Anfang Mai beginnen Verhandlungen von Vertreter*innen der EU-Kommission und des Ministerrats mit dem Europaparlament über den Plan, die Zulassung mit neuen Gentechniken hergestellter Pflanzen zu erleichtern. Es geht dabei um sogenannte NGT-1-Pflanzen, unter die das Gros derer fällt, deren Erbgut mit Genscheren manipuliert wurde. Brüssel will sie wie konventionelle Züchtungen behandeln. Damit gäbe es für sie keine Risikoprüfung im Einzelfall mehr, keine Anmelde- und Kennzeichnungspflicht und auch keine Haftung der Hersteller*innen für mögliche Folgen ihrer Ausbringung für Gesundheit und Umwelt.[1]
Just zu diesem Zeitpunkt ist nun ein Rechtsgutachten erschienen, welches das von den Grünen geführte Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) im vergangenen Herbst in Auftrag gegeben hatte. Darin stellt die Freiburger Professorin für Völkerrecht, Silja Vöneky, fest, dass der Ratsvorschlag gegen internationales Recht verstößt, wie es im Cartagena-Protokoll festgehalten ist.
Das Abkommen entstand im Jahre 2000 als zentrales Instrument zum Schutz der Artenvielfalt, 2003 trat es in Kraft. Es legt völkerrechtlich verbindliche Regeln für den grenzüberschreitenden Handel und den Umgang mit allen Organismen fest, »die eine neuartige Kombination genetischen Materials aufweisen, die mittels moderner Biotechnologie erzielt wurde«. Das Cartagena-Protokoll basiert auf dem Vorsorgeprinzip: Vertragsstaaten dürfen Auflagen oder Verbote für die Einfuhr gentechnisch veränderter Organismen verhängen, auch wenn keine endgültigen Beweise für mögliche Gefahren vorliegen. Es fordert all das, was EU-Kommission und Ministerrat für die NGT-1-Pflanzen abschaffen wollen.
Dabei fallen diese Pflanzen, laut Vöneky, eindeutig unter die im Protokoll benannten Organismen. Für ihre Herstellung werde moderne Biotechnologie verwendet, mit der auch genetische Veränderungen über mögliche natürliche Mutationen hinaus geschaffen werden könnten. Die Juristin hält es für »wissenschaftlich vertretbar«, die Risiken für alle NGT-1-Pflanzen gemeinsam zu bestimmen und anschließend zu überprüfen, ob einzelne Pflanzen den Kriterien dieser Gruppe entsprächen. Die Ratsversion verstoße jedoch gegen das Abkommen, indem sie NGT-1-Pflanzen von den Anmelde-, Mitteilungs- und Kennzeichnungspflichten ausnehme.
Ohne Kennzeichnung gibt es demnach keine Wahlfreiheit mehr: Landwirt*innen wissen dann nicht mehr, was auf den Nachbarfeldern wächst und möglicherweise in ihre eigenen Pflanzen einkreuzt. [2]So könnten sie ihren Handelspartner*innen und Kund*innen nicht mehr garantieren, gentechnikfreie Produkte zu liefern. »Wer gentechnikfrei wirtschaften möchte, muss dies auch weiterhin ohne zusätzliche Hürden tun können«, so ein Sprecher des BMEL. »Verbraucherinnen und Verbrauchern muss es auch in Zukunft möglich sein, eine bewusste Entscheidung für Produkte ohne Gentechnik zu treffen.« Zudem müsse die strittige Frage nach Patentierung von NGT-1-Pflanzen gelöst werden.
Das Bundesministerium hat das Gutachten unmittelbar nach seinem Erscheinen veröffentlicht und an den EU-Ministerrat weitergegeben. Nun liegt der Ball beim voraussichtlichen Amtsnachfolger von der CSU und den Teilnehmern an den Trilogverhandlungen[3].
»Die Kommission ignoriert aus ideologischen Gründen alle möglichen Probleme mit neuer Gentechnik«, kritisiert Karl Bär, Mitglied des Bundestags von den Grünen. »Deshalb bleiben Fragen der Haftung, der Patentierung von Saatgut und der internationalen Handelsbeziehungen ungelöst. Die Kosten werden auf die Wirtschaft, von Züchtung über Landwirtschaft und Lebensmittelwirtschaft bis zum Handel, abgewälzt.« Aus seiner Sicht sind die jetzt beginnenden Verhandlungen mit dem Europaparlament die letzte Chance, das zu korrigieren. Sollte dies nicht gelingen, biete das Gutachten immerhin eine gute Grundlage für juristische Klagen.