»Es wird noch heißer! Der Berliner Klimagipfel droht, ohne ›Protokoll‹ ein Flop zu werden. Diplomaten reden, Umweltschützer handeln.« Heutzutage wäre ein Artikel, dessen Überschrift und Vorspann so lauten, nichts Besonderes, für einige Menschen sogar langweilig. Im September 1994 war das anders. Da erschien »Der Rabe Ralf«[1] (RR) mit dieser Titelgeschichte. Diese kann nun, wie alle anderen der Umweltzeitung, im Museum Pankow im Berliner Ortsteil Prenzlauer Berg nachgelesen werden. Das Zentrum der kleinen Ausstellung ist nämlich eine mehrere Meter lange, einer Garderobe nachempfundene Konstruktion, in der an Kleiderbügeln mit Klemmen alle Ausgaben hängen.
Der Umweltjournalismus ist wohl eine Sparte, in der besonders oft Artikel mit kleinen Aktualisierungen alle paar Jahre aufs Neue veröffentlicht werden könnten, da sich an den darin behandelten Problemen nicht viel geändert hat. So enthält die aktuelle RR-Ausgabe – es ist Nummer 245 – einen Text, der folgendermaßen überschrieben ist: »Der Verkehrsverrat. Warum die CDU ihr Versprechen, das Autofahren in Berlin zu erleichtern, nicht halten kann«. Darin steht der Halbsatz: »Es werden keine Busspuren mehr angeordnet.« Das passt zur RR-Ausgabe Nummer zwei von Anfang 1991, in der empört berichtet wird, dass die getrennten Bus-Fahrrad-Spuren auf dem Kurfürstendamm von der gerade wieder an die Macht gekommenen CDU[2] abgeschafft wurden.
20 000 Exemplare betrug die Auflage der ersten drei Ausgaben der damaligen Monatszeitung, seitdem waren es fast immer 10 000, wobei aber der Erscheinungsrhythmus schon vor vielen Jahren auf zweimonatlich umgestellt wurde. Der »Rabe Ralf« wurde 1990 im Zuge der Vereinigung der West- und Ostberliner Umweltbewegungen[3] gegründet. »Seine Wurzeln liegen in der kritischen Umweltbewegung der DDR«, heißt es im Werbetext der Ausstellung. Herausgegeben wird die Gratiszeitung vom Berliner Landesverband der Grünen Liga, einem Netzwerk ökologischer Bewegungen.
Bei der Ausstellungseröffnung am 10. April sprach Annette Nawrath, Vorstandsvorsitzende der Stiftung Naturschutz Berlin, vor rund 80 Menschen vom »Spirit der friedlichen Revolution, den der ›Rabe Ralf‹ noch immer in sich trägt«. Die Stiftung hat nicht nur die Ausstellung finanziert, sondern auch die »Modernisierung« der Zeitung – ein neues Layout und einen neuen Internetauftritt. 90 000 Euro habe sie dafür bereitgestellt, sagt Nawrath zu »nd«.
Diese Förderung hat die Zeitung nicht gerettet, die 2023 wegen gestiegener Kosten einen Hilferuf ausgesandt hatte. Der Aufruf habe zu einem erhöhten Spendenaufkommen geführt, sagt Redakteur Matthias Bauer im Gespräch mit »nd«. Das decke aber noch immer nur die Hälfte der Kosten ab, der Rest komme von der Grünen Liga.
Bauer ist nach eigener Aussage der Einzige, der für die redaktionelle Arbeit Geld erhält. »Die Zeitung wird von einem kleinen idealistischen Team gemacht, unterstützt von zahlreichen Freiwilligen«, ist im Ausstellungsbegleittext zu lesen. Im aktuellen Impressum werden neben Bauer fünf weitere Redaktionsmitglieder genannt. Prinzipiell arbeiteten Leute aus anderen Projekten der Grünen Liga mit Texten zu, darunter Menschen, die ein Freiwilliges Ökologisches Jahr oder einen Bundesfreiwilligendienst absolvieren – wofür es übrigens aktuell freie Plätze gebe –, sagt der 61-Jährige, der noch in der DDR Mathematik studiert hatte, aber lange im umweltpolitischen Bereich gearbeitet hat.
