nd-aktuell.de / 25.04.2025 / Kultur / Seite 1

»Nestbeschmutzung ist ein linkes Muss«

Das Bündnis »Gegenform« spricht im Interview über den Kongress »Antifa out of Line«, Facetten des Autoritären und linke Selbstkritik

Interview: Thomas Land
Eine Demonstration vor der Berliner Humboldt-Universität »gegen die antisemitische Internationale« im Oktober 2024
Eine Demonstration vor der Berliner Humboldt-Universität »gegen die antisemitische Internationale« im Oktober 2024

In eurer Selbstdarstellung bezeichnet ihr euch als einen Zusammenschluss aus linksradikalen, antifaschistischen Gruppen und Einzelpersonen aus Berlin. Wie ist dieser entstanden?

Tina: Gegenform ist aus dem antifaschistischen No-al-Quds-Bündnis hervorgegangen, das jahrelang den Protest gegen den antiisraelischen Propagandatag des iranischen Regimes in Berlin organisiert hat. Mit der Absage des Marschs in den letzten Jahren war zwar der konkrete Anlass abhandengekommen, nicht aber der Antisemitismus, der sich auch auf anderen Demos und eben ganz explizit und rigoros nach dem 7. Oktober 2023 gezeigt hat. Als israelsolidarische Linke haben wir uns umgesehen, mit wem man noch progressive Politik machen kann.

Wäre es angesichts der politischen Bedeutungslosigkeit linker Polit-Gruppen nicht eher angebracht, bestehende Strukturen zu stärken und vorhandene Koalitionen auszubauen, statt mit einer Neugründung weiterer Fragmentierung Vorschub zu leisten?

Tina: Wir würden das Bündnis eher als Zusammenschluss und nicht als Trennung verstehen; auf dem Kongress wird Vernetzung eine große Rolle spielen. Und Spaltung: Na ja, in jeder guten Linken sollte es ein ordentliches Maß an Abgrenzungsbedürfnis gegen falsche Inhalte geben. Von einer sogenannten Einheit der Linken halten wir nicht viel, inhaltliche Klärung geht vor.

Der Kongress hat die autoritäre Formierung zum Thema. Was versteht ihr darunter?

Bob: Ganz allgemein könnte man vielleicht sagen, dass die autoritäre Formierung den Gegenpol zu individueller Reflexion darstellt, also der Fähigkeit sich selbst in ein kritisches Verhältnis zum Gegenstand, zum eigenen Erleben und den Gefühlen zu setzen. Dazu gehört beispielsweise, die eigenen politisch-theoretischen Grundlagen reflektieren und hinterfragen zu können, aber auch, den politischen Kontrahenten auf dessen höchstem Niveau zu kritisieren. Offenbar haben wir es derzeit mit gesellschaftlichen Verhältnissen zu tun, die diese Fähigkeiten nicht gerade befördern. Neben, sagen wir mal, klassisch autoritär strukturierten Regimen wie Russland oder dem Iran, formiert sich die gesellschaftliche Tendenz zum Autoritarismus auch in solchen Phänomenen wie dem Trumpismus, Querdenken oder jenen Teilen einer propalästinensischen Bewegung, die sich affirmativ zu islamistischen und regressiven Ideologien verhalten. In diesen Fällen äußert sich der Autoritarismus nicht in Form von strengen Hierarchien oder Befehlsketten. Das macht das Ganze aber nicht weniger autoritär, auch wenn hier ein Freiheitspathos überwiegt. Dieses ist Rhetorik, um alles was sich der unbedingten Durchsetzung des eigenen Wahns in den Weg stellt, als Unterdrückung zu labeln und den von keiner Reflexion gebrochenen Hass auf den vermeintlichen Unterdrücker zu richten – sei es eine liberale Elite oder Israel.
Hannah: Ein anderes größeres Thema auf dem Kongress ist der Islamismus. Wir finden, dass diese Ideologie in der Linken immer noch viel zu wenig Beachtung findet. Der politische Islam ist global betrachtet eine der gefährlichsten antiemanzipatorischen Bewegungen, aber statt dass sich Linke konsequent dagegenstellen, gewinnt die Querfront mit islamistischen Ideologien seit dem 7. Oktober an Zulauf. Und dann gibt es noch einen Themenblock zu linker Selbstkritik. Auch in »unseren Kreisen« gibt es ja genügend autoritäre Anwandlungen und damit muss man sich kritisch auseinandersetzen. Nestbeschmutzung ist für uns sowieso ein linkes Muss. Ein verbreiteteres Problem, das selbst in linksradikalen, theorieaffinen Milieus immer mehr auftritt, ist eine Form von Identitätspolitik, die Argument und Betroffenheit, Wahrheit und Standpunkt in eins setzt. Da soll dann auch gruppenintern jedes Mittel erlaubt sein, weil es von der Warte politischer Marginalisierung ausgeht. Unser Kongress ist sicher nur einen Anfang darin, sich diesem Problem zu widmen.

