstellungspreis bezahlt, den Rest hat die Stadt aus Steuergeldern zugeschossen. Wenn Private so bauen wollen, sollen sie es machen. Aber warum macht der Staat das? Was dort passiert, ist eine Ersatzproduktion von Heimat als Bild und damit eine problematische Ideologisierung von Heimat. Wenn man jemanden im Alltag fragt, was Heimat sein könnte, dann assoziieren wir damit zuerst Alltagskontexte und weniger Symbolbauten oder Ortszentren.[2] Orte wie die neue Altstadt lassen sich medial vermarkten, sind aber überhaupt keine gelebte Stadt. Und da wo Stadt gelebt wird, tritt der Staat zurück. Das zeigt sich bei dem parallel zur »Neuen Altstadt« erbauten Frankfurter Europa-Viertel. Da ist ein neuer Stadtteil mit 40 000 Wohn- und Arbeitsplätzen entstanden. Das hat dann ein internationaler Immobilienfonds entwickelt. Preise hoch, Architektur schlecht, aber dafür interessierten sich weder Politik noch Medien. Wenn wir uns als Gesellschaft nicht darum kümmern, sondern nur diesen Bild-Ersatz liefern, ist es das, was ich mit Ideologisierung von Heimat meine.
In Berlin gibt es ja mit dem Stadtschloss ein ähnliches Beispiel.
Ich würde sagen, das ist verwandt, aber die Situation ist noch mal anders. In beiden Fällen sind das Beiträge zu identitätspolitischen Diskursen, aber bei Symbolbauten wie dem Berliner Stadtschloss[3] oder auch der Garnisonkirche in Potsdam geht es tatsächlich um die konkrete Symbolbedeutung des Gebäudes. Das sind immerhin zwei zentrale preußische Symbolbauten, die für den preußischen Staat stehen, für die preußisch Monarchie, die Hohenzollern-Dynastie. Da gibt es noch mal eine ganz andere symbolische Aufladung als in diesen Altstädten.
Und was ist diese Symbolbedeutung?
Es gibt natürlich architektonische Qualitäten, die man schätzen kann, aber sowohl das Schloss als auch die Garnisonkirche haben eine politische Bedeutung, die sehr problematisch ist. Beide werden als nationale Symbole gelesen, und sie stehen für den Absolutismus und die Niederschlagung von Demokratiebewegungen[4] wie etwa 1848. Die Garnisonkirche symbolisiert[5] den preußisch-deutschen Nationalprotestantismus, und mit der Kuppel tut dies auch das Berliner Schloss. Das ist der Zusammenschluss zwischen Protestantismus und Monarchie, der sich vor allem im Kaiserreich ab 1871 zu einer gewalttätigen, rassistischen und militaristischen Ideologie entwickelte, der den expansiven Waffengang als Dienst an Gott verbrämte und damit die Kolonialkriege, Völkermord und Weltkrieg legitimierte und heiligte. Und dafür stehen auch diese Bauten. Sich damit heute bruchlos zu identifizieren, ist für mich völlig inakzeptabel. Man muss sich nicht wundern, dass das rechtsextrem anschlussfähig ist.
Diese Rekonstruktion des Stadtschlosses ist nicht nur anschlussfähig, sondern wird auch maßgeblich von rechten Kräften gefördert[6]. Das haben Sie recherchiert.
Um es ein bisschen präziser zu fassen, würde ich mal unterstellen, dass vielleicht 80 Prozent der Spender des Stadtschlosses integre Motive haben. Bei der Garnisonkirche ist das nicht so richtig transparent, aber vielleicht verhält es sich auch so. Das Bittere ist, dass es nicht nur eine Beteiligung von Rechtsextremen an diesen Prozessen gibt und man das nicht unterbunden hat. Sondern dass sie dann tatsächlich durch ihr Tun Einfluss darauf genommen haben, was passiert ist. Beim Schloss hat sich die Symbolbedeutung seit dem Bundestagsbeschluss von 2002 deutlich radikalisiert, es sind immer mehr Bauteile wie die Kuppel dazugekommen, man hat den Palast der Republik[7] restlos abgerissen, und wollte bald nichts mehr von ihm integrieren. Das geht bis ins Detail, was den Bauschmuck betrifft. Die große Kartusche am Eosanderportal etwa hat es symbolisch in sich. Sie steht eigentlich für die Formel »suum cuique«, »jedem das Seine«, was Ausdruck eines anti-universalistischen Rechtsverständnisses ist.
Warum knüpft diese rechte Identitätspolitik denn gerade an die wilhelminische Zeit an?
