nd-aktuell.de / 24.04.2025 / Berlin / Seite 1

Der Berliner Polizei auf die Finger schauen

Jahresbericht des Polizeibeauftragten2024: Fünf Prozent der Beschwerden berechtigt, 17 Prozent unberechtigt

Jule Meier
Ob die Polizei bei ihren Einsätzen rechtmäßig vorgeht und sich an das Deeskalationsgebot hält, bleibt oft im Dunkeln.
Ob die Polizei bei ihren Einsätzen rechtmäßig vorgeht und sich an das Deeskalationsgebot hält, bleibt oft im Dunkeln.

Bei den Debatten über unabhängige Kontrollgremien zur Überwachung der Polizeiarbeit geht gelegentlich unter, dass es in Berlin einen Bürger- und Polizeibeauftragten gibt. Alexander Oerke ist die Ombudsstelle für Beschwerden gegen die Berliner Polizei[1] sowie gegen Behörden. Er prüft vertrauliche Eingaben von Beamten außerhalb des Dienstwegs. Seit Beginn seiner Tätigkeit im August 2022 hat er 1500 Anfragen, Beschwerden und Eingaben erhalten.

Eine EU-Bürgerin, die fälschlicherweise ausgewiesen werden soll; der Staatsschutz, der gegen einen Neunjährigen ermittelt, und jede Menge Fälle zu Gewalt auf Demonstrationen. Hinzu kommen einige geschwärzte Polizei-Akten. Oerke hatte vergangenes Jahr 784 Beschwerden gegen Polizei und Behörden auf dem Tisch liegen – davon bewertete er 5,6 Prozent als begründet und 17,8 Prozent als unbegründet.

54,2 Prozent der Beschwerden wurden durch »Abhilfe und Beratung« gelöst und 21 Prozent nicht bearbeitet. Im Vergleich zum Vorjahr gab es einen Anstieg an Eingängen um 83 Prozent. Oerke ist zwar unabhängig, hat aber dennoch einen gesetzlichen Auftrag: Er soll das »partnerschaftliche Verhältnis zwischen Bürgern und Bürgerinnen und Polizei stärken«, wie es im Bericht heißt.

Die an Oerke gerichteten Beschwerden werden von vier Mitarbeitenden geprüft, drei davon sind ehemalige Polizeibeamte, die in die Ombudsstelle versetzt wurden. Die Ombudsstelle steht allen Menschen unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft offen, wobei Anliegen in deutscher oder englischer Sprache formuliert werden sollen. Laut eigenen Angaben bietet die Stelle bei Bedarf eine Übersetzunghilfe an.

»Wie schwer es für Bürgerinnen und Bürger sein kann, sich gegen fehlerhafte Ermittlungen der Polizei[2] zu wehren, zeigt die Beschwerde einer Mutter, die sich über die Ermittlungen des Polizeilichen Staatsschutzes (LKA 5) gegen ihren minderjährigen Sohn beschwerte«, heißt es zu einer beispielhaften Beschwerde im Bericht. Die Mutter eines Neunjährigen hatte vom Jugendamt erfahren, dass der Staatsschutz gegen ihren Sohn ermittelt. Das Landeskriminalamt (LKA) teilte ihr auf Nachfrage mit, ihr Sohn werde beschuldigt, in einem Chat ein »Hitler-Bild« gepostet zu haben. Der Sohn hatte aber kein Telefon. Der LKA-Sachbearbeiter beschwichtigte: Der Vorfall werde wegen der Minderjährigkeit keine weiteren Folgen haben, die Staatsanwaltschaft habe das Verfahren bereits eingestellt. Der Bitte, die Anschuldigungen gegen den Neunjährigen aus der Polizeidatenbank zu löschen, wurde aber nicht nachgekommen.

Nach Prüfung durch Oerke stellte sich heraus, dass die Ermittlungen des nun nicht mehr im Staatsschutz tätigen Sachbearbeiters unsachgemäß gewesen waren und das LKA versäumt hatte, die Eltern über die Vorwürfe zu informieren. Die Hinweise der Mutter und der Lehrerin, dass ein falscher Tatverdächtiger ermittelt worden sei, waren nicht zur Akte genommen und nicht an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet worden.

Ein weiterer Fall erzählt von einer griechischen EU-Bürgerin mit äthiopischer Migrationsgeschichte, die seit mehreren Monaten in Berlin lebt. Als sie für ihre Arbeit ein Gesundheitszeugnis benötigt, zweifelt eine Sachbearbeiterin im Gesundheitsamt die Echtheit ihrer Personaldokumente an und informiert die Polizei. Diese nimmt der Frau Pass und Führerschein weg und zeigt sie wegen des Verdachts auf Urkundenfälschung und unerlaubten Aufenthalt an.

Zwei Monate lang bekommt die Frau keine Rückmeldung zu ihren Dokumenten und kontaktiert deshalb die griechische Botschaft. Diese bestätigt der Polizei, dass die Frau griechische Staatsbürgerin ist und die eingezogenen Dokumente echt sind. Daraufhin schickt das LKA den Pass an die Ausländerbehörde[3] (LEA). Als die Frau ihre Dokumente bei der LEA abholen will, wird ihr eine Grenzübertrittsbescheinigung gegeben, verbunden mit einer vierwöchigen Ausreisefrist und einer Wiedereinreisesperre von 90 Tagen. Die griechische Botschaft kündigt an, das Auswärtige Amt zu informieren. Bevor es dazu kam, konnte der Polizeibeauftragte den Fehler des LEA aufklären. Der LEA-Direktor entschuldigte sich bei der Betroffenen.

Teil des Berichts ist auch der Umgang mit »psychisch auffälligen Personen« durch die Polizei. Dabei unterscheidet Oerke zwischen Einsätzen, bei denen die Polizei »ad hoc« handle, und solchen, die sie zeitlich planen könne. Die meisten vom Polizeibeauftragten betrachteten Einsätze waren planbar.

Im Falle des 64-Jährigen Kupa Ilunga Medard Mutombo[4], der nach einer polizeilichen Kniefixierung[5] starb und zu dessen Tod ein Verfahren seitens der Staatsanwaltschaft gegen die Polizei zweimal eingestellt wurde, heißt es im Bericht: »Da die Staatsanwaltschaft Berlin dem Polizeibeauftragten keine Einsicht in die Ermittlungsakten gewährt, kann dieser den Fall nicht weiter aufklären.«

Laut Oerke habe die Polizei im Juli 2024 mitgeteilt, dass sie ihre Konzepte zum Umgang mit »psychisch auffälligen Personen mit hohem Gewaltpotenzial« überarbeiten werde. »Eine zugesagte Übersendung der aktualisierten Einsatzkonzepte ist trotz mehrfacher Nachfrage nicht erfolgt«, heißt es im Bericht ferner.

Links:

  1. https://www.berlin.de/buerger-polizeibeauftragter/ombudsstelle/
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1190716.daten-forensik-mein-staubsauger-der-spitzel.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1190651.besetzung-gegen-gaza-krieg-hu-hoersaal-besetzung-fuer-berlin.html
  4. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1189808.repression-tag-gegen-polizeigewalt-in-berlin-wo-ist-die-soziale-sicherheit.html
  5. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1188483.polizeigewalt-klage-gegen-berliner-polizei.html