Welche Bedeutung kommt einer antifaschistischen Bewegung im Kampf gegen autoritäre Tendenzen zu?

Tina: Man kann den antifaschistischen Kampf um Räume führen oder aber auch um die Köpfe, wo es noch Sinn ergibt. Wir haben es weltweit mit einem Ausmaß an autoritärer Formierung, wenn nicht gar Faschisierung, zu tun, das noch vor 15 Jahren niemand für möglich gehalten hat. Was man zur Verteidigung des besseren Schlechteren – was ja Antifa erst mal nur heißt – tun kann und muss, ist einfach eine sehr konkrete, tendenziell lebenswichtige Frage geworden.

Es gab Kritik an der thematischen Schwerpunktsetzung des geplanten Programms: Der Autoritarismus der Linken sei überrepräsentiert, während rechten, rechtsextremen und faschistischen Entwicklungen zu wenig Beachtung geschenkt werde.

Bob: Die Kritik kam vielleicht von denjenigen, die sich beim Programm überrepräsentiert fühlen. (lacht) Für den Faktencheck: Ein Podium und ein Viertel der Vorträge widmen sich der extremen Rechten und Möglichkeiten antifaschistischer Gegenwehr. Was man theoretisch aufarbeiten müsste, um den Rechtsextremismus erfolgreicher zu bekämpfen, darauf haben wir noch keine Antwort. Dafür gibt es den Austausch mit vielen Antifas aus dem Bundesgebiet. Außerdem: Wenn man noch Hoffnung in eine Linke als gesellschaftliche Akteurin gegen die autoritäre Formierung setzt, dann muss man nicht nur eine adäquate Kritik formulieren, sondern auch wissen, wofür man steht. Dafür braucht es eine innerlinke Auseinandersetzung. Wir haben versucht, eine gewisse Breite abzudecken. Dass man es bei dem ganzen gesellschaftlichen Unfug zurzeit auch mit einem dreitägigen Kongress nicht allen recht machen kann, nun ja …

Ein wesentlicher Aspekt der innerlinken Diskussion auf dem Kongress ist der Antisemitismus. Es gibt dazu unterschiedliche Positionen, wie weit der Begriff gefasst werden könne. Seht ihr die Kritik am Vorgehen Israels im Gazastreifen als antisemitisch?

Tina: Manche ja, manche nein. Ich finde die Frage ist in etwa so irreführend, wie wenn man Kritiker von Querdenkern fragen würde, ob sie jede Diskussion um bestimmten Pandemieschutzmaßnahmen für verschwörungsideologisch halten. Allerdings geht das doch komplett an der Kritik jener Teile einer internationalen Solidaritätsbewegung vorbei, in der Symbole einer antisemitischen Terrororganisation mittlerweile völlig normalisiert sind, wo zur Intifada aufgerufen und ein »freies« Palästina vom Jordan bis zum Mittelmeer gefordert wird.
Bob: Außerdem ist die Frage etwas projektiv. Sie unterstellt ja, Kritiker würden durch den Antisemitismusvorwurf mundtot gemacht werden, aber die israelische Kriegsführung wird landauf, landab kritisiert.

Die Berliner Jusos haben jüngst beschlossen, nicht mehr von »Islamismus« zu sprechen, da der Ausdruck antimuslimischen Rassismus befördere. Ihr hingegen suggeriert eine Art neuen antisemitischen Konsens, bei dem sich Islamismus, (traditions-)linker Antiimperialismus und postkoloniale Identitätspolitik die Hand reichen. Geht die Betonung des Antisemitismus radikaler Minderheiten nicht auf Kosten der Wahrnehmung des alltäglichen und verbreiteten Rassismus der deutschen Mehrheitsgesellschaft?

