»Wir freuen uns, Sie zum feierlichen Spatenstich für die Verlängerung der U3 zum Mexikoplatz einzuladen«, schreiben die Berliner Verkehrsbetriebe. Am 28. April soll die Sause stattfinden. Doch eigentlich geht es bei diesem symbolischen Baubeginn nur um den Ersatzneubau eines bestehenden Tunnels, wie die BVG gleich im zweiten Satz der Einladung einräumt. »Dieser Spatenstich markiert konkret den Baubeginn der neuen unterirdischen Kehr- und Aufstellanlage an der Station ›Krumme Lanke‹«, heißt es. Diese ebne »den Weg für die zukünftige Strecke zum Mexikoplatz«.
»Fake-Spatenstich« nannte »nd« im Januar[1] den nun anstehenden Termin. Was BVG-Chef Henrik Falk kurz darauf im Verkehrsausschuss des Abgeordnetenhauses zu einer längeren Gegenrede veranlasste. Kein Mensch mache erst Spatenstiche, wenn der Antrag auf Bundesförderung durch sei, sagte Falk. Für ihn sei das »eher insouverän«, einen Spatenstich erst zu machen, wenn die Bundesförderung fest zugesagt sei. »Es ist nicht unseriös, sondern hat mit Priorität zu tun, die Maßnahme wollen wir, jetzt gehen wir vor«, unterstrich Henrik Falk seine Position noch einmal.
Dabei gibt es noch nicht einmal ein Baurecht für den rund einen Kilometer langen Tunnel, der die U3 mit der S1 verknüpfen soll. Diesen Sommer soll der Planfeststellungsbeschluss vorliegen – diese Erwartung ist zumindest bisher verbreitet worden. Zweifel sind angebracht. Denn bisher ist noch nicht mal die im Verfahren vorgesehene sogenannte Erörterung angesetzt, bei der im Verfahren eingebrachte Einwendungen mit den Betroffenen besprochen werden.
Der Widerstand gegen die geplante U-Bahn-Verlängerung[2] vor Ort ist groß. Rund 800 Einwendungen sind eingegangen – ein im Vergleich zu anderen Projekten hoher Wert. Maßgeblich organisiert wird er von der Bürgerinitiative »Rettet den Mexikoplatz«. In teilweise alarmistischer Rhetorik werden die Folgen eines möglichen U-Bahn-Baus an die Wand gemalt, der Bedarf grundsätzlich bestritten.
Tatsächlich sind die offiziell erwarteten Fahrgastzahlen mit 12 000 Menschen täglich für eine U-Bahn-Strecke recht niedrig. Deswegen dürfen die Kosten auch nicht allzu hoch ausfallen. Denn damit die 75 Prozent Bundesförderung für die Baukosten nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) fließen können, muss der volkswirtschaftliche Nutzen die Kosten überwiegen, der Nutzen-Kosten-Indikator also über 1 liegen. Ein von der BVG beauftragtes Gutachten kommt auf einen Nutzen-Kosten-Index von 1,14 – damit wäre das Projekt förderfähig.
Da sei viel Schönrechnerei im Spiel gewesen, heißt es nun von der Bürgerinitiative. Wir sind im reichen Südwesten, somit hatten U-Bahn-Gegner das nötige Kleingeld, um ein eigenes Gutachten zu beauftragen – zu finden auf deren Internetseite.
Das Büro Interlink hat das Senats-Dokument »auf Plausibilität und korrekte Durchführung« untersucht und »erhebliche Fehler« ausgemacht. So seien die Kosten der aufwendigen Abstellanlage südlich des Mexikoplatzes nicht berücksichtigt worden. Auch der neue Bahnhof sei nur in bescheidener Ausführung als tatsächlich geplant einberechnet, Ansätze für Bau- und Betriebskosten viel zu gering, sogar mit weniger Zügen als tatsächlich benötigt sei gerechnet worden.
Mit Preisstand 2016 kommt Interlink für die geplante Verlängerung auf ein »realistisches Investitionsvolumen« von etwa 170 Millionen Euro statt der offiziell angegeben 104 Millionen Euro. Tatsächlich dürfte laut Gutachtern der Bau nur rund 90 Millionen Euro kosten, um förderfähig zu sein.
»Aus den internen Unterlagen des Erstellungsprozesses geht dabei hervor, dass diese fehlerhafte Anwendung nicht durch das beauftragte Ingenieurbüro erfolgte, sondern vielmehr offenbar durch Druck von anderer Seite erfolgte«, heißt es in der Untersuchung. Dies werde »insbesondere dahingehend deutlich«, dass die »benannten Kritikpunkte fast ausschließlich in den ersten vorliegenden Entwurfsfassungen des Gutachters noch korrekt beachtet wurden«.
