nd-aktuell.de / 18.04.2025 / Reise / Seite 1

Nordirlands wilde Küste, dunkle Wälder und liebe Riesen

Mit seinem milden Klima, herrlicher Natur und urig-netten Orten ist das immergrüne Nordirland das ganze Jahr ein prima Ziel für einen Wohnmobilurlaub

Carsten Heinke
Die kleine Felseninsel Sheep Island ist nur eines von unzähligen Highlights entlang der Causeway Coastal Route in Nordirland
Die kleine Felseninsel Sheep Island ist nur eines von unzähligen Highlights entlang der Causeway Coastal Route in Nordirland

Die See ist ruhig heute. Von der Brandung unten dringt nur sachtes Rauschen bis zu uns hinauf. Wenige Meter vor dem Rand der hier nicht allzu hohen Küste parken wir das Wohnmobil. Der schmale Steinstrand ist bequem auf einem Wanderpfad erreichbar, doch von oben nicht zu sehen. Unseren Blick fesselt Sheep Island, die kleine Felseninsel gegenüber. Kaum mehr als einen Möwenflügelschlag entfernt, steht sie mit fast senkrechten Wänden kantig wie ein Block im Wasser.

Auf dieser vielseitigen Reise durch Nordirland haben wir die letzte und spektakulärste Zielregion erreicht. Entlang der Causeway Coastal Route erkunden wir filmreife Sandstrände und steile Kreidefelsen, wundersame Säulen aus Basalt, Burgruinen, Badeorte. Nichtsdestotrotz genossen wir die Zeit genauso intensiv im Seen-, Fluss- und Höhlenland rund um Lough Erne wie in den sanften moor- und waldbedeckten Hügellandschaften der Sperrin Mountains.

Schaf- und Rinderweiden, die auch in der hier nicht wirklich kalten Jahreszeit ihr Grün behalten, alte Bäume, uriges Gemäuer. Jenseits der Autobahnen sind Irlands Straßen einfach malerisch, doch meistens eng. Als ungeübte Linksverkehrsteilnehmer lenken wir unser Gefährt ein bisschen langsamer. Das ist sicherer und aussichtsreicher. Denn jede Landschaft, jedes Dorf ist sehenswert.
90 Minuten nach dem Start am Airport Dublin und der Camper-Mietstation sind wir im ersten Zielgebiet: dem 80 Kilometer langen Seen- und Flussgebiet Lough Erne. Sein Südteil liegt noch in der Republik, der größere im Norden, also in Großbritannien.

Bis auf Straßenschilder gibt es zwischen beiden Teilen Irlands keine Grenzmarkierungen. Mehrfach überqueren wir die unsichtbare Zickzacklinie und bald zum ersten Mal den River Erne. Der erste Stopp bei Newtownbutler gilt Crom Estate direkt am Fluss. Vorbei an greisen Eichen voller Spechte erkunden wir per Rad das Anwesen mit Burgruine.

Zeltplatz oder Schweinestall mit
Blick auf Park und See

Auf der Campsite könnten wir in komfortablen umgebauten Ställen oder in Zelten übernachten. Stellplätze gibt es nicht. Im Castle Archdale Caravan Park am Lough Erne finden wir einen guten auf der Wiese nah am Wald. Bis zur Marina laufen wir nur wenige Minuten, schwingen uns auf Hydrobikes und radeln ganz gemütlich zwischen Anglern, Inseln, Schilf und Enten auf dem See herum. White Island ist das Highlight dieser Wasserfahrradtour.

Denn dieses Inselchen beherbergt die Ruine einer 1000-jährigen Abtei und noch viel ältere geheimnisvolle Steinfiguren. Viel Geschichte haben auch Enniskillen Castle und sein Museum zu erzählen. Die graue Burg mit ihren Zwillingstürmchen steht wie die gesamte Altstadt auf einer Flussinsel zwischen den Seen. In Rebecca’s Coffee Shop bekommen wir dort prima Mittagessen, den besten Kuchen im Café des Craigville Garden Centre.

Barbier-Handwerk und Liebe zur Eisenbahn sind die zwei Passionen, die in Enniskillen die Brüder Gordon und Nigel Johnston in ihrem wunderbar schrulligen »Headhunters Barber Shop & Railway Museum« vereinen. Seit 43 Jahren lassen sich hier Bahnfahrtfans von Gleichgesinnten Bart und Haupthaar stutzen, während man gemeinsam träumt – von Dampfloks und von Schienenabenteuern, inmitten einschlägiger Artefakte. 

Wie vielseitig die wasserreiche Gegend selbst unter ihrer Oberfläche ist, erfahren wir bei einer Höhlentour durch die elf Kilometer langen Marble Arch Caves. Durch weiträumige Tunnel und emporstrebende Hallen folgen wir dem unterirdischen Verlauf des Flusses Owenbrean zu Fuß und mit dem Boot, staunen über Glanz und Farbenspiele, erfreuen uns an Spiegelungen und abstrakter Tropfsteinkunst.

