nd-aktuell.de / 23.04.2025 / Kultur / Seite 1

Drama »Klandestin«: Machtgefälle zwischen Retter und Geretteten

Angelina Maccarones Politdrama »Klandestin« erzählt eine Flüchtlingsgeschichte aus vier verschiedenen Perspektiven

Nicolai Hagedorn
Mathilda, großartig tough und abgebrüht, aber dennoch nicht unsympathisch dargestellt von Barbara Sukowa, verkörpert eine konservative Verteidigerin des Frontex-Regimes.
Mathilda, großartig tough und abgebrüht, aber dennoch nicht unsympathisch dargestellt von Barbara Sukowa, verkörpert eine konservative Verteidigerin des Frontex-Regimes.

Aktuelle politische Themen filmisch zu bearbeiten, ist ohnehin eine besondere Herausforderung – bei dem Dauerthema der letzten Jahre, der Migration, umso mehr. Die Fallen, in die Filmemacher dabei tappen können, sind Legion: Weder sollte die Geschichte allzu agitierend sein, auch nicht vor lauter Empathie und Klischee ins Kitschige kippen, noch sollte sie monoperspektivisch sein. Zugleich sollte so ein Kinofilm sein Publikum im besten Fall auch noch unterhalten. Angelina Maccarone hat das als Regisseurin und Drehbuchautorin in dem Politdrama »Klandestin« versucht und für das Buch 2017 den Deutschen Drehbuchpreis für unverfilmte Bücher erhalten. Der Film startet an diesem Donnerstag in den deutschsprachigen Kinos.

Beim Schreiben an das Umschiffen sämtlicher Fallen denken zu müssen, gipfelt in »Klandestin« bald in der Absurdität, dass der migrantische Terrorist, der im Film kurz auftaucht, kurzerhand zum atheistischen Anarchisten erklärt wird (sic!) – Anarchisten und Atheisten sind offenbar die Einzigen, denen man terroristische Tendenzen andichten kann, ohne dass sich jemand beschwert. Dass Maccarone in einem Film wie »Klandestin« nicht unbedingt Migranten aus dem arabischen Raum mit religiös motiviertem Terrorismus in Verbindung bringen mochte, ist gut nachvollziehbar, aber die Alternative zu Kontroverse ist eben Opportunismus. Und so wirkt die Geschichte um den marokkanischen Flüchtling Malik (Habib Adda), die konservative Politikerin Mathilda (Barbara Sukowa), deren Assistentin Amina (Banafshe Hourmazdi) und den Künstler Richard (Lambert Wilson) manchmal zu verkopft und konstruiert.

Dabei inszeniert die erfahrene Kino- und Fernsehregisseurin Maccarone ihre Geschichte durchaus fesselnd. Kulisse sind die Bürotürme der Frankfurter City, erzählt wird eine Flucht- und Flüchtlingsgeschichte aus der persönlichen Perspektive der vier Hauptfiguren.

Zunächst erfahren wir von einem Terroranschlag auf ein Bankgebäude. Dann werden die Erlebnisse der Protagonist*innen in je einem Kapitel dargestellt, der Anschlag spielt erst am Ende wieder eine Rolle. Dieser narrative Kniff ermöglicht es Maccarone, Zusammenhänge bewusst im Unklaren zu lassen, um sie später aufzuklären; und hier erzielt das Skript eine erstaunliche Kongruenz von Form und Inhalt. Denn was der Flüchtling Malik nicht mitbekommen darf, wird dem Kinopublikum ein Kapitel später ausführlich vorgeführt.