Zur Gründung der Zeitung weiß Bauer zu berichten: »Es gab eine Anschubfinanzierung durch die Stiftung Naturschutz Berlin, die damals politisch konservativer war als heute.« Das ist bemerkenswert oder sogar kurios, weil der »Rabe Ralf« das Gegenteil von konservativ ist. Hier geht es nicht nur um »Umweltschutz von unten«, sondern auf einer Ausstellungstafel bezeichnet sich die Redaktion selbst als »subversiv«. Zu den Anfängen wird festgehalten: »Ökologie wurde schon in den ersten Ausgaben sehr weit gefasst und mit sozialen, kulturellen und ökonomischen Aspekten verbunden.« Auf den Ausstellungstafeln werden thematische Schwerpunkte dargelegt, wobei jeweils drei Zusammenfassungen von Artikeln zu lesen sind. Darüber hinaus bieten sie Hintergrundinformationen zu Ansatz, Erstellung und Verteilung des »RR«. Dort geht es auch um das Verhältnis von Journalismus und Aktivismus.
Der »RR« geht aber immer wieder auch über das breite Spektrum von Umweltthemen – vom Vogel des Jahres über Ressourcenabbau auf anderen Kontinenten bis hin zur Berliner Stadtentwicklung – hinaus. So enthält die aktuelle Ausgabe einen Artikel über Initiativen für mehr Mitbestimmung in Wohnungsgenossenschaften, und im Dezember wurde die Wiedereinführung der Vermögenssteuer gefordert sowie in einer Artikelüberschrift die Frage gestellt: »Wer stoppt die Militarisierung?«
In der Februar-Ausgabe, der ersten im neuen Layout, kam besonders deutlich eine politische Haltung zum Ausdruck: Auf einer Doppelseite kritisiert ein indischer Soziologe »liberale Demokratien« und plädiert für eine Demokratie ohne Staat beziehungsweise den Anarchismus. In einem weiteren Artikel wird der anarchistische Sozialanthropologe James C. Scott gewürdigt und gleich daneben geht es um eine in Vergessenheit geratene »ökoanarchistische Vordenkerin«, die im Paris der 1920er Jahre den Veganismus propagierte. Der letztgenannte Text stammt vom anarchistischen Publizisten Maurice Schuhmann, der seit Längerem ständiger RR-Autor ist.
»Wenn ein Ostberliner Vogel in Not gerät, fliegt er nicht davon, sondern krächzt lauter.«
Cordelia Koch (Grüne)
Bezirksbürgermeisterin Pankow
Bemerkenswert war die Anschubfinanzierung für den »RR« durch die Stiftung Naturschutz Berlin von 1990 auch, weil die Stiftung damals eine eigene Zeitung herausgab: »Grünstift«, die es laut der Ausstellung noch bis 2001 gab. In den 90ern existierten demzufolge neben »RR« und »Grünstift« noch drei weitere Berliner Umweltzeitungen, doch alle haben längst aufgegeben.
Worin hat sich der »RR« von den anderen Blättern unterschieden? »Der Rabe Ralf war kritischer als andere und vielfältiger aufgestellt«, sagt Oskar Tschörner am Rande der Ausstellungseröffnung zu »nd«. Tschörner ist pensionierter Landschaftsplaner des Naturschutz- und Grünflächenamts im Bezirk Reinickendorf und Sprecher der Bürgerinitiative Elisabeth-Aue, die seit 2014 gegen die Bebauung eines ökologisch wichtigen Feldes im Norden des Bezirks Pankow kämpft und dazu in der aktuellen RR-Ausgabe einen Artikel veröffentlicht hat.
Seine ständige Finanzkrise wird den bewusst frechen Raben erst mal nicht verstummen lassen, denn »wenn ein Ostberliner Vogel in Not gerät, fliegt er nicht davon, sondern krächzt lauter«, sagt Pankows Bezirksbürgermeisterin Cordelia Koch (Grüne) in ihrer Rede bei der Ausstellungseröffnung. Die Redaktion hat Ralfs Mission auf einer Ausstellungstafel festgehalten: »Den Traum von einer neuen, ökologischen Gesellschaft hat er nicht aufgegeben.«