Es nieselt wieder. Doch es stört uns nicht. Denn ohne Nässe wäre Irland nicht so grün. Das milde Klima und der Wind machen die Feuchtigkeit erträglich – ebenso wie all die gut gelaunten Menschen hier, die ihre Insel und das Wetter nehmen, wie sie sind. Mit Schirm und wasserdichter Kleidung geht es noch einmal mit dem überdachten Fahrrad-Buggy durch den »Regenwald«, dann weiter gen Nordosten und allmählich leicht bergauf, ins Land der Sperrin Mountains.
Immerhin knapp 700 Meter hoch, doch eher in Gestalt von sanften, oft mit Hochmooren bedeckten Hügeln, empfangen sie uns würdevoll in Wolken. Ihr legendäres Image als ein Ort von Riesen, Feen und Geistern wie den Leprechauns könnten sie nicht besser pflegen. Kurz hinter Cranagh stoßen wir auf zwei der übergroßen sagenhaften Wesen – träumend und erzählend, wie Recyclingkünstler Thomas Dambo sie sich vorstellt. Mit viel Witz und Liebe schuf der kreative Däne diese klobigen, doch herzigen Gestalten – wie alle seine Troll-Skulpturen aus gebrauchtem Holz.

Gut zu wissen, dass die wilden Sperrin-Waldbewohner nette Burschen sind! Denn unser nächster Campingplatz im dunklen Drum Manor Forest Park liegt in ihrem Revier. Noch deutlich finsterer wird es im Nachbarwald und der Umgebung, weshalb man das Gebiet 2020 als Erstes in Nordirland unter internationalen »Lichtschutz« stellte.

Nicht umsonst zählt Sternegucken hier beim Camping zu den beliebtesten Aktivitäten. Gleichfalls astronomisch inspiriert ist die kurze Wanderroute in den OM-Dark-Sky-Park in Davagh. Dank seiner »Kessel«-Lage fernab großer, heller Städte zählt dieses Lichtschutzgebiet nahe Cookstown zu den dunkelsten in Europa. Für nachtaktive Tiere und Himmelsgucker ein Paradies! Sternenhimmel vom Feinsten bestaunt man in dem modernen Besucherzentrum mit Ausstellung und Observatorium – oder in freier Natur direkt im märchenhaften »Dunkelwald«. Seine wunderschönen, mit dickem Moos und zotteligen, langen Flechten bewachsenen Bäume sieht man allerdings am besten bei Tageslicht.

Startpunkt der Wanderstrecke, die am Teleskop des OM-Dark-Sky-Parks endet, sind die Steinzeichen von Beaghmore. Vor 3600 Jahren geschaffen, dienten sie vermutlich Religion und Wissenschaft. Sie waren Kultstätte, vielleicht auch Friedhof, in jedem Fall Observatorium, Zeitmesser und Kalender. Lange vergessen und vom Torf begraben, gab das Moor die ominösen Kreise, Reihen und Haufen erst in den 1940ern frei.

Über den »Königsweg« zur
»Eiseninsel Pyke«

Bislang war jede Tour auf dieser Reise eine Fahrt ins Grüne. Seit wir ganz im Norden sind, geht es – mit allem Grün um uns herum – an jedem Tag ins Blaue. Die See und ihre White-Rocks-Küste dominieren alles. Von ihrem rauen Charme lassen auch wir uns ohne Widerstand gefangen nehmen. Doch gehen wir es langsam an und nähern uns in kleinen Schritten – zunächst auf einem Holzweg durch die Dünen, die unseren Stellplatz im Benone Holiday Park von einem breiten, fabelhaften Sandstrand trennen.

Der Horizont mit Steilufer und dem markanten Mussenden Temple weckt Lust auf mehr und lockt uns auf die Causeway Coastal Route, an der sich auch einer der Drehorte von »Game of Thrones« befindet: das Fischerdörfchen Ballintoy. Dessen abseits gelegener Hafen an der malerischen Bucht von Boheeshane spielt in der kultigen TV-Saga den Ort Lordsport auf der Eiseninsel Pyke, wo Theon Greyjoy seine Schwester Asha trifft. Das Wohnmobil lassen wir vorsichtshalber im Ort stehen und gehen die steile, enge Straße bis zum Hafen einen Kilometer zu Fuß.

Etwa drei Viertel aller Folgen von »Game of Thrones« wurden im Norden Irlands gedreht. Zu den imposanten Schauplätzen der Erfolgsserie zählen hier unter anderem Castle Ward, das »Schloss von Winterfell«, der »Verfluchte Wald« des Tollymore Forest Parks und die mystische Allee The Dark Hedges, bekannt geworden als »Königsweg« in »Westeros«.

Portstewart Strand und Whiterock Beach vermerken wir für später, ebenso die Hängebrücke Carrick-a-Rede. Am Aussichtspunkt Magheracross an einer Klippenkante breitet sich die ganze Pracht des Panoramaküstenwegs zu unseren Füßen aus. Soweit der Blick nach Westen reicht, sehen wir die riesenhaften, strahlend weißen und begrünten Kreidefelsen, oftmals ausgehöhlt oder zu Bogenformationen ausgewaschen, rechts daneben Skerries Islands, im Osten die Ruine Dunluce Castle – eine Landschaft als Gesamtkunstwerk, von Nordkanal und Himmel eingerahmt.

Sehr einfallsreich war die Natur auch, als sie jene 40 000 gleichmäßig geformten, bis zwölf Meter hohen Steinsäulen kreierte, die man Giant’s Causeway nennt und zum Unesco-Welterbe erklärte. Vom Besucherzentrum wandern wir zu diesem Wunder aus Basalt. Geologen sagen, es entstand, als heiße Lava vor Millionen Jahren in das kalte Meer floss und erstarrte. Der Vulkan, der sie einst ausspie, ist verschwunden. Wir bleiben noch und kosten weiter jeden Augenblick dieses wunderbaren Campingreiseabenteuers aus.

Die Recherche wurde von Tourism Ireland unterstützt.