Man kann den Paternalismus der deutschen »Gastgeber« gewissermaßen im eigenen schlechten Gewissen mitfühlen, wenn wir Mathilda und Richard hinter Maliks Rücken rüde über dessen Zukunft feilschen sehen: »Was soll ich machen? Ihm ein Ticket nach Tanger kaufen?« – »Gute Idee, ich bezahle das.« – »Und was soll Malik den Beamten bei der Einreise erzählen?« – »Haha, jetzt sitzt er in Europa fest, weil Marokko ihn nicht mehr reinlässt?«

Malik war zuvor versteckt im Sprinter des alternden britischen Künstlers Richard von Marokko nach Deutschland mitgereist. Richard, der in Marokko wohnt und Malik kennt, wusste davon nichts, ist aber durchaus froh, den 17-Jährigen nunmehr in seiner Nähe zu wissen, denn er hat an ihm ein romantisches Interesse. Malik geht darauf widerstrebend ein – es ist kompliziert, und eines der gesellschaftspolitischen Themen des Films, nämlich das enorme Machtgefälle zwischen Retter und Geretteten, ist damit plakativ gesetzt.

Weitere sind die routinierte Bigotterie und Empathielosigkeit von Spitzenpolitikern. Mathilda, großartig tough und abgebrüht, aber dennoch nicht unsympathisch dargestellt von Barbara Sukowa, liefert sich als konservative Verteidigerin des Frontex-Regimes regelmäßig Rededuelle mit ihrer linksprogressiven politischen Gegenspielerin Sybille. Diese explizit politischen Auseinandersetzungen bestehen allerdings ausschließlich aus Plattitüden; in den konkreten politischen Aussprachen ist der Film bis zur Peinlichkeit unambitioniert.

Währenddessen bringt Mathildas langjähriger Freund Richard nun Malik in ihrem Apartment unter und bittet sie überdies, für diesen ein Visum zu besorgen. Und wie es immer so ist: Sobald man die abstrakte Gefahr einmal persönlich kennenlernt, stellt man fest, dass es sich bei den vermeintlich todbringenden Flüchtlingen in Wahrheit um verlorene Menschen handelt, mit denen man ziemlich gut reden, kiffen und frühstücken kann, wie Mathilda bald entdeckt.

Sukowa und Malik-Darsteller Habib Adda spielen die Annäherung der beiden glänzend; überhaupt gelingt es Maccarone und ihrem Ensemble meisterhaft, die Ambivalenzen der persönlichen Beziehungen ihrer Figuren zu vermitteln. Hier finden sich unübersehbar die Stärken des Films.

Letztlich ist es aber die in Deutschland geborene Karrierejuristin Amina, die ihrerseits marokkanische Wurzeln hat, die – obwohl sie Malik zuvor kaum weniger kaltherzig behandelte als ihre Chefin Mathilda – dem Flüchtling als Einzige zur Seite steht, als dieser wegen Terrorverdachts festgenommen wird: »Ich weiß, wie wichtig jeder einzelne Mensch war, der sich für mich eingesetzt hat«, erklärt sie Mathilda ihre Beweggründe. Diskriminierung kann aus Aminas Perspektive nur durch praktische Solidarität überwunden werden, während Mathilda mit ihrer utilitaristischen Hybris (»Für Sie kann ich mich einsetzen. Glauben Sie, ich weiß nicht, dass dieser Job hier weit unter Ihren Fähigkeiten liegt? Zwei, drei Jahre in Louis’ Anwaltskanzlei, und dann sind Sie nämlich in der Lage, sich wirklich effektiv für andere einzusetzen«) herzlos und unsolidarisch wirkt – im Finale traut sich Maccarone schließlich also doch noch so etwas wie vorsichtige Ideologiekritik.

Über die wirkliche Funktionsweise des weltweiten spätkapitalistischen Ausbeutungsregimes, das den extremen Migrationsdruck und die immer zynischer werdenden Eliten und ihre rechtsextreme Mitläuferschaft erst hervorruft, erfahren wir in »Klandestin« aber praktisch nichts.

»Klandestin«, Deutschland 2024. Regie uns Buch: Angelina Maccarone. Mit: Habib Adda, Lambert Wilson, Barbara Sukowa, Banafshe Hourmazdi, Katharina Schüttler. 124 Min. Kinostart: 24. April.