Die Ausladungsempfehlungen[1] des Auswärtigen Amtes an Gedenkstätten, Kommunalvertreter und Landesregierungen sowie der vorauseilende Gehorsam vieler Adressaten sind ein neuer Tiefpunkt im deutschen Erinnerungstheater. Offizielle Vertreter von Russland und Belarus sind bei offiziellen Gedenkveranstaltungen zum 80. Jahrestag der Befreiung vom Naziterror nicht willkommen. Zugleich hält es der KZ-Gedenkstättenleiter in Sachsenhausen für großzügig, dass er den Russen erlaubt, eine eigene Veranstaltung[2] abzuhalten. Dabei ist das an Herablassung kaum zu überbieten, zumal in Sachsenhausen eben auch Tausende Russen litten und starben.
Deutschen Meinungsführern und Politikern bis hin zur Linken[3] ist offenbar jedes Gefühl für das eigene Verbrechenserbe abhandengekommen. Das zeigte sich auch am Freitag, als Sachsens CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer gegenüber dem russischen Botschafter – dem beim Gedenken an den sowjetisch-amerikanischen Handschlag an der Elbe bei Torgau [4]der Zutritt immerhin gewährt worden war – den Feldzug seines Landes gegen die Ukraine verurteilte. Ist das nicht auch Instrumentalisierung des Gedenkens an Menschen, die vor 80 Jahren gegen die Nazis kämpften?
Natürlich ist Russlands Krieg gegen die Ukraine verbrecherisch wie alle Angriffskriege. Und gewiss darf man in Zeiten wie diesen über Formen des Gedenkens nachdenken, die Vertretern aller Nachfolgestaaten der von Deutschland einst mit einem Vernichtungskrieg[5] Überzogenen die Teilnahme ermöglichen. Es kann ein stilles Gedenken ohne Reden sein. Ausschließen aber ist eine Schande für den Nachfolgestaat des Hitlerregimes, das 14 Millionen sowjetische Zivilisten ermordete. Dasselbe gilt für die von Deutschen ständig bemühten Vergleiche des russischen Vorgehens in der Ukraine mit ebenjenem Vernichtungskrieg. Denn damit werden Wehrmachts- und SS-Verbrechen verharmlost.