Hannah: Unsere Islamismuskritik unterscheidet sich grundlegend von rechten Ressentiments, sie richtet sich gegen Ideologie, nicht gegen Menschen. Unabhängig davon, wo jemand oder deren Eltern irgendwann mal herkamen, muss man die Leute daran messen, was sie tun. Und wenn sie sich mit der Hamas solidarisieren, dann sind sie dafür zu kritisieren und als das zu bezeichnen, was sie eben sind: antisemitisch. Wenn ich dann in diesem Zusammenhang Muslime nicht kritisiere, weil sie ja qua vermeintlich angeborener Religion gar nicht anders könnten, dann ist vielmehr das rassistisch. Auch wenn sich bei Islamkritik das Problem des Rassismus immer mit stellt, eine linke Kapitulation in puncto Religionskritik halten wir für falsch.
Bob: Den Jusos-Beschluss halten wir für fatal. Er lässt ausgerechnet die Leute aus migrantischen Milieus im Stich, die kein Bock auf Zwang zur »Community« haben und von Islamismus ganz konkret bedroht sind – also die, mit denen Linke sich eigentlich verbünden sollten. Aber du hast natürlich recht: Den Kampf gegen Antisemitismus und gegen Rassismus sollte man nicht gegeneinander ausspielen. Wogegen man sich gerade zu wenden hat, das hängt auch oft vom konkreten Umfeld ab, in dem man sich als Einzelperson oder Antifa-Gruppe bewegt. In Berlin-Neukölln hat man andere Gegner als in Görlitz.

Das repressive Vorgehen des deutschen Staates gegen propalästinensische Demonstrationen wird als Teil einer autoritären Staatsräson kritisiert. Aktuell droht vier Aktivisten die Ausweisung aus Deutschland. Ferat Koçak, frisch gewählter Neuköllner Linke-Bundestagsabgeordneter, spricht in diesem Zusammenhang von »einer systematischen Strategie, bestimmte Positionen aus dem öffentlichen Raum zu drängen«. Wie gehen ein antifaschistisches Selbstverständnis und die Befürwortung staatlicher Demonstrationsverbote, wie sie auch Referent*innen des Kongresses vertraten, zusammen?

Hannah: Das Problem hat man ja als Antifa öfter. Wenn der Staat rechtsextreme Demos verbietet, kämpft man nicht gegen das Verbot, auch wenn man es besser fände, solche Demos würden durch antifaschistische Gegenwehr verhindert werden. Dabei geht es nicht um Liebe zur Handarbeit, sondern es wäre Ausdruck der Stärke progressiver gesellschaftlicher Kräfte. Wenn der Staat Demos verbietet, auf denen Judenhass und islamistischer Terror verherrlicht werden, wäre es wirklich besser, es wären Linke, die denen nicht die Straße überlassen würden. Dafür sind wir zurzeit zu schwach, was aber ja auch für die Verhinderung von AfD-Parteitagen gilt.
Tina: Wenn der Staat richtige Dinge tut, wie eine antisemitische Demo nicht zu erlauben, dann macht er das zufällig, nicht seinem Begriff nach. Der deutsche Staat hat aktuell ein Problem damit, wenn Deutschland in der Öffentlichkeit nicht mehr als Schutzraum für Juden wahrgenommen wird. Aber das betrifft eben nur den Diskurs, nicht die konkreten Verhältnisse vor Ort. Die Programmschänke Bajszel in Neukölln, auf die Antizionisten immer wieder Anschläge verüben, ist ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, wie weit die Erkenntnis, etwas tun zu müssen und die Durchsetzung von Schutz auseinandergehen.

Wie lief die Ticketvergabe?

Bob: Der Kongress ist mit mehreren Hundert Tickets ausgebucht, aber es wird weiterhin eine Warteliste geführt, dafür kann man sich online anmelden. Man wird vielleicht nicht mehr in alle Veranstaltungen hineinkommen, aber wahrscheinlich noch in einzelne Workshops und Vorträge.

Der Kongress »Antifa out the Line« findet vom 1. bis 3. Mai in Berlin statt, mit insgesamt über 35 Podiumsdiskussionen, Vorträgen und Workshops. Alle Infos unter: https://gegenform.tem.li[1]

Links:

  1. https://gegenform.tem.li/