Die BVG widerspricht auf Anfrage von »nd« heftig. Die gemeinsam mit dem Senat beauftragte Nutzen-Kosten-Untersuchung sei durch ein »unabhängiges, erfahrenes und einschlägiges Gutachterbüro erstellt« worden und erfülle alle Anforderungen. Im Interlink-Gutachten würden »einige Zusammenhänge durcheinandergebracht und Aspekte miteinander verglichen, die nicht vergleichbar sind«.
»Dass die U3-Verlängerung bis zum Mexikoplatz Probleme mit der Wirtschaftlichkeitsberechnung bekommen kann, ist nicht unwahrscheinlich.«
Kristian Ronneburg (Linke) Verkehrsexperte
»Unbelegt« sei die Behauptung zu niedrig angesetzter Kosten für die Infrastruktur[3]. Die Betriebskosten seien »aus den internen Kostenansätzen der BVG-Fachabteilungen valide und verfahrenskonform« eingerechnet worden. Andere bauliche Maßnahmen als die Verlängerung selbst, so die Kehr- und Abstellanlage, seien nicht Bestandteil der Untersuchung. »Dies entspricht der gängigen Praxis«, so die BVG weiter.
Festzuhalten ist: Die Preisbasis 2016 ist für das Fördergeld-Verfahren das vorgegebene Prozedere. Die rasante Baupreisentwicklung macht es aber nicht abwegig, reale Baukosten von bis zu 300 Millionen Euro anzunehmen, wie es Interlink tut. Das entspräche bei voller Bundesförderung einem Anteil von 75 Millionen Euro für das Land Berlin. Da beispielsweise für die aufwendige Kehr- und Abstellanlage keine GVFG-Mittel beantragt werden, dürfte sich der Landesanteil auf 100 Millionen Euro und mehr belaufen. Woher das Geld kommen soll, hat die schwarz-rote Koalition bisher nicht erklärt.
Zur Wahrheit gehört auch, dass der Prozess zur Bewilligung der Bundesförderung für Außenstehende eine Black Box ist. Schönrechnerei ist in den Untersuchungen an der Tagesordnung – wie kritisch die Gutachten im Bundesverkehrsministerium geprüft werden, ist offen.
»Dass die U3-Verlängerung bis zum Mexikoplatz Probleme mit der Wirtschaftlichkeitsberechnung bekommen kann, ist nicht unwahrscheinlich«, sagt Linke-Verkehrspolitiker Kristian Ronneburg zu »nd«. Er erinnert daran, dass der rot-schwarze Senat 2013 die Strecke für unwirtschaftlich hielt. »Ohne Förderung durch den Bund wird die Verlängerung nicht kommen«, sagt Ronneburg.
»Viel wichtiger wäre es jetzt, wenn sich der Senat ins Zeug legen würde, sinnvolle Nahverkehrsprojekte[4] zu verfolgen, die nachweislich deutlich mehr Fahrgäste in die öffentlichen Verkehrsmittel bringen werden«, so Ronneburg. Der Senat müsse damit aufhören, »aus ideologischen Gründen Straßenbahnprojekte, die lange vorbereitet wurden, nach Belieben in die Tonne zu treten«. Projekte wie die Tramstrecke Alexanderplatz–Potsdamer Platz oder die Verbindung von Johannisthal nach Gropiusstadt müssten »dringend wieder aufgenommen werden«.
Diesem Senat gehe es »erklärtermaßen eher um die Show«, sagt der Linke-Politiker weiter. »Dabei kommen völlig schräge Prioritäten heraus, von Magnetschwebebahn-Träumen[5] ganz zu schweigen.«
Allein ist der Senat mit seinen Träumen allerdings nicht. Einstimmig beschloss Anfang April der Stadtentwicklungsausschuss der Bezirksverordnetenversammlung Steglitz-Zehlendorf, dass der Bezirk sich für eine weitere Verlängerung der U3 bis Kleinmachnow einsetzen solle.
Mitte April gab die Gemeinde Schönefeld bekannt, dass eine Untersuchung der Verlängerung der U7 v[6]on Rudow zum Flughafen BER die Wirtschaftlichkeit bescheinigt hatte. Berlins Verkehrssenatorin Ute Bonde (CDU) sprach im RBB vage von einer »Investition in die Zukunft«, während ihr Brandenburger Amtskollege Detlef Tabbert (BSW) ausrichten ließ, dass es sich »um ein kommunales Projekt« handele, jenseits seiner Zuständigkeit. Bemerkenswert ist, dass das rund eine Milliarde Euro schwere Vorhaben bisher nicht einmal im Flächennutzungsplan der Gemeinde Schönefeld auftaucht.