nd-aktuell.de / 23.04.2025 / Kultur / Seite 1

Süßer Tod

Die schönsten Sterbeszenen in der Geschichte des elisabethanischen Theaters

Erik Zielke
Unseren täglichen Tod gib uns heute: Staatsoper Unter den Linden
Unseren täglichen Tod gib uns heute: Staatsoper Unter den Linden

»Die schönsten Sterbeszenen in der Geschichte der Oper« war ein Theaterabend des umstrittenen Regisseurs Alvis Hermanis, der dieser Tage 60 Jahre alt wird, betitelt. Vor gut zehn Jahren kam die Inszenierung am Schauspielhaus Zürich zur Premiere. Und der Name war Programm: Das handlungsarme Spektakel versetzte uns in den Aufenthaltsraum eines Altersheims, in dem sich die Bewohnerinnen und Bewohner anschickten, mit größtmöglicher Grandezza die Arien und Duette zu intonieren, die den schönen Bühnentod begleiten.

Hermanis hat so eine Liebeserklärung an die Kunst abgegeben – und gleichsam die Grenzen ihrer Wirkung aufgezeigt. Wie berührend sind doch die Abend für Abend immer wieder aufs Neue gestorbenen Tode unterm Bühnenportal. Und wie komisch wirkt das Ganze, wenn es einem derart in Serie vorgestellt wird. Und wie traurig wiederum stimmt einen der näher rückende eigene Tod in dem Wissen, dass er jeder sanften Orchesterbegleitung entbehren wird.

Auf einem ähnlichen dramaturgischen Prinzip beruht Douglas Hickox’ britischer Filmklassiker »Theater des Grauens« aus dem Jahr 1973. Darin spielt der umwerfende Vincent Price mit reichlich Pathos den Schauspieler Edward Lionheart, der sich vor allem auf den Genossen Shakespeare versteht. Seine großen Verdienste um das Theater und um den Barden aus Stratford finden nicht die Würdigung, die er sich wünscht. Ein Kritikerpreis, den er schon sein eigen glaubte, geht nicht an ihn.

Nachdem ein mit großer Geste und nicht ohne großen Hamlet-Monolog angekündigter Selbstmord gescheitert ist, will er sich an der Journaille rächen. Jeder der Schreiberlinge sieht sich bald in ein Shakespeare’sches Drama versetzt: Da wird der erste wie Julius Caesar in der gleichnamigen Tragödie gemeuchelt und zerstückelt, der nächste wie Hector in »Troilus und Cressida« gerichtet. Ein anderer Kritiker findet sich selbst wie im selten gespielten »Cymbeline« kopflos im eigenen Bett wieder. »Der Kaufmann von Venedig« wird kurzerhand umgeschrieben, damit der Rezensent als Antonio bald ausgeweidet werden kann. Wie Clarence in »Richard III.« wird der nächste Kritiker im Wein ertränkt. Wie in »Othello« wird einer durch Intrigen zum Mord an seiner Frau getrieben, wie die Johanna in »Heinrich VI.« eine Kritikerin gegrillt. Und wie der Königin Tamora in »Titus Andronicus« die eigenen Kinder zum Verzehr vorgesetzt werden, so muss ein Kritiker seine geliebten Hündchen, zu Kuchen verarbeitet, zu sich nehmen.

Es ist ein Film aus einer Zeit, als es noch Großschauspieler gab, die mit nicht zu bändigendem Selbstbewusstsein in sonorer Stimme die Klassiker deklamierten und in keinem Moment Zweifel daran ließen, dass sie meinten, was sie sagten. Ihnen gegenüber standen die Großkritiker, am liebsten mit einem Glas Château Latour ausgestattet, auf die etwas von dem Glanz einer noch viel beachteten Schauspielkunst überging.

Wie »Die schönsten Sterbeszenen in der Geschichte der Oper« nur mit der Wirkung spielen, die sich in ihrem eigentlich dramatischen Kontext der Musiktheaterwerke ergibt, sind die Morde in »Theater des Grauens« keine Sequenzen für einen Horrorfilm, sondern nur für die Parodie eines solchen. Der Schrecken geht verloren und macht Platz für den Witz; daneben bleibt mehr als nur die Ahnung einer künstlerischen Qualität, derer man sich bedienen darf. Der Genosse Shakespeare überdauert auch stückweise.