nd-aktuell.de / 23.04.2025 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 1

Notfallsystem vor der Reform

Bessere Koordinierung der Angebote ist nötig, aber auch mehr Kompetenz in der Bevölkerung

Ulrike Henning
Wirklich leer sind die Notaufnahmen der Krankenhäuser nur selten.
Wirklich leer sind die Notaufnahmen der Krankenhäuser nur selten.

Sind diese Schmerzen, das Fieber oder die Blutung nun lebensbedrohlich – oder nur eine Banalität? Das fragen sich nicht wenige Patienten, wenn ihnen das eine oder andere Symptom zustößt. »Patienten sind unsicher, haben Angst und ihnen fehlt die Erfahrung« –, das ist ein Teil der Bedingungen, unter denen das Notfallsystem in Deutschland funktionieren muss, wie der Wiesbadener Internist Thomas Weber erklärt.

Der niedergelassene Arzt ist schon seit einigen Jahren zu dem Thema unterwegs, unter anderem ist er Vorsitzender des Vereins Wiesbaden lernt Erste Hilfe.[1] In diesem Zusammenhang konnte bei einer Umfrage in der Stadt auch festgestellt werden, dass sich 76 Prozent der Einwohner bei der Durchführung lebenserhaltender Maßnahmen unsicher fühlen – und zwar umso mehr, je länger der letzte Erste-Hilfe-Kurs zurückliegt. Aber gar nichts tun, weiß nicht nur Weber als Mediziner, kann Leben kosten, etwa bei einem Herzstillstand.[2]

»Die überfüllte und dadurch ineffiziente Notaufnahme ist ein Paradebeispiel unserer Notfallmisere.«

Thomas Weber Niedergelassener Internist

Zumal viele Menschen nicht einmal die Notrufnummern kennen, weder die 116 117 noch die 112 – und sie wissen dann auch nicht, ob die Feuerwehr oder der Kassenärztliche Notruf am ehesten für ihr konkretes Problem zuständig sein könnte. In der Folge landen sie oft in den Notaufnahmen der Krankenhäuser. 2024 wurden dort laut Weber 12,4 Millionen Patienten versorgt, 40 Prozent waren keine wirklichen Notfälle und führten zur Überlastung der Rettungsstellen. Für Weber ist die überfüllte und dadurch ineffiziente Notaufnahme »ein Paradebeispiel unserer Notfallmisere«.

Damit sind Unsicherheit in der Bevölkerung bei der Einschätzung der eigenen Situation wie auch der Kompetenz, selbst Erste Hilfe zu leisten, nur ein Teil des Problems. Einer sicheren Versorgung im Einzelfall steht laut dem Wiesbadener Arzt noch mehr im Wege: »die unzureichenden Strukturen des nicht ausreichend vernetzten Notfallsystems und deren falsche Inanspruchnahme«.

Dass Reformen hier immer dringender werden, war bereits dem früheren CDU-Bundesminister Jens Spahn (CDU) klar. Sein Nachfolger von der SPD, Karl Lauterbrach, brachte ein Gesetz zur Notfallversorgung im Oktober 2024 noch bis zur ersten Lesung im Bundestag[3]. Darin festgeschrieben wurde unter anderem, dass Akutleitstellen kommen sollen (die es in einigen Bundesländern schon gibt). Hier könnten alle Anrufe sowohl bei der 112 als auch bei der 116 117 zusammengeführt werden, aber sicher ist das noch nicht.

In größeren Krankenhäusern wird es Notfallzentren geben, bei denen der Notaufnahme eine kassenärztlich geführte Notfallpraxis zur Seite gestellt ist. Nach Möglichkeit könnten die Zentren pädiatrisch erweitert werden, also mit speziellen Strukturen für Notfälle von Kindern. An einem gemeinsamen Tresen in den Zentren wird eine Ersteinschätzung getroffen. In Aussicht gestellt, aber noch nicht endgültig geregelt ist zudem die Vermittlung etwa von Haus- oder Facharztterminen am nächsten Tag.

Zu diesen Plänen hat auch Thomas Weber noch weitere Fragen: »Wie soll die Notfallversorgung dann im ländlichen Bereich gesichert werden? Von wem und wie wären die Notfallpraxen zu besetzen, da es ohnehin an Personal in diesem Bereich mangelt?« Der Wiesbadener hält es auch für unverzichtbar, dass die Patienten in die Reform eingebunden, also mindestens umfangreich über neue und bestehende Strukturen informiert werden müssen. Anders ließe sich die Fehlsteuerung nicht wirklich abbauen. Weber hält es auch für fraglich, wenn die Reform ergibt, dass jeder weiterhin Notaufnahmen auch ohne Vorab-Kontakt aufsuchen kann.

Ein weiteres Manko im jetzigen Gesetzentwurf besteht darin, dass die Rettungsdienste noch nicht berücksichtigt sind. An einem anderen Punkt kann aber schon vor der Notfallreform gearbeitet werden, und das wird auch getan. Weber und der eingangs genannte Verein in Wiesbaden machen es vor. Hier wurden in den letzten Jahren 18 000 Schüler mit einschlägigen Kursen zur Ersten Hilfe erreicht. Der Arzt freut sich über deren Aufnahmefähigkeit: »Die Kinder gehen mit Begeisterung an die Kurse heran, Angst oder Erschrecken haben wir bei ihnen nicht erlebt.« Neben einer solchen frühen Schulung hält er ausreichend Wiederholungsangebote auch nach dem Kurs in Zusammenhang mit der Fahrerlaubnisprüfung für nötig. Diese Notfallkompetenz sollte am besten in eine insgesamt höhere Gesundheitskompetenz eingebunden werden.

Viele dieser Fragen werden vom 3. bis 6. Mai auf einem großen Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin diskutiert – auch dieser findet in Wiesbaden statt, einschließlich eines Patiententages. Hier soll unter anderem eine Teilveranstaltung über »Das Wichtigste für den Notfall« aufklären.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1107355.erste-hilfe-erste-hilfe-durch-schueler.html?sstr=Erste-Hilfe-Kurs
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1173736.kardiologie-herzsignale-besser-verstehen.html?sstr=Herzstillstand
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1185899.reformgesetz-rettung-fuer-die-notfallversorgung.html?sstr=Notaufnahme