Beim Schloss und der Garnisonkirche haben wir die Absicht, Nationaldenkmäler zu errichten, die für beide Teile Deutschlands funktionieren. Das Bittere ist ja, dass der Wiedervereinigungsprozess wenig Neues gemeinsam formuliert hat. Das war im Wesentlichen ein von den Ostdeutschen so politisch mit Wahlen entschiedener Anschluss an die westdeutsche Staatlichkeit. Dann kann man fragen, wo wir unsere gemeinsamen Wurzeln haben. Die NS-Zeit wird – abgesehen von ein paar Verrückten – jetzt nicht als positives Identifikationsmoment gesehen. Dann gibt es die Weimarer Republik, die sehr konfliktreich war und letztendlich gescheitert ist. Und dann ist man bei 1919 und der Zeit davor. Das wird dann weichgespült. Das hat natürlich auch mit den Erinnerungsdiskursen zu tun. Ein kritisches historisches Bewusstsein über die Kaiserzeit mit den Kolonialkriegen[8], dem Ersten Weltkrieg oder der mit Waffengewalt erzwungenen Reichsgründung ist in der Gesellschaft nicht präsent. Darum ist sie dann auch viel eher für eine solche positive Anschlussnahme zugänglich.
Aber ist dieser Rückbezug auf den Wilhelminismus nicht auch eine symbolische Unsichtbarmachung all dessen, was danach gekommen ist?
Absolut, ja. In der Psychologie spricht man von dem Begriff der Deckerinnerung. Das ist eine ganz klare Verdrängungsleistung. Aber das wird auch explizit so gesagt, das ist Teil dieser identitätspolitischen Strategie. Und das ist erschreckend, weil damit die Konflikte und Abgründe des 20. Jahrhunderts, aber auch dessen demokratischen Elemente, die es ja auch gab, verdrängt und unsichtbar macht. Wilhelm von Boddien sagt zu den wiederaufgebauten Schlossfassaden, und der »Spiegel« über das Hotel Adlon, das Beste daran sei, das es aussehe, als ob es nie was anderes gegeben hätte.
Zugleich findet im Stadtschloss selbst, im Humboldt-Forum, eine vermeintlich kritische Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus unter diesem reaktionären Dach statt. Man kann sich natürlich fragen, ob das mit der Ausstellung von kolonialer Raubkunst[9] sinnvoll ist. Aber steht das nicht im Widerspruch?
Natürlich identifizieren sich Rechtsradikale nicht mit der Arbeit des Humboldt-Forums. Aber es ist ihnen relativ egal, was da im Inneren stattfindet. Da geht es einfach um das bauliche Symbol. Dafür hat man das Geld ausgegeben. Die Hütte steht ja. Wenn sich die gesellschaftlichen Verhältnisse ändern, kann man es neu bespielen. Die »Junge Freiheit« schreibt, da müsse der Staatssitz hin, das ist die Fantasie. Das, was in den öffentlichen Raum ausstrahlt, was von außen zu sehen ist, das ist der Bezugspunkt und das wird nicht gebrochen durch die innere Nutzung. Das muss man ganz klar sagen. Und deswegen bin ich auch so verbittert darüber, dass diese Brechung an der äußeren Hülle gesellschaftlich nicht durchsetzbar war. Es ist noch gar nicht zu spät. Man könnte ja durchaus auch mal außen eingreifen, das sollte kein Tabu sein. Das Humboldt-Forum macht jetzt eine Ersatzhandlung. Für die oberste linke Ecke der Lustgartenfassade, die Stirnseite der Ostfassade, dürfen Künstler jetzt Vorschläge machen. Das ist natürlich lächerlich, weil das einfach überhaupt keine Wirksamkeit hat.
Was schlagen Sie denn als Alternative zu dieser historisch akkuraten Rekonstruktion preußischer Architektur vor?
Man könnte mit der Situation, wie sie uns jetzt begegnet, kreativ umgehen. Es gab einen Vorschlag, den ich ganz schlau fand: Man könnte das Ganze umbenennen, in ein Museum des Kolonialismus. Dann würde man die Gemeinsamkeit zwischen Fassade und Sammlung thematisieren und es wäre ein offensiver Umgang mit dem Problem. Wenn man noch mal einen Schritt zurückgeht und sich fragt, was hätte man anders machen können, ist die Antwort relativ schlicht. Es geht ja nicht darum, dass man sagt, Rekonstruktionen kann man nicht machen. Die Frage ist wie. Das Problem ist meines Erachtens diese Idee des Originalgetreuen und die damit verbundenen Idealisierungen des historischen Sachverhalts. Und es gibt viele Beispiele wie etwa die Pinakothek von Hans Döllgast in München oder die Paulskirche in Frankfurt von Rudolf Schwarz, wo das nicht so gemacht wird. Wo die Absicht der Architekten war, genau diese Brüche der Geschichte und die verschiedenen Phasen zu repräsentieren. Es gibt sehr gute architektonische Lösungen, das ist gar nicht das Problem. Das Problem ist der fehlende Wille dazu.