Ich wünsche mir eine internationalistischere Gewerkschaftsbewegung. In vielen Ländern treiben Regierungen eine autoritäre Politik voran und engen die Spielräume unabhängiger Gewerkschaften ein. Während extrem rechte Regierungschefs wie Putin, Erdoğan, Netanjahu und Trump Besatzungs- und Vertreibungskriege normalisieren, soll die neue Aufrüstungsoffensive der Bundesregierung eine trügerische »Sicherheit« suggerieren. Umso mehr braucht es Initiativen von Lohnabhängigen und ihren Gewerkschaften, sich grenzüberschreitend auf Augenhöhe auszutauschen und die Zusammenarbeit für gemeinsame Interessen zu suchen.
So hat sich der Berliner Landesverband der GEW demonstrativ an die Seite ihrer türkischen Schwestergewerkschaft Eğitim Sen gestellt. Diese hatte Beschäftigte von Hochschulen landesweit zu einem eintägigen politischen Streik in Solidarität mit den protestierenden Student*innen aufgerufen. Seitdem überzieht sie der türkische Staat mit einer Welle der Repression und schränkt ihre Arbeit massiv ein. »Es ist sogar schlimmer als zur Zeit der Militärdiktatur in den 80er Jahren«, berichtete eine Vertreterin von Eğitim Sen, die einer Sitzung des Landesvorstands der GEW Berlin per Videokonferenz zugeschaltet war.
Unter den Angriffen des türkischen Staates leidet auch die multiethnische Bevölkerung in Nord- und Ostsyrien, die ihre Selbstverwaltung und geschlechtergerechte Entwicklung nach wie vor verteidigt. Die GEW Berlin pflegt zusammen mit anderen Landesverbänden der Bildungsgewerkschaft seit Jahren einen intensiven Austausch mit verschiedenen Regionalbüros der Lehrkräftegewerkschaft Yekîtiya Mamosteyên (UTNES) in der Autonomieregion. In mehreren Videokonferenzen lernten deutsche Gewerkschafter*innen, wie ein mehrsprachiges Bildungssystem, das alle Muttersprachen achtet, unter schwierigsten Bedingungen wachsen kann.
Auf der Streikkonferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung Anfang Mai werden ukrainische und deutsche Gewerkschafter*innen aus dem Bildungswesen und dem Gesundheitsbereich in einer Arbeitsgruppe zusammenkommen. Wir erhoffen uns Einblicke in »Gewerkschaftsarbeit unter dem Druck des Krieges« und suchen nach Ansatzpunkten für die Unterstützung von Gewerkschaften, die sowohl gegen die russische Invasion als auch gegen die neoliberale Zerstörung von Arbeitsrechten durch die Selenskyj-Regierung ankämpfen müssen. Denn zu welchem Ende auch immer der russische Krieg gegen die Ukraine kommen wird, die Gesellschaften und Arbeitsmärkte unserer Länder sind miteinander verflochten. Soll es eine Chance auf einen sozialen und ökologischen Wiederaufbau der Ukraine geben, müssen zunächst die unabhängigen Gewerkschaften diesen Krieg überleben.
Christoph Wälz (GEW) ist Mitglied im GEW-Landesvorstand Berlin.