Wien ist anders – lautet die Marketing-Losung der Stadt. Wien wählt aber auch anders als der Rest Österreichs. Am Sonntag finden in der Hauptstadt Gemeinderatswahlen statt, die eigentlich Landtagswahlen sind. Denn Wien ist ein eigenes Bundesland. Und der Sieger steht eigentlich schon fest: Dass die Sozialdemokraten (SPÖ) wieder – so wie immer seit 1945 – den Bürgermeister stellen werden, ist so gut wie fix.
Und dennoch ist die Wahl in Österreichs bevölkerungsreichstem Bundesland von zentraler politischer Bedeutung: Hier wird ausgetestet, hier wird die Stimmung eingefangen. Von Österreichs Rezession ist auch Wien betroffen. Die Budgetlage ist prekär. Aktuell regiert die SPÖ in einer Koalition mit den liberalen Neos[1]. Davor war es eine Koalition mit den Grünen. Was jetzt kommt, ist offen.
Für die SPÖ ist die Wahl ein Stimmungsbarometer in ihrer wichtigsten Hochburg. Für die rechtsextreme FPÖ [2]ist sie ein Rennen um die Themenhoheit. Für die ÖVP dürfte sie vor allem Bühne sein, um die SPÖ zu bekleckern. Und für die kleineren Parteien wie die Neos oder die Grünen, die vor allem in urbanen Regionen punkten können, ist die Wien-Wahl ein zentrales Rennen um die Mobilisierung von Stammwählern. Es ist jedenfalls vor allem auch Wien, wo eben diese Parteien mit dem Bündnis aus KPÖ und der Liste Links Konkurrenz aus dem linken Lager haben.
Wien ist jedenfalls die Stadt beziehungsweise das Land, wo die KPÖ den Sprung aus der politischen Bedeutungslosigkeit schaffen möchte. Ob das mit dem Wahlspruch: »Ludwig (der Bürgermeister Wiens, Anm.) g`winnt eh« gelingen kann, ist allerdings mehr als fraglich. Ihre Themen sind Wohnbau, Teuerung, soziale Themen. Seit 1969 ist die KPÖ raus aus dem Stadtparlament[3]. Und es wird auch diesmal zumindest sehr knapp werden. Laut Umfragen liegt die KPÖ bei um die vier Prozent und kratzt damit genau an der Hürde für den Einzug in das Stadtparlament.
Aber auch im rechten Lager kämpft ein Altbekannter um den Einzug in den Stadtrat: Heinz Christian Strache, ehemals Chef der FPÖ, dann im Zuge des Ibiza-Skandals gefallene Hoffnung des rechten Lagers, heute Lokalpolitiker mit Ambitionen auf zumindest den Einzug in einen Bezirksrat.
Viel Neues hatte der Wahlkampf jedenfalls nicht zu bieten. Auf der einen Seite Selbstlob. Und auf der anderen werden die Themen Kriminalität und Zuwanderung vermengt. Sicherheit, die Forderungen nach mehr Polizei, die hohen Strompreise, Inflation – das sind die Themen der FPÖ, der ÖVP wie auch Straches.
Während letzterer allerdings geringe Chancen auf Einzug hat, darf die FPÖ mit einem massiven Sieg rechnen. Das liegt vor allem auch an der Ausgangslage. Bei der Wahl 2020 hatte die FPÖ 23 Prozent verloren und kam damals auf gerade einmal sieben Prozent. Da war der Ibiza-Skandal noch frisch. Die Partei hatte sich noch nicht neu aufgestellt. Heute ist die FPÖ laut bundesweiten Umfragen die mit Abstand stärkste Partei und liegt bei um die 33 Prozent.
In Wien liegt sie heute laut Umfragen bei 21 Prozent. Unklar ist dabei aber, wie sehr Strache der FPÖ zusetzt. Die Ironie an der Sache: Mit Dominik Nepp hat die FPÖ einen Parteisoldaten ins Rennen geschickt, der einst Vertrauter Straches war – und mit diesem zusammen auch in eine Reihe an Skandalen verwickelt war. Auf das auf Skandal gebürstete FPÖ-Klientel könnte Nepp zu farblos wirken. Strache hingegen positionierte sich zuletzt als Che Guevara mit entsprechendem Meme in sozialen Medien.
Ganz anders verhält es sich mit der ÖVP. Deren Verluste sind vorprogrammiert. Bei der letzten Wahl 2020 war noch Sebastian Kurz Chef der ÖVP – einer, der auch in Wien weit rechts mobilisieren konnte. Damals holte die ÖVP für sie fulminante 20 Prozent. Diesmal dürften es eher um die elf werden. Dabei gibt sich Spitzenkandidat Karl Mahrer echt mühe: Seine Videos aus angeblichen Problembezirken oder aus der U-Bahn im Stile eines Kriegsberichterstatters sind eigentlich schon legendär. Wien wirkt darin wie eine Stadt, in der man nach Einbruch der Dunkelheit besser keinen Fuß vor die Tür setzt. Das ist weitgehend auch die Linie der Bundes-ÖVP.
Und die zeigt auch Wirkung: Außerhalb Wiens[4] herrscht vielfach die Meinung vor, Wien sei ein Moloch. »Wien bleibt Wien« plakatiert die ÖVP jetzt und fordert mehr Videoüberwachung, die Einführung einer Stadtwache oder Null-Toleranz-Politik sowie den »Kampf gegen radikalen Islamismus«. Ein Problem mit der FPÖ hat Mahrer folglich nicht.
Dass Mahrer – es gilt die Unschuldsvermutung – in einem Korruptionskandal als Schuldiger geführt wird, ist seiner Sache dabei wohl nicht zuträglich. Aber ebenso wenig der SPÖ. Denn auch ein SPÖ-Bezirksfunktionär ist in die Sache verwickelt.
Da ist aber noch eine Besonderheit der Stadt: Wien ist das Bundesland mit den meisten Nicht-Wahlberechtigten in Österreich. Mehr als ein Drittel der Einwohner Wiens sind keine Staatsbürger und können damit nicht oder nur (im Fall von EU-Bürgern) an den Wahlen zu den jeweiligen Bezirksvertretungen) teilnehmen. Und das ist ein Thema, das je nach politischer Geneigtheit auch gedeutet oder ausgeschlachtet wird: Für viele ist Wien damit eine demokratiepolitische Sackgasse. Wasser auf den Mühlen ist dieser Umstand hingegen für all jene, die gerne das Migrationsthema bedienen.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1190761.oesterreich-wien-waehlt-anders.html