Sahra Wagenknecht hat fast alles versucht und doch verloren. So muss man es sagen, denn sie wollte sich unbedingt gegen die Führung des Thüringer BSW-Landesverbands durchsetzen, der keine Lust hat, komplett nach ihrer Pfeife zu tanzen. Fast alles versucht heißt: Selbst ist die BSW-Gründerin und -Vorsitzende nicht zum Landesparteitag nach Gera [1]gefahren; womöglich weil sie ahnte, dass dort kein Erfolg zu feiern sein würde. Stattdessen schickte sie ihren Generalsekretär, der es fertigbrachte, dem bisherigen Landesverband zu danken, »der heute abgewählt wird.«
Trotz solch dreister Vorgaben gibt es im Thüringer BSW immer noch genügend Leute, die glauben, dass es in ihrer Partei demokratisch zugehen sollte. Wie diese BSW-Demokratie aussieht, hatte die Berliner Bundesführung in den letzten Tagen demonstriert, als sie Kandidaten gegen die Minister und amtierenden Landesvorsitzenden Wolf und Schütz vorschickte und dann medial Stimmung gegen die Amtsinhaber machte. Wagenknecht schrieb zuletzt noch einen Brief an die Mitglieder. Sie hat sich verkalkuliert.
Doch mit der deutlichen Wiederwahl von Katja Wolf und ihres Teampartners – der bisherige Landesvorsitzende Steffen Schütz hatte unter dem Druck Wagenknechts zurückgezogen[2] – ist der Dauerkonflikt um das Thüringer BSW keineswegs beigelegt. Allenfalls ist er zeitweilig auf Eis gelegt. Dabei geht es nicht so sehr um die Frage, ob Minister auch führende Parteiämter ausüben sollten. Das Thema war von Wagenknecht und ihren Leuten erst kürzlich aufgebracht worden, um Wolf und Schütz zurechtzustutzen; in der BSW-Satzung gibt es keinen Passus zur Ämtertrennung.
Vielmehr tobt ein Kampf um zwei Fragen. Erstens: Wer trägt die Hauptschuld an der vergeigten Bundestagswahl[3]? Wagenknecht schiebt die Verantwortung vor allem nach Erfurt – zu viele Kompromisse in der Landesregierung mit CDU und SPD. Auf die Idee, dass sie selbst massenweise Wähler verschreckt haben könnte, als sie Anfang dieses Jahres mit Union und AfD das Migrationsrecht verschärfen wollte, kommt sie nicht. Und zweitens: Soll das BSW überhaupt mitregieren oder sich weiter darauf beschränken, alle anderen für unfähig zu erklären? Wagenknecht neigt eher zur grundsätzlichen Opposition, obwohl sie sogar mit Ministerämtern in einer Bundesregierung kokettiert hatte – nur einer der Widersprüche beim BSW. Jedenfalls sieht man das Mitregieren durchaus als Gefahr für die Wahlen im nächsten Jahr – vor allem für die Landtagswahlen in Berlin, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern.
Deshalb wird der BSW-Bundesvorstand die Erfurter Landesregierung und den Thüringer Landesverband mit seiner unliebsamen Führung[4] mit Argusaugen beobachten. Der Druck von Wagenknecht und Co. wird anhalten, so haben sie es schon in der Linkspartei praktiziert. Druck allein schon deshalb, weil es in Erfurt jemand wagt, sich nicht auf das Nachbeten des Wagenknecht’schen Spruchbeutels zu beschränken.
Politik, zumal Regierungspolitik, sollte immer kritisch betrachtet werden. Das gilt auch für das BSW in Thüringen, zumal es, nur weil es Differenzen mit Wagenknecht hat, nicht automatisch besser oder sogar progressiv wird. Aber da gibt es beim BSW zweierlei Maß: Denn dem Furor, mit dem man sich um Thüringen kümmert, steht gegenüber, dass das ebenfalls mitregierende BSW in Brandenburg unbehelligt Sozialkürzungen mittragen darf und den Ausbau des größten Luftwaffenstützpunkts zum Raketenstandort akzeptiert – weil sich der Landesverband parteiintern brav verhält.
So kommt aus Thüringen die bislang deutlichste Kritik an Wagenknechts Führungsstil. Unter anderem an der spezialdemokratischen Mitgliederpolitik des BSW. Auch mehr als ein Jahr nach Gründung der Partei kann laut Statut nur der Bundesvorstand nach seinem Belieben Mitglieder aufnehmen, die Landesverbände dürfen nur Vorschläge machen. Umso bemerkenswerter ist die Wahlniederlage von Wagenknechts Wunschkandidatin am Wochenende. Steffen Schütz, der statt des Landesvorsitzes nun in den Bundesvorstand strebt, nennt das bundesweit einmalige und parteienrechtlich grenzwertige Verfahren »Gesinnungsakquise«. Versprochen ist, dass die Landesverbände irgendwann selbst Mitglieder aufnehmen dürfen. Dann aber stehen dem BSW ganz andere Auseinandersetzungen bevor.